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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

erhalten, die jetzt nicht ausbleiben soll. Was ist seit einiger Zeit mit Ihnen vorgegangen? Ich kenne Sie gar nicht wieder! Von Ihnen zuweilen ausgescholten zu werden, bin ich seit Jahren gewöhnt, aber nicht, Sie unfreundlich und launisch zu sehen! Sie sprechen jetzt mitunter in einem Tone mit mir, so kühl und fremd, daß ich mich auf mich selbst besinnen muß; Sie bleiben Tage lang aus, und frägt man nach dem Grunde, so hat keiner existirt.“

„Werde ich denn vermißt, Helene?“ fragte er, und eine eigenthümliche Weichheit milderte den meist etwas schroffen Ausdruck der männlich schönen Züge, während er vergebens ihr Auge suchte.

„Welche Frage!“ sagte die junge Frau empfindlich, doch mit einiger Befangenheit zu ihm aufsehend. Plötzlich lief ein lichtes Roth über ihr Gesicht hin, wie der Abendschein über eine schneeige Bergspitze. Feldheim’s Auge, das noch fest an ihr haftete, leuchtete auf, einen Moment nur, denn schon wußte er, daß dies mädchenhafte Erröthen nicht ihm gegolten hatte. Der elastische Schritt, der sich der Thür näherte, war diesmal nicht zu verkennen, und das helle „Herein!“ Helenens klang mit dem Klopfen des Nahenden fast zusammen.

Feldheim blieb in strammer, hoch aufgerichteter Haltung neben dem Sopha stehen, während Otto Schaumberg sich der jungen Frau näherte und die leichte Hand, die sie ihm entgegenbot, ein paar Augenblicke in der seinen hielt.

„Sie haben doch meine Botschaft erhalten, weshalb es mir nicht möglich war, Sie gestern zu sehen?“ fragte der junge Arzt, sich neben ihr niederlassend.

„Heute aber haben Sie Zeit für mich, nicht wahr?“ sagte Helene herzlich. „Die ganze Woche über mußte ich mich ja mit Viertelstunden begnügen, wir haben seit hundert Jahren weder zusammen botanisirt noch musicirt!“

„Dafür bringe ich Ihnen heute auch etwas Hübsches mit,“ erwiderte Otto heiter, indem er ihr eine zierliche Mappe vorlegte. „Mein Freund und Ihr Verehrer Marbach ist gestern von seiner Schweizerreise heimgekehrt und war so liebenswürdig, mich mit diesem Album der dortigen Flora zu beschenken.“

Lebhaft griff Helene nach der Mappe. Es war eine Sammlung der mannigfaltigsten Alpenblumen, in der kunstreichen Weise getrocknet, die den Blüthen weder ihre Farbe, noch ihre Zartheit abstreift und sie mit aller Frische eines Gemäldes und allem Schmelz der Natur dem Auge bewahrt. Erklärend und manche interessante Schilderung jener von ihm früher selbst durchstreiften Landschaften der Schweiz daran knüpfend, schlug Schaumberg die Blätter für sie um, und ein interessantes Gespräch, an dem sich auch der Major betheiligte, war bald im Gange. Schon begann es zu dämmern, als Frau von Klinger, von ihrer Excursion zurückkehrend, plötzlich wie eine Bombe in’s Zimmer fuhr.

„Mein Himmel, Cousine, wie siehst Du aus?“ rief Helene bestürzt. „Du triefst ja wie eine Wassernixe!“

„Ja, Kind,“ sagte die alte Dame kläglich, „naß bin ich, aber das wollte ich gern ertragen, wären nur die Menschen nicht gar so schlecht! Nun denke Dir, da komme ich in’s Leihhaus, und wie ich vor dem Eingang zum Bureau bin, lasse ich natürlich meinen nassen Regenschirm draußen auf dem Flur. Drin im Zimmer habe ich lange warten müssen, bis ich dazu kam, endlich meine Anzeige wegen der Uhr zu machen, denn es waren eine Menge Leute da, und ich sah und hörte auch gar Vielerlei, was mir die Zeit nicht lang werden ließ. Nun denke Dir, wie ich nach einer Weile hinauskomme, ist mein neuer seidener Regenschirm auch fort! Natürlich habe ich im Bureau Lärm geschlagen, aber der Beamte war ganz unhöflich, und die Weiber, die drinnen herumstanden, haben mich noch dazu ausgelacht.“

Helene brach bei diesem bekümmerten Bericht in lautes Gelächter aus.

