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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

sondirte das rohte gutmüthige Gesicht, welches während des Gottesdienstes neben mir geglänzt und mich in sein Gesangbuch hatte sehen lassen. Es wußte nicht, was ich meinte, und wies mich an einen Bekannten von der Bruderschaft, der „Bücher hatte“. Auch hier war nicht viel zu erfahren. Ich hörte nur Mack’s Namen, und daß man zuerst am Mill Creek gewohnt habe. Der Bischof da – hiermit zeigte er auf den ebenerwähnten stattlichen Vater Noah im Frack – würde mir mehr sagen.

Ich trug meine Bitte bei dieser dritten Instanz vor, und zwar deutsch. Er sah mich eine Weile fragend an.

„Geschichte unserer Denomination?“ fragte Noah mit leisem Schütteln der ehrwürdigen Silberlocken. „Geschichte – was ist Geschichte? Schwätze doch lieber deutsch. Ich verstehe das Deutschländische nicht gut.“

Ich entschuldigte mich, daß ich mit dem Deutschen nicht fertig werden könne, da ich noch nicht lange im Lande sei, erklärte ihm den Begriff Geschichte kurzweg mit „Rise and Progress“ (Ursprung und Entwickelung) und erbot mich, englisch mit ihm weiter zu verhandeln. Vater Noah war damit zufrieden und erfuhr jetzt, was ich wollte, aber mein Begehren wurde auch von ihm nicht erfüllt. Nachdem er noch einmal die Silberlocken geschüttelt, sagte er würdevoll, mit Selbstgefühl und mit einem leichten Anfing von Geringschätzung, wie man sie vor Leuten empfindet, die unnütze Fragen an ihre Nebenmenschen richten: „Ursprung und Entwickelung? Unser Ursprung fängt mit den Aposteln an, und unsere Entwickelung ist die Historie der unsichtbaren Kirche Gottes.“

Da hatte ich’s und war so klug wie zuvor. Ein weiterer Versuch, mich mit dem alten Herrn zu verständigen, führte zu nichts, als einer ausführlicherer: Wiederholung seiner vorigen Antwort. Er hatte offenbar nicht die Fähigkeit, sich aus dem herkömmlichen Vorstellungskreise seiner Secte herauszuhelfen, und meine Wißbegier kam ihm augenscheinlich als Neugier vor und zwar als Neugier nach Dingen, die einen rechtschaffenen Menschen und guten Christen nicht im Mindesten interessiren konnten. So half er mir aus einer Verlegenheit, als er, dem Rufe zum Essen folgend, sich verabschiedete.

Die jüngeren Leute, die diesem Gespräch zugehört, waren weniger würdevoll, aber zugänglicher. Wir disputirten ein wenig, da hier wie fast überall, wo man zu wunderlichen Heiligen kommt, um sich über sie zu informiren, bei den Leuten die Ansicht zu herrschen schien, der Fremde sei gekommen, mit ihnen zu streiten und sie zu bekehren. Indeß ging Alles friedsam her, und wenn ich auf eine Frage, weshalb der in der Bibel angeordnete heilige Kuß von unseren Pastoren nicht zur Verabreichung empfohlen würde, nur mit den Achseln zucken konnte, so hatte ich dafür die Freude, die wackeren Leute darüber mit der ihnen neuen Benachrichtigung einigermaßen zu trösten, daß „im alten Lande“ Kaiser und Könige, ja selbst der heilige Vater der katholischen Christenheit zuweilen die Fußwaschung vollzögen. Zuletzt hatten wir Wohlgefallen aneinander gefunden, ich erfuhr das Eine und das Andere von Interesse und theilte Fragern, die sich immer zahlreicher einfanden, das Eine und das Andere mit; ja, als wir zum Essen gerufen wurden, hatte ich zu weiterer Unterhaltung in der Heimath der Wißbegierigen wohl ein halb Dutzend Einladungen erhalten, und Einer hatte es damit so eilig, daß er mich am liebsten noch diesen selben Abend mitgenommen hätte.

Nach dem Essen, bei dem sich die anwesenden Nichttunker, großenteils Loafer, sehr unanständig aufgeführt, die Tische förmlich gestürmt, die Schüsseln wie im Nu geleert und zu alledem grausam gelärmt und geflucht hatten, hob das Beten, Singen und Ermahnen von Neuem an und währte ununterbrochen fort, bis es dunkel wurde. In der That, es gehörte ein guter Magen dazu, so viel geistliche Speise, die überdies solche Bauernkost und in der Hauptsache immer dasselbe Gericht war, zu verdauen. Indeß schienen die Leute lange nichts davon gehabt zu haben. Es war wie ein Kirmeßessen, das auch selten, aber dafür um so reichlicher ist.

