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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Rettungsruf nach der Meersburg zu kommen, und dieser Ruf war es, welcher zugleich der deutschen Literatur einen ihrer besten Namen rettete, denn Schücking’s Muse wäre unzweifelhaft erstickt unter den Actenstößen des preussischen Justizdienstes.

Auf dem schwäbischen Schlüsse entfaltete sie sich unter dem Einfluß seiner dichterischen Beschützerin in desto rascheren Erfolgen. Es entstand ein wahrer Weltgesang zwischen Levin und Annette. Es ist schwer zu entscheiden, wer Sieger blieb oder vielmehr wessen Einfluß die Oberhand behielt. Unleugbar hat Schücking viel zur Klärung und bestimmtern Gestaltung der Droste’schen Poesie beigetragen. Man vergleiche nur ihre letzten Erzeugnisse mit den ersten, bei deren Entstehung sie ihm noch fern stand. Das geistige Zusammenleben war zwischen Beiden so innig, daß der Roman „Eine dunkle That“ von Levin Schücking eigentlich ein gemeinsames Erzeugniß ist.

Die Uebereinstimmung der Geister sprach sich seltsamerweise auch in einer ausfallenden Aehnlichkeit der Körperlichkeit aus. Levin hätte sehr gut für einen Sohn der Dichterin gelten können, obwohl er nur vierzehn Jahre jünger war als sie. Seine blauen, glänzenden Augen glichen den ihrigen, wie ja auch Freiligrath von ihn, sang:

„Mein Freund Levin mit den Gespensteraugen ...“

seine feine Nase zeigte dieselbe geniale schiefe Richtung wie die ihrige, und seines Mundes Lächeln war genau derselbe Kampf zwischen Ernst und Scherz, der ihre Lippen reizend umschwebte, wenn sie lächelte, eigentlich immer gegen ihren Willen – nie gezwungen, nur der holden Naturgewalt wahrer Heiterkeit und anmuthiger Spottlust nachgebend! Selbst die zarte Gliederung von Händen und Füßen, das schwächliche Knochengerüst war beiden poetisch-nervösen Naturen eigen, nur trug Levin’s Schädel braunes Haar, während Annette das echte Gold der rothen Erde Westphalens als Hauptschmuck besaß. Eins ihrer schönsten Gedichte schildert das innige Band, das sie mit ihrem Schützling verknüpfte, es befindet sich in der mehrerwähnten Sammlung Seite 105:

„Kein Wort, und wär’ es scharf wie Schwerterklingen,
Soll trennen, was in tausend Fäden Eins!“

Es kam freilich auch oft zum Kampfe zwischen den beiden engverbundenen Geistern; ihr starrer aristokratischer Sinn, der in der Praxis so schön gemildert wurde durch die Humanität ihres edlen Herzens, gerieth in der Theorie sehr oft in Streit mit seinem demokratischen Bewußtsein, dem ewigen Ideal der Jugend. Einem solchen Kampfe verdankt dies Gedicht seinen Ursprung; es beweist, wie schnell stets die Versöhnung darauf folgte.

Das bewegte Dichterleben auf dem schwäbischen Schloß wurde durch Schücking’s Abreise im Jahre 1842 unterbrochen, er trat in die Dienste eines kleinen Fürsten, später in die einer großen Zeitung und verband sich mit seiner schönen talentvollen und leider so früh verstorbenen Gattin, Louise von Gall. Mit ihr zog er dann noch einmal nach der gastlichen Dichterherberge, der Meersburg, um sich den mütterlichen Segen seiner Muse zu holen.

