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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

erwähnt, den Passagier als Brief zu behandeln und ihn, gleichviel wie groß die Entfernung seines Reisezieles sei, durch das gesammte Gebiet des Vereinigten Königreiches zu einem und demselben bestimmten niedrigen Fahrpreise zu expediren. Eine Dreipence-Marke soll den Reisenden von London nach dem Krystallpalaste von Sydenham wie nach der äußersten Spitze von Schottland in dritter Wagenclasse befördern. Wer sich der zweiten Wagenclasse bedient, soll sich eine Sechspencemark, und wer sich den Luxus der ersten Classe gönnen will, eine Schillingsmarke zu lösen haben.

Fast sind wir ohne weitere Prüfung geneigt, die Idee in eine Kategorie mit der unsers Lords in Paris zu reihen, mit jeder Seite aber, welche wir in der angeführten Broschüre weiter lesen, leuchtet uns der Vorschlag mehr und mehr ein, wir finden, daß er etwas Anderes und Besseres ist als die nichtige Chimäre eines phantastischen Projectenmachers. Scharfsinnig, klar und ruhig legt der Verfasser vielmehr dar, daß sein System allen Betheiligten zu Gute kommen würde, Actionären, Publicum und Staat, und überdies zu einem gewaltigen Aufschwunge der Gewerbthätigkeit aus allen ihren Gebieten Anstoß geben dürfte. Dabei begründet er seine Auseinandersetzung durch das Positivste, was wir kennen, durch Zahlen. Ende 1865 belief sich das in sämmtlichen Eisenbahnen Großbritanniens und Irlands angelegte Capital auf vierhundert und dreiundvierzig und eine halbe Million Pfund Sterling, die sich im Durchschnitte nur zu vier und zwei Fünftel Procent verzinsten, folglich nichts weniger als hohe Interessen abwarfen.

Vor Allem nun, fährt Brandon fort, ist es nothwendig, daß der Staat alle Eisenbahnen ohne Ausnahme in seinen Besitz bringt, wie dies mit Post und Telegraphen der Fall ist; damit würden schon eine Menge kostspieliger Directorien in Wegfall kommen und allein an Parlaments- und ähnlichen Sporteln die Kleinigkeit von jährlich etwa einer halben Million Pfund Sterling erspart werden. Dies sind indeß bloß Fliegenstiche bei einem Plane von solcher Tragweite. Die Hauptsache ist, für die leichteste und billigste Beförderung zu sorgen, alsdann wird sich der Personenverkehr zu einer bis jetzt gänzlich ungeahnten Höhe steigern. Wie das wohlfeile Porto die Correspondenz verhundertfacht hat, so reisen schon jetzt, bei den gegen früher so sehr erleichterten und demokratisirten Verkehrsmitteln, Tausende, wo in den Post- und Stellwagen ehedem höchstens Dutzende reisten. Im Allgemeinen wird aber noch lange nicht so viel gereist, wie man reisen würde, wenn die Fahrpreise der Eisenbahnen ähnlich dem Porto auf einen gleichförmigen Satz reducirt wären. Wir lesen, wie in Perioden von Geschäftsstockungen sich in gewissen Districten brodlose Arbeiter massenhaft anhäufen und den Gemeinden zur Last fallen, weil die Höhe der derzeitigen Eisenbahnfahrpreise ihnen unmöglich macht, sich nach entfernten Gegenden und Orten zu begeben, wo es augenblicklich an Arbeitern fehlt und demnach die Arbeit hoch im Preise steht. Sobald wir eine billige Locomotion haben. wird also der Verarmung ein kräftiges Halt geboten sein. Jeder wird reisen, wenn die Beförderung selbst so gut wie nichts kostet. Allein dies ist blos möglich, wenn die Eisenbahnen ausschließlich vom Staate verwaltet werden.

Das von Brandon vorgeschlagene „Passagierporto“ – so nennt er es – klingt lächerlich niedrig, bleibt jedoch in Wirklichkeit nicht so weit hinter dem Durchschnitte der jetzigen Eisenbahnfahrpreise zurück, wie man vermuthlich glaubt. In runden Zahlen liefen 1865 in England drei und eine halbe Million Personenzüge über einundsiebenzig Millionen englische Meilen, welche zweihundert und zweiundfünfzig Millionen Passagiere beförderten und an Fahrgeld eine Summe von vierzehn Millionen siebenhundert und vierundzwanzig Tausend Pfund Sterling einbrachten. Dies ergiebt durchschnittlich auf jeden einzelnen Zug nahezu neunundzwanzig englische Meilen und dreiundsiebenzig Passagiere, mithin etwa drei und einen halben Passagier pro Meile, woraus ferner hervorgeht, daß jede einzelne Fahrt zu den gegenwärtig bestehenden Fahrtaxen im Durchschnitt pro Kopf mit vierzehn Pence bezahlt wird.

