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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

wie angedeutet, und daher feiern sie das Abendmahl bei Nacht und als wirkliches Essen, dem indeß noch die Communion in der Weise der Reformirten folgt, nachdem eine allgemeine Fußwaschung stattgefunden hat. Begegnen sie sich bei kirchlichen Gelegenheiten, so begrüßen sie sich mit dem „heiligen Kuß“ oder dem „Kuß der Liebe“, von dem in den Paulinischen Briefen zuweilen gesprochen wird, und über den, um falschen Schlüssen vorzubeugen, gleich hier bemerkt werden mag, daß er sich nicht über die Grenze des Geschlechts entfernt, also nur von Mann zu Mann und von Frau zu Frau geht. Ferner haben sie aus der Bibel herausgelesen, daß Sterbende mit geweihtem Oel gesalbt werden müssen, daß Waffen zu tragen, Processe zu führen und Eide zu leisten unchristlich ist. Früher war unter ihnen sogar verboten, von Geldern, die sie verliehen, Zinsen zu nehmen, und noch jetzt verlangen die frömmeren unter ihnen von Nichttunkern nur sehr geringe und von armen Gemeindegliedern gar keine Interessen für das vorgestreckte Capital.

Jeder zur Gemeinschaft der Brüder Gehörige, der sich während des Gottesdienstes bewogen findet, einen Vortrag zu halten, hat Erlaubniß dies zu thun. Zeichnet sich einer dabei durch Bibelkenntniß und Beredsamkeit aus, so wählt ihn die Gemeinde zu ihrem Prediger, und er wird durch Handauflegung und unter Fasten und Gebet vom Bischof geweiht. Diese Prediger bleiben Farmer oder Handwerker: denn nach dem Bibelworte: „Geben ist seliger denn Nehmen“ beanspruchen sie keinen Gehalt, und man belohnt sie nur gelegentlich durch ein Geschenk. Sie haben auch Diakonen und Diakonissinnen, welche letzteren, aus den älteren Frauen genommen, beim Abendmahl die Küche und die Fußwaschung für die „Schwestern“ besorgen, während die ersteren mit der Armen und Krankenpflege und mit der Schlichtung von etwa vorkommenden Streitigkeiten in ihrem Sprengel betraut sind. Manche Gemeinden sind mehrere hundert Mitglieder stark, und von diesen gehen alljährlich zu den zerstreut wohnenden Brüdern Reiseprediger aus, die gewöhnlich paarweise auftreten, wo dann der eine deutsch, der andere englisch predigt. Endlich haben die Tunker auch Bischöfe, welche aus ihren Predigern gewählt werden und denen die Beaufsichtigung der verschiedenen Sprengel, die Leitung ihrer Abendmahlsfeiern und Liebesfeste, die Weihung der Prediger und die Mitwirkung bei Excommunicationen obliegt.

Kirchen besitzen die Tunker nicht. Wo die Gemeinde klein ist, hält man den Gottesdienst in dem geräumigsten Farmhause oder der größten Blockhütte derselben ab. Wo sie viele Mitglieder zählt, hat man in der Regel ein besonderes, nur zu kirchlichem Zweck bestimmtes Versammlungslocal, aber dasselbe unterscheidet sich, ohne Thurm und Glocken, äußerlich durch nichts von den gewöhnlichen ländlichen Privathäusern und hat im Inneren weder Chor oder Emporkirche, noch Orgel oder Kanzel. Wie es aber in einem solchen Meetinghouse aussieht und bei einem Tunkergottesdienste zugeht, wollen wir jetzt sehen.

Besonders zahlreich angesiedelt sind die Tunker, die sich auf gutes Land verstehen, in dem Gebiete zwischen den beiden Miamis und dem Mad River, und hier haben sie auf einer Waldblöße an der Straße von Dayton nach Salem, etwa drei Stunden Weges von erstgenannter Stadt, eines jener Meetinghouses, zu dem die Leser mir jetzt folgen mögen, um einem Gottesdienste unserer wunderlichen Heiligen beizuwohnen.

Es ist etwa neun Uhr Morgens, wie wir durch den Wald von Eichen und Ahornbäumen, der die Straße mit Ausnahme einiger Klärungen begleitet, einen mit dem landesüblichen im Zickzack laufenden Zaun, der sogenannten Wormfence, eingefaßten offenen Raum vor uns erblicken, in dessen Mitte sich ein langgestrecktes, mit Schindeln gedecktes Ziegelhaus befindet. Es ist unser Ziel. Innerhalb der Umzäunung, an deren Riegel zahlreiche Pferde angebunden sind, und vor der ein Marketender sich mit Flaschen und Gläsern neben einem flackernden Kochfeuer niedergelassen hat, tummelt sich allerlei Volk, langbärtige Tunker, zum Theil in weißen Wollenmänteln, zum Theil in braunen oder aschgrauen Fracks, die sich mit dem „heiligen Kuß“ und der „brüderlichen Rechten“ begrüßen, Tunkerfrauen in alterthümlichen Hauben und Brusttüchern und eine Menge profaner Zuschauer, unter denen Daytons Loafer nicht fehlen dürfen. Aus dem Schornstein des Meetinghouses steigt eine blaue Rauchsäule empor; denn schon rüsten die Diakonissinnen in der Küche dahinter die Speisen, die beim heutigen Liebesmahl verzehrt werden sollen.

