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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

waren ihm begegnet und auch nur eine spärliche Zahl. Die sonnig, sandige Ebene lag menschenleer vor ihm, hin und wieder erhob sich darin ein kleines Gehölz, neben dem ein niedriges Haus wie ein banger Vogel sich versteckte in Wallhecken und Buschwerk. Er zog ein Blatt Papier aus der Brusttasche, auf welchem eine kleine kunstlose Zeichnung eine Art Situationsplan angab. Die zur Erläuterung dazwischen geschriebenen Worte waren von klarer, feiner weiblicher Hand. Nachdem er noch einmal prüfend umhergeschaut und die Gegend mit der Zeichnung verglichen hatte, schritt der Fremde rasch entschlossen links vom Wege ab, stieg über einen Schlagbaum, verfolgte einen schmalen Fußpfad, der durch ein Kornfeld führte, erreichte ein schattiges Gehölz und blieb wiederum spähend und lauschend einige Minuten stehen.

Da entdeckte er ein weißes Kleid wie eine Blume im Grünen sich ihm entgegen bewegen, ein Freudenton erreichte sein Ohr und zwei weiche Hände legten sich in die seinigen, ein erglühendes Antlitz barg sich an seiner lautklopfenden Brust.

Der alte ritterliche Herr war ein Bräutigam! Die Braut, die ihm bis in das schattige Gehölz entgegengeeilt, war seiner vollkommen würdig und dazu wenigstens dreißig Jahr jünger als er. Man konnte nichts Edleres sehen als diese große, schlanke, in jeder Bewegung anmuthige Gestalt. Das Haupt, von glattem braunem Haar geziert, trug sie ein wenig nach vorn gebeugt, wie ein Schwan, an den auch die edle geschwungene Linie des Nackens erinnerte. Die Züge waren scharf geschnitten, namentlich die Nase, deren feste Biegung auf Charakterstärke schließen ließ.

Nach der ersten zärtlichen Begrüßung zeigte die Dame mehr ängstliche Zurückhaltung, als sich für die Braut eines so ehrwürdigen, wenn auch noch jugendlichen Greises ziemte. Es war eine heimliche Zusammenkunft, daher die Scheu in dem Benehmen der Braut. Durch Briefe verlobt, war das Paar noch keineswegs der gütlichen Einwilligung der Mutter gewiß. Sie sollte durch den persönlichen Besuch des würdigen Bräutigams jetzt erst errungen werden.

Zaghaft schritt das Paar ab in eine Eichen-Allee, an deren Ende jenes westphälische Haus aus rothem Ziegelstein lag; es war Rüschhaus, der bescheidene Wittwensitz der edlen Freifrau von Droste-Hülshoff, die mit zwei Töchtern dort in tiefster Zurückgezogenheit nicht weit von dem großen, stolzen Familiensitz Hülshoff wohnte, welchen ihr Sohn als Erbherr bezogen hatte. Die älteste Tochter Jenny war, obwohl noch sehr schön, schon über fünfunddreißig Jahr und hatte als Stiftsdame eine sichere und geachtete Zukunft vor sich. Deshalb wollte die Mutter nicht zugeben, daß sie dieselbe aufgebe, um sich einem fremden Manne in weiter Ferne antrauen zu lassen.

Als das Haus in Sicht war, das nur von der Hofseite einem Bauernhaus ähnlich sah, von der Gartenseite aber einen vornehmen Anbau wie ein Jagdschlößchen mit zierlichem Giebel erhalten hatte, eilte die heimlich Verlobte voraus, um die strenge Mutter auf den Besuch vorzubereiten. Der ritterliche Wandrer aber, der schwäbische Freiherr Joseph von Laßberg, der berühmte Kronenwächter der Krone deutscher Dichtung, des unschätzbaren Manuscript-Schatzes, des ältesten Nibelungen-Codex, um dessen Besitz er viel beneidet und weit berühmt wurde, der allverehrte „Meister Sepp von Eppishausen“, wußte in später Zeit höchst ergötzlich zu erzählen, welche bange Viertelstunde er „gleich einem Malviventen, einem Contrabandisten, einem Verdammten“ in einem westphälischen Bauernhöfe versteckt gewesen war.

Er durfte endlich eintreten und der Mutter seiner Braut selbst schildern, wie er vor Jahresfrist bezaubert worden war, als Letztere auf der Rückreise aus Italien mit zwei gelehrten Oheimen die Kunstschätze seines Schlosses besichtigt hatte. Ihr scharfer Verstand und ihr richtiges Urtheil waren im Bunde mit ihrer edlen Schönheit und echt weiblichen Anmuth vollkommen geeignet, einen so sehr durch Frauengunst verwöhnten Mann noch einmal zu jugendlicher Gluth anzufachen.