Am 24. Mai 1848 endete ein Herzschlag das Leben von Deutschlands größter Dichterin; sie ruht auf dem kleinen Todtenhof von Meersburg, ein Grab in heimathlicher Erde unter westphälischen Eichen und Nachtigallen wurde ihr nicht zu Theil, aber ein poetischer Immortellenkranz, wie ihn E. Rittershaus in seinem herrlichen Gedicht jüngst dargebracht, ersetzt es ihren Namen. Der gelehrte Ritter Joseph von Laßberg hat seine wappenverzierte Grabcapelle neben ihrem schlichten Rasenplätzchen und unweit der Stätte, wo auch Mesmer, der berühmte Begründer der Lehre vom thierischen Magnetismus, ruht, gefunden, während sein Gemahl im Familiengrab in Westphalen ruht. Die verwaiste Meersburg steht unter dem milden Scepter, dem Lilienstengel, der beiden Zwillingsjungfrauen Hildegard und Hildegund, in denen der poetische Geist und das humane Herz ihrer Tante fortleben.




Blätter und Blüthen.

Ein Demagogenrichter in Aengsten. An einem schönen Sommertage – Donnerstag, den 11. August 1820, Abends zwischen fünf und sechs Uhr – saß, nichts Böses ahnend, in seinem bequem und elegant eingerichteten Wohnzimmer im Bade Gastein Herr Frdr. von Gentz. Allerhand angenehme Gedanken durchkreuzten seinen Kopf. Vielleicht schwelgte seine Erinnerung noch einmal in den Tagen der Carlsbader Conferenzen, wo man ein Jahr früher durch einen einmüthigen Beschluß der großen deutschen Staatsmänner die Demagogen und das Turnwesen beseitigt hatte. Mit Stolz empfand er, daß der Carlsbader Congreß eine große Epoche in der Geschichte bezeichne, die größte retrograde Bewegung, die seit dreißig Jahren in Europa stattgefunden hatte. Und mit diesem weltgeschichtlichen Ereigniß war sein Name aufs Innigste verknüpft, denn kein Anderer als er hatte das Protokoll geführt und fast alle Beschlüsse in der Fassung vorgelegt. Hatte doch die Versammlung am Schlusse „dem Herrn Hofrath von Gentz ihre wärmste Erkenntlichkeit für die wichtige Unterstützung ausgedrückt, die sie in seinen durch das volle Gepräge seines großen Talentes ausgezeichneten Arbeiten gefunden“. Vor ihm gaukelten wohl all’ die über den prächtigen Erfolg hoch erfreuten Gesichter der Staatsweisen, namentlich sein erhabener Gönner, der Fürst von Metternich, der „sich in einem Zustande der Exaltation befand, die ich Ihnen nicht schildern kann, und der hier ganz bestimmt den glänzendsten Moment in seiner ganzen Laufbahn erlebt hatte“. (So schreibt F. von Gentz an seinen Freund Pilat am 1. September 1819 aus Carlsbad.) In einem Augenblick hatte sich die Stimmung dort so erhoben, daß am Schluß der Sitzung Jemand den Vorschlag that, Alle sollten in die Kirche gehn und den Ambrosianischen Lobgesang anstimmen. Und der Vorschlag wäre gewiß ausgeführt – wenn er nur leider nicht von einem Protestanten hergekommen wäre!

In solchen Gedanken gestört zu werden, ist immer nicht angenehm. Ein Diener tritt ein und meldet den Dr. Reimer aus Berlin, der mit einem jungen Manne dem Herrn Hofrath aufzuwarten wünsche. Die Schilderung dieses Besuches und einiger sich daran knüpfender Erwägungen besitzen wir in des Herrn Hofraths eigener Darstellung.

„Ich glaubte“, so schreibt er an seinen Herzensfreund Pilat, den Redacteur des officiellen Wiener Beobachters – diese Briefe sind jetzt kürzlich von dem Heidelberger Professor Mendelssohn Bartholdy herausgegeben – „es sei ein Sohn des bekannten Reimer, und leugne Ihnen nicht, daß sofort alle Sands und Löhnings von Norddeutschland vor meinem Gemüthe standen. Da die beiden Menschen schon im Nebenzimmer wären, so blieb Anstandshalber nichts übrig, als sie kommen zu lassen. Hieraus trat ein der berühmte Herr Buchhändler in höchsteigener Person, nebst einem ziemlich jungen und sehr häßlichen Hrn. de Wette, vermuthlich einen Sohn des berüchtigten (!) Professors. Sie wären auf einer Fußreise zu Mittag hier angelangt, hatten das Naßfeld besehen und wollten noch denselben Abend ihren Rückmarsch nach Hof Gastein antreten, von wo sie dann über Salzburg, Linz und Prag nach Berlin zurückkehren. Der Besuch, dessen eigentliches Motiv ich nicht begreifen konnte und noch nicht begreifen kann, setzte mich in einige Verlegenheit, die ich aber unter einer sehr höflichen Aufnahme, so gut es gehen wollte, verbarg.