Plötzlich Aufbruch von allen Seiten nach dem Hause, welches bald in allen seinen Theilen gefüllt ist. Die größere Hälfte desselben nimmt ein langer niedriger Saal ein, der einer großen Bauernstube gleicht. Die Bretterdecke desselben wird von vier grobzugehauenen Holzsäulen getragen. Vier Thüren, von denen sich eine nach der Küche öffnet, führen hinein, neun Fenster geben ihm Licht. Ein Altar ist nicht vorhanden, die Altarkerzen mag das Heerdfeuer ersetzen, welches durch die Küchenthür hereinflackert. Chor und Kanzel zugleich vertritt eine weißgedeckte Tafel, aus zwei Böcken und etlichen darüber gelegten Brettern construirt, um welche gegen zwanzig meist bejahrte Tunker, die Prediger und Bischöfe, sitzen. Die übrigen Theilnehmer an der Feier sowie die Zuschauer nehmen, etwa dreihundert an der Zahl, zu beiden Seiten des Tisches auf niedrigen Bänken ohne Lehne Platz, rechts, wie billig, da hier die Küche ist, die Schwestern, links, ihre Hüte auf den Knieen, die Brüder.

Und nun will ich im Perfectum weiter erzählen.

Nachdem sich das Gescharr und Gesumme der Eintretenden gelegt hatte, eröffnete man den Gottesdienst mit einem englischen Liede aus einer Art Gesangbuch, welches sich „das Harfenspiel der Kinder Zions“ nannte. Dann sprach einer der Prediger ein deutsches Gebet, welches ein ungeberdiger Tunkersäugling mit seinem Geschrei begleitete. Nach dem Amen erhob sich einer der Bischöfe, ein schöner alter Mann mit einem silberweißen Noahbarte, um aus der englischen Bibel ein Capitel aus dem Propheten Jeremias vorzulesen, worauf die Gemeinde wieder einige deutsche Verse sang, die ihr einer der Prediger zeilenweise vorsagte.

Hierauf begann das Predigen, meist weniger stark als breit, bald in deutscher, bald in englischer Sprache, bisweilen auf gut Pennsylvanisch, was die hier gebornen Bauern für das eigentliche Deutsch halten, wogegen sie unsre Schriftsprache als „deutschländisch“ bezeichnen. Ein alter Seelenhirt, der über das nach Luther’s Uebersetzung verlesene dritte Capitel der Apostelgeschichte in englischer Zunge sich vernehmen ließ, zog, als ihm von der Anstrengung warm wurde, ohne Weiteres den Rock aus, um ihn an die über seinem Kopfe von Säule zu Säule befestigte Leiste zu hängen, und brach bald nachher, indem er den Lahmen an der Pforte des Tempels zu Jerusalem, über den er die Brüder bis dahin, beiläufig nicht ungeschickt, verständigt halte, für einen Augenblick stehen ließ und sein Englisch vergaß, mit der Geberde des Schmerzes in die Worte aus: „Merk könnte noch viel schwätze über diesen Text, aber meine Lungs wolln’s net stände. Uff! meine Lungs.“ (Ständen heißt Aushalten, Lungs Lungen.) Ihm folgte, nachdem er trotz der erschöpften Lunge noch eine reichliche Viertelstunde, so ziemlich immer dasselbe wiederholend, gesprochen, ein Amtsbruder, der auf Deutsch ungefähr wieder dasselbe sagte, bis ihn ein blasser, schwarzbärtiger Prediger ablöste, der, wiederum englisch, ein neues Thema behandelte und offenbar das meiste Redetalent entwickelte, so daß ihm selbst der riesenhafte Diakon, der neben mir an der Thür bisher mehr Portiergeschäfte gegen zudringliche Loafer besorgt, als an sein Seelenheil gedacht hatte, seine Aufmerksamkeit schenkte und während seiner Rede bewahrte. Als nach ihm wieder deutsch gepredigt worden, folgte wieder Gebet, wobei die Versammlung auf die Kniee fiel, während der Vorbeter mit geschlossenen Augenlidern und den Kopf auf den einen Arm gestemmt, am Tische sitzen blieb.

Nun wieder Vorträge und Ermahnungen, bald englisch, bald deutsch, die meisten in Hemdärmeln; denn es war allmählich unerträglich heiß in dem Raume geworden, und der Schweiß rieselte von allen Stirnen. Endlich machte - es war ungefähr drei Uhr geworden, und es mochten fast ein Dutzend Prediger geredet haben – der vorsitzende Bischof dieser Speisung der Seelen mit dem Bemerken ein Ende, daß es Zeit zum Mittagsessen sei, und bat, das Haus zu räumen, da der Saal dazu hergerichtet werden sollte. Erst würden die alten Leute und die Frauen sich zu Tisch setzen, dann die Uebrigen bei einer zweiten Anrichtung ihr Theil finden. Auch die Zuschauer seien als Gäste willkommen. Endlich sei auch für die Thiere Aller gesorgt, und würde der Diakon das Nöthige auf Wunsch verabfolgen. Während dieser Aufforderung und Erlaubniß Folge gegeben wurde, die, welche zu Pferde oder zu Wagen gekommen waren, sich Taschentücher voll Hafer und Arme voll Maiskolben holten, und drinnen die Kirche in einen Speisesaal verwandelt wurde, suchte ich mich ein wenig über die Geschichte und die Glaubensmeinungen der Leute zu belehren. Ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_681.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)