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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wirth, um die herbeiströmenden Gäste zu begrüßen, und für Jeden, der eintrat, hatte er ein liebenswürdiges Lächeln, ein gewinnendes Wort, einen zuthunlichen Händedruck und vor Allem natürlich eine höfliche Verneigung. Die Aufmerksamsten wollen je nach der Bedeutung der sich darstellenden Persönlichkeiten einen Unterschied in dem Wärmegrad dieser Kundgebungen bemerkt haben; da aber bis jetzt zur genauen Bemessung dieser Temperatur noch kein Thermometer erfunden ist, mag diese Wahrnehmung nicht weiter in Betracht gezogen werden.

Auf der Brust des Mannes, welcher so zahlreichen Besuch erhielt und so leicht auf dem glattgewichsten Boden sich zu bewegen wußte, prangte ein Orden und aus seiner Bescheidenheit sprach das stolze Bewußtsein der hohen Stellung, die er gewonnen. Bei aller Beherrschung konnten seine Züge eine gewisse Genugthuung nicht verbergen, besonders wenn die großen Herren aus alten Geschlechtern ihm, ihre Zuvorkommenheit bezeigten. Als Cardinal Rauscher, Fürst-Erzbischof von Wien, einer der rüstigsten Vorkämpfer der kirchlichen Gewalt, im Saal erschien und mit dem Wirthe auf’s Innigste Freundlichkeiten tauschte, ging ein Flüstern des Erstaunens durch die Menge, und über das Angesicht des Empfangenden strich es wie ein leiser Anflug von Ironie.

Der Mann mit dem Orden, an den so viele Menschen sich herandrängen, ist Dr. Karl Giskra, Minister des Innern, der Sohn eines Rothgerbers von Mährisch-Trübau. Karl Giskra, vorläufig weder Graf noch Baron, nicht einmal von Giskra. Vor einigen Jahren war der Würdenträger in demselben Lande, das er nun beherrschen hilft, ein Geächteter, ein Verfolgter; die Polizei hatte ein wachsames Auge auf ihn, und Herr von Bach ließ sich angelegen sein, dem freisinnigen Rechtsgelehrten das Leben schwer zu machen. Mehr war nicht nöthig, um Herrn Giskra von allen Vortheilen des Bürgers, von allen Rechten des Menschen auszuschließen. Nicht nur wurde dem Mißliebigen die Advocatur verweigert, sondern auch durch dem Schrecken, welchen die damalige Regierung um sich verbreitete, der Weg zu Privatanstellungen versperrt. Bei der vorherrschenden Feigheit und Angst, welcher Bürger hätte es gewagt, die Dienste eines Menschen anzunehmen, der die polizeiliche Ungnade sich zugezogen? Einer hat sich’s unterstanden, es war Eugen von Mühlfeld, der den geächteten Cameraden in seiner Schreibstube untergebracht trotz der Warnungen, die ihm von der Behörde zugingen, trotz der Lauscher und Späher, mit denen er sowohl, als sein Concipient umstellt wurden.

Die öffentliche Meinung hat sich erstaunt und verletzt darüber gezeigt, daß der Minister Giskra an dem offenen Grabe Mühlfeld’s kein Wort der Trauer und des Dankes gesprochen. „Ein Dienst, wie ihn der Hingeschiedene dem Ueberlebenden erwiesen hatte,“ lautete der allgemeine Vorwurf, „sei wohl einen warmen Nachruf werth gewesen.“ Weder die amtlichen Rücksichten noch die eingetretene Verschiedenheit der politischen Anschauungen zwischen den beiden Freunden vermochten das Schweigen des Ministers in den Augen der hofunfähigen Menge zu entschuldigen. Dem schlichten Sinn des Volkes fehlt eben das Verständniß für die kluge Berechnung, welche das Recht in Anspruch nimmt, sich zwischen eine heilige Herzenspflicht und deren Erfüllung zu stellen. Anders malen sich die Nothwendigkeiten in dem Kopfe eines Ministers, anders in dem Kopf eines Erdenkindes, dem die Geheimnisse der Macht unbekannt geblieben.

Zum ersten Mal aus dem Dunkel einer bescheidenen Existenz herausgetreten ist Dr. Giskra am 15. Mai des Jahres 1848. Müde des Spiels, das von den Unverbesserlichen mit den Wünschen und Interessen des Landes gespielt wurde, trat die Bevölkerung von Wien an die verstockten Dränger mit einer Sturmpetition heran und machte dem Geplänkel zwischen freiheitlichem Streben und Unterdrückungsgelüsten mit einem Schlage ein Ende. Giskra, als Wortführer der Aula, unterhandelte mit dem Minister Pillersdorf und gab seinem Namen weitgehenden Klang. Strenge Richter verurtheilen die Verspätung dieser Theilnahme an der Bewegung und zeigen sich geneigt, die Zurückhaltung des Doctors in den Märztagen und den folgenden Wochen einem Uebermaß von Vorsicht zuzuschreiben. Uns aber können Voraussetzungen nicht als Anhaltspunkte des Urtheils dienen.

Bis zum Jahre 1848 hatte Karl Giskra seine juristischen Studien getrieben, den Doctortitel erworben und im Lehrfach wirksam es bis zum Stellvertreter des Professors Kudler gebracht, der an der Wiener Hochschule Staatswissenschaft vortrug.

