Seite:Die Gartenlaube (1868) 735.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

ich die von mir Herabgeschossene, und ich war Egoist genug, um in innerster Seele vollkommen zufriedengestellt zu sein, besonders da von den beiden andern doch wenigstens eine, die dem platschenden Klange nach in’s Wasser gefallen war, am andern Morgen gefunden werden mußte.

In dieser Hoffnung gaben wir denn endlich unsere Nachtsuche auf, und stracks ging es nun durch den unterdeß rabenschwarz gewordenen Wald zurück nach unserm bestellten Nachtquartiere im Vogelheerde. Trotz tiefster Finsterniß und wurzelhöckerigem Wege kamen wir wohlbehalten dort an, wo wir die ausgefrorenen Glieder, denn es war ganz ernstlich schneekalt geworden, am wubbernden Kachelöfchen auswärmten. Bald stand denn auch auf dem Tische vor uns eine vortreffliche Hollundersuppe und dampfende Kartoffeln, welchem Mahle wir nun wacker zusprachen. Darnach bot mir der alte Vogler noch einen Knochen zum „Abknaupeln“ an, der, wie er hinzufügte, von einer Ziege herrühre, die ein Häusler aus seinem Dorfe vor Kurzem ausgeschlachtet habe und wovon er sich einen Theil gekauft hätte. Der Knabe Carl fing an, mir fürchterlich zu werden, und da er dies fühlen mochte, versicherte er mich treuherzig, daß ich solchen Braten gewiß nicht stehen lassen würde; dabei brachte er ihn unabweisbar herbei.

Um dem gutmüthigen Geber nicht wehe zu thun, griff ich ergeben zum Nickfänger, um wenigstens durch ein paar Bissen Bescheid zu thun, wobei mir jedoch der Duft dieses Restes gar lieblich und sympathisch in die Nase stieg, so daß ich nun wirklich mit bestem Appetit und ganz ordentlich zulangte. Und siehe da, ich überzeugte mich dadurch gar bald, daß ich – Rehbraten aß, auch wenn mir meine osteologischen Kenntnisse nicht deutlich gesagt hätten, daß der Braten, ein solcher war der noch recht fleischreiche Knochen, von einem „Mosje Böckert“[1] herrühren müßte. Ich schwieg vorläufig zu meiner Entdeckung und knispelte nun das Skelet so rein ab, daß es schließlich wie polirt auf dem brauntöpfernen Teller vor mir lag. Dies schien den Alten, den ich übrigens schon von der Seite kannte, daß er, um mit ihm selbst zu reden, „manchmal a Reh’chen fund,“ hoch zu erfreuen, vielleicht nur, weil er glauben mochte, mich bei alledem getäuscht zu haben.

Wie traulich war es nun im niedlichen Stübchen! Knackernd brach der redselig gewordene Vogeltobias das dürre Reis über das lederbehoste Knie, um es in die kleine Feuerstätte nachzuschieben, wobei die helle Lohe lebhaft zum Thürchen herauszüngelte und nicht nur den heimlichen Aufenthalt durchwärmte, sondern auch noch mit jenem für mich unbeschreiblich angenehmen Geruch erfüllte, den das harzig-aromatische Fichten- und Tannenreis, wenn es in einzelnen frischen Zweiglein auf die Gluth kam, verbreitete. Dazu das anmuthende Flackerlicht des Feuerchens, das mit zuckendem Schein alle die Netze und anderen Geräthschaften an der Wand, wie die vielen Gebauer mit ihren schmucken kleinen Insassen erleuchtete, welch’ letztere dann im oftmaligen Aufwachen noch ihre heimlichen Locktöne hören ließen. Alles dies aber nach gehabtem Waiderfolg, ausgewärmt, gesättigt und behaglich in einem höchst bequemen Lehnsessel ruhend genießen zu können, während der brausende Nord unterdeß sich erhoben, die Umgebung der niedrigen Hütte durchtobt oder zuweilen ruckweise pfauchend in die kleine Esse fährt – das ist eine Wonne! Und als wir uns nun schon um acht Uhr auf das duftige Lager von frischem Tannenreisig warfen, jeder eine warme Decke für die Nacht zur Hand, um die später zu erwartende Kälte im nicht mehr geheizten luftigen Stübchen abwehren zu können, da lauschte man wohl noch fort und fort Freund Brausewind zu, wenn er die dürren Aeste der um den Heerd stehenden „Krakeln“ knackend zur Erde warf, dann wieder wimmernd und heulend durch die alten Föhren des nahen Bestandes zog oder hohl die weite Luft durchrauschte.

Aber trotz seiner starken Stimme hatte mich Herr Blasius doch nach und nach in tiefen Schlaf gelullt, so daß ich, als man mich weckte, es kaum glauben wollte, daß es schon Zeit zum Aufstehen sei. Doch schnell sprang ich empor und trat nun vor die Thür des Hauses, wo jetzt der Wald in tiefster Schweigsamkeit und unter leichter weißer Decke vor mir lag; es war nach beruhigter Natur in der Nacht der erste Schnee dieses Jahres gefallen. Rasch hatte ich mich, während der thätige Vogelsteller den Strauch zum Fang bestellte, im nahen Quell, von dem ich erst die darüber geharschten Eisscherben zertrümmern mußte, gewaschen und kehrte schnell zurück in’s bereits erwärmte Stübchen, um die mit der Dämmerung zu erwartenden Krammetsvögel nicht zu verscheuchen. Inzwischen wurde ein sogenannter Kaffee, in der That aber nur ein Aufguß auf gebrannte Eicheln, eingenommen; wer wollte, konnte aber auch statt dessen einen auf grüne Tannenzapfen aufgesetzten Schnaps, eine Art von Todtenwecker, genießen.