„Ja, Du hast es wohl nöthig, auch zu lachen,“ sagte Frau von Klinger ganz böse. „Das ist wohl der Dank dafür, daß ich eine Erkältung riskire und mit meinen nassen Kleidern hereinkomme, nur um Dir zu sagen, daß Du selbst bestohlen bist! Sieh doch einmal nach Deinen Schmucksachen! Dort hat ein altes Bettelweib ein paar Schmuckstücke versetzt, die, wenn ich nicht sehr irre, zu Deinem Filigranschmuck aus der Großmutter Erbschaft gehören. Ich habe freilich nicht die besten Augen, aber sieh nur gleich einmal nach.“

„Warum nicht gar!“ sagte Helene, immer noch lachend, ohne sich von der Stelle zu bewegen; „mein Schmuck ist wohl verwahrt, der macht keine Reisen in’s Leihhaus.“

Otto Schaumberg wandte sich lebhaft zu ihr. „Warum sich nicht überzeugen, gnädige Frau, und wäre es auch nur, um bei dieser Gelegenheit unseren profanen Männeraugen Einsicht in Ihre Schätze zu gewähren? Ich schwärme für alterthümlichen Schmuck von Filigranarbeit!“ Er hatte mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit und erhöhter Farbe gesprochen. Helene erröthete unter seinem ausdrucksvollen Blick bis in die Schläfe, schüttelte aber verneinend das schöne Köpfchen, und sagte in etwas capriciösem Ton: „Wenn ich mich überhaupt entschließe, meine bequeme Lage aufzugeben, so wäre es nur, um Musik zu machen. Ich habe die vierhändigen Symphonien, die Sie mir schickten, schon durchgesehen; wollen wir daran gehen?“

Statt der Antwort sprang Otto rasch auf, öffnete den Flügel und schob ein Fußkissen darunter, worauf er seine Patientin während der paar Schritte, die zwischen ihrem Sopha und dem Instrumente lagen, sorglich unterstützte.

Die alte Dame war murmelnd verschwunden. Feldheim zog sich stillschweigend in eine Fensternische zurück und betrachtete mit ernstem Gesicht und gekreuzten Armen die beiden Spielenden, die, bereits in ihr Vorhaben vertieft, seine Anwesenheit nicht mehr beachteten. Während er am Fensterkreuz lehnte, ohne sich zu rühren, brauste und tobte es in ihm, wie in einem Vulcan. Er blickte unverwandt auf Helene, deren feines Profil ihm zugekehrt war. Wie lange schon kannte er dies süße Gesicht! und doch schien es ihm, als hätte er es nie vorher gekannt – nie mit diesem Ausdruck gekannt, der es jetzt durchleuchtete!

(Fortsetzung folgt.)




Ein Musikabend beim Prinzen Louis Ferdinand.

„Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die
      Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals Wagen durch …
Wohin es geht – wer weiß es?“
 Goethe, Egmont.

Die Goethe’sche Egmont-Gestalt ist für uns der Inbegriff aller Ritterlichkeit, der Typus eines Volkshelden im höheren Sinne des Wortes geworden, jenes Helden, der überall zu siegen wußte, eine Erscheinung, die jedes menschliche Wesen bezauberte und vermöge ihrer glänzenden Eigenschaften und ihres Herzens Jeden bezaubern mußte, gleichviel ob Mann ob Weib, Jung oder Alt, – fast wie Bertrand de Born, der Troubadour, von dem es heißt:

„er sang sie Alle in sein Netz!“

Aber jener „Prinz von Gaure“, der sich am liebsten „Graf Egmont“ nannte, bleibt doch mehr oder weniger nur ein Bild aus ferner Zeit im Schleier der Dichtung, kein warmes lebendiges Menschenkind, dessen Augen wirklich leuchten und lächeln, dessen Blut heiß durch die Adern rollt, dessen Herz klopft, dessen Stimme wir noch zu vernehmen glauben, und dessen Athem wir fast an unserer Wange hinwehen fühlen. Welchen Eindruck ein Egmont von Fleisch und Blut hervorrufen mußte, und – hervorgerufen hat, wird uns erst klar in der Erinnerung an jene einzige Gestalt der neueren Zeit, die unserm Dichter zu dem Bilde seines Lieblings gesessen haben könnte, in Erinnerung an den Prinzen Louis Ferdinand.

Wer kennt sie nicht, die kurze Geschichte des preußischen Königssohnes, des Neffen Friedrich’s des Großen, des genialen Mannes, mit dem seine Umgebung nicht recht fertig zu werden wußte? War sie zu klein und armselig, die Welt der damaligen Zeit für den Thatendrang der Feuerseele? Lebte Prinz Louis Ferdinand ein Jahrhundert zu früh oder zu spät? So fragen wir uns unwillkürlich, diesem reichen und doch so unbefriedigten, thatenlosen Dasein gegenüber. Es ist, als wären die Schranken für ihn überall zu eng, als paßte sie in den Rahmen ihrer Zeit nicht recht hinein, diese Männergestalt, deren Schönheit die Frauen bewunderten,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_724.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)