Sie erzählten mir, sie kämen von München und hätten das Unglück gehabt, auf einer Wanderung von dort nach dem Kochelfall einen ihrer Reisegefährten, einen Maler Zimmermann aus Berlin, zu verlieren. Dieser junge Deutsche hatte sich aus reinem Uebermuthe (!) fünf Meilen diesseits München in einem reißenden Bergstrome (der Loisach) gebadet und war ohne Weiteres ertrunken. Seine Gesellschaft ging also nach München zurück, ließ ihn dort begraben und wanderte nun nach Salzburg, und durch den Pinzgau nach Gastein, um hier etwa acht oder neun Stunden zuzubringen.

Ich fragte, ob ihre Gesellschaft zahlreich sei, und erhielt die Antwort, sie wären jetzt noch ihrer sieben, wovon drei nur genannt, die Uebrigen vielleicht aus Schonung mir verschwiegen wurden. Die Genannten waren: Herr Danz, Herr Röder und ein gewisser Herr von Förster[WS 1], der, wenn ich nicht sehr irre, einer der Helden und Geschichtsschreiber der Befreiungskriege war. Als ich diese Namen hörte, wurde mir sonderbar zu Muthe. Indessen nahm ich meine Partie und setzte das Gespräch ruhig fort. Es fiel, ich weiß nicht wie, auf die Handelsverhältnisse zwischen den Bundesstaaten, dann auf die preußische Finanzverwaltung und Steuersysteme überhaupt. Es dauerte, Gotttob! nur eine halbe Stunde. Jedes Wort, welches die Unholde sprachen, verrieth den inneren Grimm gegen alles Bestehende und ihre hochmüthigen Projecte, Alles neu zu schaffen. Von eigentlicher Politik hielt ich sie streng entfernt und auf die Frage, ob ich keine neuen Nachrichten aus Italien hätte, antwortete ich kurz und trocken mit: Nein! Als sie fort waren, konnte ich mich nicht enthalten, Gott zu danken, daß ich mit dem Leben davon gekommen war; denn mehr als einmal kam mir der Gedanke, sie würden Dolche oder Pistolen aus der Tasche ziehen.

Allen Scherz bei Seite gesetzt, werden Sie wohl begreifen, daß ich, der ich mit dieser Höllenbrut nun so lange in keiner Berührung gewesen bin, mich äußerst unheimlich mit ihnen fühlen mußte und daß ich lieber noch einmal, allenfalls auch bei Nacht, über alle hängenden Brücken der Klam und alle Abhänge der Salzach gehen oder fahren, als mit diesen deutschen Carbonari unter einem Dache leben wollte. Hätte sich die Rotte auch nur auf drei Tage hier niedergelassen, ich wäre sogleich davon gegangen und hätte mich in Böckstein oder Hof-Gastein so lange einquartiert, bis der Ort wieder rein gewesen wäre. Daß übrigens eine ganze Gesellschaft solcher notorischer Umtriebler, wovon wenigstens die Hälfte erst vor sechs Monaten eingesperrt oder flüchtig war, unsere Provinz in allen Dircetionen frei durchstreifen darf, scheint mir doch eine bedenkliche Sache; und besonders zu Fuß, wo alle Controlle aufhört und wo sie in den abgelegensten Winkeln der Monarchie treiben können, was ihnen beliebt. Die Leichtigkeit, womit unsere Gesandtschaften zu Berlin und Dresden Pässe

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_687.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)