In eines der Jahre, welche den Märzerhebungen vorhergingen, fällt ein Vorgang, welcher zu bezeichnend für die Anlagen unseres Ministers ist, um übersehen zu werden. Obgleich das Schweigen in Oesterreich damals zu den ersten Bürgerpflichten zählte und Graf Sedlnitzki dafür zu sorgen wußte, daß kein glückliches Wort die angenehme Friedhofsruhe der Geister störte, veranstaltete Dr. Giskra dennoch Redeübungen junger Leute, welche für die Kanzel oder den Lehrstuhl sich vorbereiteten oder zu ihrem Vergnügen ohne praktischen Zweck eine Gewandtheit im Gebrauch des Wortes zu erlangen suchten. Bei diesen Unterhaltungen pflegte der Lehrer, um den Geist und die Beredsamkeit seiner Schüler recht anzuspornen, abwechselnd für und gegen denselben Gegenstand zu sprechen, und einmal brachte er durch seine Beweisführungen nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin einen jungen Theologen derart außer Fassung, daß dessen Sinn sich vollkommen verwirrte und der arme Gottesgelehrte in eine Irrenanstalt gebracht werden mußte. Ueber den Werth dieser dialektischen Gewandtheit giebt es nun freilich abweichende Meinungen; während die Einen für dieselbe alle Bewunderung in Anspruch nehmen, verwerfen sie die Anderen als die alltägliche Fertigkeit eines Sophisten oder Diplomaten, von welcher man mehr auf den Mangel an wirklicher Ueberzeugung, als auf eine besondere Kraft des Denkens schließen könne.

Wurde schon das Auftreten Giskra’s vom 15. Mai und seine Haltung in der Aula höheren Ortes übel vermerkt, so gab die Mißhandlung des verkappten Polizeihäschers Rößler, an welcher man ihn der Theilnahme bezichtigte, Grund oder Vorwand zur Entfernung des Doctors vom öffentlichen Lehramte. Auch war diese Entlassung eine beschlossene Sache, als Giskra, von seiner Vaterstadt Mährisch-Trübau in das Frankfurter Parlament gewählt, freiwillig seine Stelle niederlegte, um sich ganz der politischen Laufbahn hinzugeben.

In der Paulskirche nahm er auf der Linken Platz, der Schaar beigesellt, welche im „Regensburger Hof“ ihre besonderen Versammlungen hielt. Eben so wenig als seine slavische Abkunft ihn verhinderte, deutsches Wissen wie deutsche Bildung zu schätzen und zu suchen, verhinderte sie ihn, bei den verschiedensten Gelegenheiten warme Gefühle für Deutschland an den Tag zu legen; als Redner machte er sich mehr denn bemerkbar trotz des Zusammenflusses von oratorischen Begabungen im Reichsparlamente, die zu erreichen kein Leichtes war. Besonders wirkte Giskra durch die Pracht und den Schwung der Sprache, durch die sinnliche Lebendigkeit des Ausdrucks. Und heute noch, da ihn die Gunst der Ereignisse auf die Ministerbank emporgehoben, quillt der Redestrom aus dem Munde Giskra’s wie vor zwanzig Jahren. Der rauschende Beifall der Schützenversammlung im Prater galt nicht weniger dem glücklichen Sprecher, als dem angesehenen Manne.

So weit ist Giskra nicht gegangen, daß er mit dem Häuflein entschlossener Männer in Stuttgart weiter getagt hätte, nachdem den deutschen Volksvertretern die Thüren des Frankfurter Parlaments vor der Nase zugeschlagen worden, aber doch weit genug, um den Zorn der österreichischen Gewalthaber auf sich zu laden. Viel weniger, als Giskra verbrochen, war hinreichend, um einen Menschen bei General Kempen, dem Stifter eines Gendarmdienstes in Oesterreich, der Louvois’ Dragonaden beschämte, übel anzuschreiben.

Zum Glück für den verfolgten Juristen war der Wütherich mancherlei Einflüssen zugänglich und fand sich eine Person, welche eine Art Ausgleichung zwischen dem Dränger und dem Opfer herbeizuführen geneigt und im Stande war. Ueber diesen Wohlthäter, wie über die Natur seiner Beziehungen zu den beiden Figuren dieses Dramas, liegt ein Schleier des Geheimnisses, den zu zerreißen oder auch nur zu lüften ich aus verschiedenen Gründen nicht versuchen mag. Genug, Dr. Giskra wurde eine Art Schützling des fürchterlichen Kempen, ohne daß, er von seinen Grundsätzen etwas zu verleugnen brauchte, nur mußte er das Versprechen geben, daß er niemals gegen den Bestand Oesterreichs wirken werde. Dieses Gelöbniß legte er auch ab und wurde von dem Mächtigen in Gnaden aufgenommen; er erhielt die Advocatur in Brünn und außerdem das Recht einer freieren Sprache mit dem Unhold, welcher so viele Hinrichtungen und Verhaftungen vornehmen ließ, daß selbst die Fanatiker des Rückschritts ob der Grausamkeit sich entsetzten. Einmal wagte Giskra zu seinem Gönner die Aeußerung: „Excellenz, mit dem Säbel und dem Kreuze werden Sie die Völker doch auf die Länge nicht regieren.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_678.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)