Endlich wurden in Blechleuchtern Talglichte auf den Tisch vor den Predigern gestellt, und die Scene änderte sich. Man stimmte zunächst einige Passionslieder an. Dann wurde die Leidensgeschichte Jesu aus dem Marcusevangelium vorgelesen, und hierauf brachten zwei Brüder ein Faß herein, in welchem sie, nachdem sie die Hemdärmel aufgestreift, allen männlichen Mitgliedern der Versammlung die Füße wuschen, die sie dann mit langen Handtüchern trockneten, welche sie um den Leib gewunden hatten. Aehnlich verfuhren auf der Seite der Schwestern zwei Diakonissinnen. Während dieser Ceremonie sprach einer der Bischöfe über die Bedeutung derselben. Der Waschende versinnbildete danach durch sein Niederbeugen die Pflicht des Christen zur Demuth, der zu Waschende durch Darreichung seiner Füße zur Reinigung die Willigkeit der Brüder, sich von den Genossen durch Ermahnung zum Guten und durch Vergebung von Uebertretungen geistig säubern zu lassen. Auf die Fußwaschung folgte das Abendmahl in der Gestalt, daß man nach einem Tischgebet aus Blechnäpfen Suppe und dann Rindfleisch, Brod und Butter aß, und dann schritt die Versammlung nach einer Rede, in welcher Bischof Nead auf die Bedeutung der Feier hinwies, zur Communion. Dieselbe sollte, wie jener gesagt, eine Gelegenheit sein zu recht innigem Empfinden der Gemeinschaft Aller in Glauben und Liebe, und deshalb solle Jedermann, der noch irgend welchen Groll gegen einen Bruder oder eine Schwester hege, denselben von sich thun oder von der Ceremonie fernbleiben.

Erst nach dieser Rede ging unter den Brüdern auf der einen, den Schwestern auf der anderen Seite von Mund zu Mund der heilige Kuß. Hierauf stand ein anderer Bischof auf, um über das inzwischen auf den Tisch in der Mitte gestellte Brod, welches in dünnen Kuchen, ähnlich den Judemnazzen, bestand ein Gebet zu sprechen, zu dem die ganze Versammlung das Amen sagte. Nun brach der Ausspender des Sacraments von dem Kuchen einen langen Streifen ab, wendete sich zu dem Nachbar zur Rechten und sprach zu ihm: „Lieber Bruder, das Brod, welches wir brechen, ist die Gemeinschaft des Leibes Christi,“ worauf er ein Stück von dem Streifen abbrach und es dem Angeredeten übergab, der es vor sich hinlegte, dann aber auch den Streifen erhielt, mit dem er, seinem Nachbar auf der rechten Seite zugekehrt, ebenso verfuhr, wie der erste Vertheiler. Als auf diese Art Alle ihr Stück Kuchen erhalten, forderte der Vorsitzende Bischof die Versammlung auf, das Brod nun zu essen, sich dabei aber „des gebrochenen und verwundeten Leibes unseres theuren Heilandes“ zu erinnern.

Nach Ausspendung des Brodes wurde über dem Wein gebetet, der in grünen Bocksbeutelflaschen hereingebracht worden war, und von dem Vorsitzenden in Zinnbecher eingeschenkt wurde. Es war Rothwein, und die Becher gingen in derselben Weise, wie vorher die Kuchenstreifen, an den Tischen herum, während man sich dabei deutsch oder englisch zurief: „Lieber Bruder, der Wein, den wir trinken, ist die Gemeinschaft des Blutes Jesu Christi.“

Die ganze Feier schloß mit einem Gebete, worauf Bischof Nead die von fernher erschienenen Brüder zu einem Frühstück im Meetinghouse einlud. Dann zerstreute sich die Versammlung, und auch ich machte mich auf den Heimweg. Noch oft aber stieg in der Erinnerung das Bild auf von dieser nächtlichen Abendmahlsfeier der Tunkerbrüder im Hinterwalde.




Ein Bauernhaus der rothen Erde und ein Schloß am Schwabenmeer.

Von E. v. Hohenhausen.

Es war im Jahre 1830 und einige Jahre vielleicht mehr, als ein großer und stattlich aussehender Mann in einem grünen mit schwarzen Schnüren (Brandenburgs genannt) besetzten Rock, ein leichtes spanisches Rohr in der Hand, aus einem der Thore der alten Stadt Münster schritt und einer nordwestwärts führenden sandigen Landstraße folgte. Er schritt rasch und elastisch dahin; alle Augen hafteten auf der fremden Erscheinung, die so ritterlich und mannhaft, ganz wie ein Musterbild eines adligen Waidmanns und trotz des grauen Haars und des kleinen schneeweißen Knebelbartes so jugendlich kräftig aussah.

Eine Stunde weit mochte der stattliche Wandrer gegangen sein, nur demüthige Landleute, beladene Botenfrauen, Viehtreiber

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_682.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)