Mutter und Schwester, die Gegnerinnen dieses allerdings ungewöhnlichen Bündnisses, das durch Briefwechsel der Betheiligten sich befestigt hatte, wurden nun bald durch die persönliche Liebenswürdigkeit des Freiers überwunden. Namentlich wendete sich die Schwester mit raschem Verständniß seiner vielseitigen Bildung und Begabung zu; sie selbst war eine so bevorzugte Natur, daß sie einem solchen Kenner geistiger Schätze das größte Interesse einflößen mußte, denn diese Schwester der künftigen Frau von Laßberg war Niemand anders als die berühmte deutsche Dichterin Annette von Droste. Sie war jedoch damals noch lange nicht als solche anerkannt und galt sogar in der eigenen Familie mehr für wunderlich als bewundernswerth. Auch ihr Aeußeres trug dazu bei, ihr diese Geltung zu erhalten; neben der scheuen Schwester war dasselbe nicht vortheilhaft. Die kleine zierliche Gestalt vom feinsten Knochengerüst war gebeugt und neigte zum Fettwerden. Der Kopf mit hoher Stirn war zu groß für den kleinen Körper, sogar die schönen großen Augen entstellten eigentlich ihr Gesicht, weil sie sehr hervortraten und übersichtig waren, wie man sie in Westphalen den Sehern des zweiten Gesichts zuschreibt. Die Nase hatte zwar einen feinen edlen Schnitt, aber doch die schiefe Richtung, die den Zügen den Ausdruck der Klugheit verleiht und bei dummen Leuten für häßlich gilt. Nur Mund und Zähne, Hände und Füße waren von wirklich tadelloser Form. Eine große Schönheit besaß sie aber in ihrem prachtvollen Blondhaar, das wie ein goldener Mantel, einer Lorelei würdig, sie umwallte, wenn sie es aus den Flechten löste. Aber auch das gereichte ihr nicht zur Zierde, weil sie es nicht vortheilhaft zu tragen verstand, wie sie überhaupt kein Geschick besaß sich durch den Anzug zu verschönern. Die ernste Muse war keine heitere Grazie! Es fehlte ihr ebenso an Neigung wie an Befähigung für die große Welt. Das Einsiedlerleben in dem westphälischen Bauernhause und später in dem schwäbischen Schloß war ganz ihre eigene Wahl und genügte ihrer poetischen Natur vollkommen.

Bevor wir mit ihr und dem neuvermählten Paar nach Meersburg übersiedeln, müssen wir uns noch rechtfertigen, weshalb wir Rüschhaus, den Wittwensitz einer Edelfrau, ein westphälisches Bauernhaus genannt haben. Es ist nämlich nach dem aus der Urväter Zeiten stammenden und treu bewahrten Plane eines solchen erbaut worden, mit seiner breiten Tenne, einer Art Halle oder Scheune, die mit festgestampftem Lehm gepflastert und so hoch ist, daß ein wohlgeladener Heuwagen hineingebracht werden kann. Sie dient als Vorzimmer, Wohnstube und Küche; zu beiden Seiten liegen die Ställe. Pferde und Kühe schauen durch ihre Krippen mit patriarchalischem Gesichtsausdruck den Bewohnern zu und erhalten ihre Fütterung in bequemster Weise vom Wohnraume aus. Ueber den Ställen liegen die Schlafkammern und neben dem niedrigen Heerd, über dem stets der rußige Wasserkessel hängt, befindet sich die kleine Putzstube, deren runde, in Blei gefaßte Fenster die Aussicht in ein Blumengärtchen, von dichten Hecken umkränzt, haben. Hohe Bäume stehen Schildwacht auf dem Hofe, der von Gräben voll blauer Vergißmeinnicht umgeben ist. Genau wie Tacitus die Bauernhöfe Germaniens schildert, findet man sie noch jetzt in Westphalen.

Wie schon erwähnt worden, hatte Rüschhaus an seiner Langseite einen Anbau erhalten, der dem Bauernhaus das Ansehen eines Herrenhauses gab. Ein Domherr ans Münster hatte es sich zum Jagdschlößchen eingerichtet und dabei die Bauernwirthschaft in ihrem alten Recht gelassen. Eine breite steinerne Freitreppe führte aus einem Garten mit französisch zugeschnittenen Taxushecken und plumpen Steinfiguren in einen hübschen Salon, hinter dessen Tapetenwänden der geistliche Herr eine richtige Kapelle ausführen ließ, um bequem darin seine pflichtmäßige Messe trotz des Jagdvergnügens abhalten zu können.

Durch Erbschaft und Kauf war Rüschhaus mit seinen ansehnlichen Ländereien an die Familie des Freiherrn von Droste-Hülshoff gekommen, der einen erblichen Wittwensitz dort gründete.

Wenden wir uns jetzt der Meersburg und ihrem Burgherrn zu.

Joseph von Laßberg gehörte einem aus Ober-Oesterreich stammenden Geschlechte an, das zuletzt im Hofdienst des Fürsten von Fürstenberg stand. Geboren 1770 zu Donaueschingen, in einer Klosterschule daselbst erzogen, studirte er in Freiburg im Breisgau die Forstwissenschaften und wurde schon in seinem dreiundzwanzigsten Jahre als Oberforstmeister zu Heiligenberg angestellt, wo er sich den ersten häuslichen Heerd gründete. In dieser Stellung erweiterte sich seine Wirksamkeit in bedeutsamer Weise. Das Ländchen verlor seinen regierenden Fürsten durch den Tod und bekam einen minderjährigen Herrn, für den die verwittwete Mutter, eine geborene Fürstin Thurn und Taxis, die Regentschaft führte. Die schöne und geistreiche Frau schenkte dem ritterlichen Gelehrten sehr bald ihr ganzes Vertrauen. Er wurde Landesoberforstmeister, Geheimer Rath und endlich nach dem Tode seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_683.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)