Bald zeigte sich gen Osten ein dämmernder Streif und mit dessen Erscheinen regte sich’s auch draußen in der Vogelwelt. Zuerst unterbrach die lautlose Stille das eigenthümliche „Schackern“ der einzeln ankommenden Großvögel, deren bald ganze kleine Flüge folgten und ein paarmal auch auf die „Krakeln“ auffielen, doch ohne darnach in den „Strauch“ einzugehen. Später schnippste es überall von den kleinen muntern Goldhähnchen und den lustigen Meisen. Auch das schrilllachende Pfeifen des Spechtes oder der kreischende Ruf des Eichelhehers durchtönte nur zuweilen den Wald und fesselte meine Aufmerksamkeit, bis wieder ein Flug Ziemer den Heerd bestrich und auch nach kurzem Besinnen in die Garne einfiel. Ein starker Zug an der Rückleine – und die Netze flogen über die Bethörten zusammen. Fünfzehn Stück waren gefangen und büßten ihr Vertrauen mit dem Tode.

Wir aber, da es schon ziemlich hoch am Morgen geworden war, brachen auf, unsere gestern im Stich gelassene Beute nochmals zu suchen. Was uns den Abend zuvor unmöglich gewesen, sollte uns heute Morgen sehr leicht gelingen; denn glücklicherweise war die eine der noch nicht Gefundenen auf freies, grasloses Ufer gefallen, so daß wir die Leichtbeschneite zu unserer höchsten Freude schon von Weitem liegen sahen. Die andere aber, die in’s Wasser Gestürzte, hatte der nächtliche Sturm an den eisgesäumten Rand des Teiches getrieben, wo wir sie ohne Mühe mit einer abgeschnittenen Stange herausholen konnten. Heiteren Sinnes trennten wir uns deshalb auf dem Wahlplatze; ich den meilenweiten Weg nach der heimathlichen Stadt antretend; er aber, mein freundlicher Gönner und Waidgenosse „schlug sich seitwärts in die Büsche“, seinen trauten, tief im Walde verborgen gelegenen häuslichen Heerd zu erreichen.




Blätter und Blüthen.


Der Mensch als Poststück. Vor einigen Monaten erschien ein Engländer auf einem der Pariser Postämter und bat, ihn wiegen und dann ihm sagen zu wollen, wie viel er an Porto zu bezahlen hätte, wenn man ihn als Brief nach London spedire. Das Verlangen war etwas außergewöhnlicher Art, aber den Engländern hält man schon kleinere und größere Excentricitäten zu Gute, und so nahmen die Beamten die Sache für einen guten Spaß, dachten auch wohl, daß es sich um irgend eine Wette handeln möchte, wie sie unter den Engländern, die auf und über Alles im Himmel und auf Erden wetten, an der Tagesordnung sind, und gingen harmlos auf das Verlangen ein. Man wog denselben, der ziemlich umfangreichen Leibes war, und rechnete eine Summe von achttausend und etlichen Hundert Franken heraus, welche er für einen Brief vom Gewichte seines Körpers an Porto zu bezahlen haben würde. Als aber der dicke John Bull geschäftig seine Brieftasche herauszog, den genannten Betrag in Banknoten aufzählte und mit ernster Miene ersuchte, ihm die nöthigen Marken aufzukleben und ihn ohne Verzug mit der Briefpost nach England zu befördern, da ward man inne, daß der Lord mehr als einen Sparren zu viel im Kopfe habe, und überwies den Tollhäusler seiner Gesandtschaft zu sicherer Verwahrung und weiterer Behandlung.

So haben die Zeitungen erzählt. Wir lassen dahin gestellt sein, ob die Scene sich wirklich zugetragen hat, oder aus Mangel sonstiger Nachrichten von einem sinnreichen Berichterstatter erfunden worden ist, wollen aber unsererseits jetzt erzählen, daß der Gedanke, den in Paris ein irrsinniger Lord ausgebrütet, der Gedanke, den Menschen als Poststück zu behandeln, jetzt in England selbst von einem sehr klaren Kopfe in vollem Ernste ventilirt und zur Ausführung empfohlen wird. Der Vorschlag erscheint auf den ersten Blick als sehr absonderlich, und dennoch verdient er unsere Aufmerksamkeit und Erwägung im höchsten Grade.

Ein Herr Raphael Brandon hat soeben nämlich in einer von ihm verfaßten Broschüre[2] nichts Geringeres in Anregung gebracht, als eine totale Umwälzung des Princips, auf welchem die Personentransporttarife sämmtlicher Eisenbahnen beruhen. Sein Plan geht dahin, das von dem bekannten Rowland Hill erdachte sogenannte Pennyportosystem, welches nach und nach in fast allen civilisirten Staaten für den wichtigsten Zweig des Postwesens eine völlig neue Aera geschaffen hat, auch für die Personenbeförderung auf den Eisenbahnen anzuwenden. Er beantragt, wie oben

  1. “Mosje Böckert“ nennt man scherzweise einen Rehbock.
  2. „Railways and the Public“.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_735.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)