Jetzt bewilligt mir, folgert unser Autor ferner, für jede Fahrstrecke ein Personengeld von drei Pence, und ich verspreche einen sechsmal stärkern Verkehr als den derzeitigen, so daß die Gesammteinnahme der englischen Bahnen um vier Millionen Pfund Sterling mehr betragen wird, als jetzt, ohne daß sich die Betriebskosten nennenswerth erhöhen dürften. Nun aber läßt sich mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß nicht alle Passagiere um drei Pence in dritter Classe, sondern daß etwa ein Siebentel in erster Classe zu einem Schilling und zwei Siebentel in zweiter Classe zu sechs Pence reisen werden. Hierdurch stellt sich der jährliche Ertrag des Eisenbahnpersonenverkehrs auf zweiunddreißig Millionen Pfund Sterling, während er gegenwärtig, wie wir gesehen haben, vierzehn und drei Viertel Million nicht übersteigt. Vielleicht giebt sich Brandon einer etwas zu sanguinischen Hoffnung hin, wenn er voraussetzt, daß sein neues Fahrtaxensystem die Personenfrequenz der Bahnfahrten um das Sechsfache vergrößern werde, indeß statuiren wir auch nur die Hälfte, nur eine dreifache Erhöhung, was gewiß nicht überschwänglich ist, so bleibt immer noch ein Mehr von zwei Millionen über den derzeitigen Einnahmebetrag, abgesehen von der Ersparniß, welche durch die Einheit der Bahnverwaltung unfehlbar erzielt würde.

Sind alle diese Daten und Ziffern auch blos englischen Verhältnissen entnommen, wie das Project selbst nur das englische Eisenbahnnetz in’s Auge faßt, so sehen wir doch keinen Grund, der eine Verwirklichung der Idee in andern verkehrsreichen Ländern, speciell auf unseren deutschen Eisenbahnen ausschlösse. Unbedenklich behaupten wir vielmehr, Brandon’s Plan ist der Kern des Eisenbahnwesens der Zukunft. Daß er bereits vor vier Jahren dem englischen Parlamente die Grundzüge, welche er in seiner jetzigen Broschüre weiter ausführt, zur Begutachtung unterbreitet hat, und daß man seine Vorschläge einfach ad acta legte, in den großen Papierocean warf, in dem so mancher geniale Gedanke sein Grab gefunden hat, – das beweist nicht das Mindeste wider die Lebensfähigkeit seiner Idee. Ist es nicht Rowland Hill ganz ebenso ergangen? Als er vor nunmehr einunddreißig Jahren den englischen Gesetzgebern und Behörden den Plan seiner „Post Office Reform“ vorlegte, fertigte der damalige Chef des englischen Postwesens, Lord Lichfield, die Sache als den „überschwänglichsten aller tollen und phantastischen Pläne“ ab – und heute ist sein Gedanke die Angel, um welche sich das gesammte Postwesen der Neuzeit dreht. Wer kann uns somit widerlegen, wenn wir in Raphael Brandon den Rowland Hill der Eisenbahn weissagen?




Das Hans Sachs-Denkmal, mit welchem Nürnberg sich zu Ehren eines seiner größten Bürger schmücken will, hat in den deutschen Liedertafeln den patriotischen Geist vielfach angeregt, und nicht bloß die dadurch erschwungene Beisteuer zu den Denkmalkosten, sondern auch die sie begleitenden Schreiben verdienen freudig begrüßt zu werden. Eines derselben, vom Sängerverein in Stolpe, theilen wir hier mit: „Gerne sind wir“ – heißt es darin – „Ihrer Aufforderung entgegen gekommen, um zu zeigen, daß in unserm äußersten Winkel Hinterpommerns nicht mehr der geistige Tod die Herrschaft hat, sondern frisch und freudig an der Bildung und Gesinnung besonders des kleinen Handwerkerstandes gearbeitet wird. Eben deßhalb halten wir es für eine gebotene Pflicht des Handwerkerstandes, sich bei der Sammlung von Beiträgen zu dem Denkmal des reinen und wahren deutschen Mannes Hans Sachs zu betheiligen und dessen Andenken dadurch zu ehren. In diesem Sinne erhalten Sie das Inliegende (25 Thlr.), mit dem herzlichen Wunsche, daß Ihnen von sämmtlichen Handwerkervereinen Deutschlands möge Größeres geboten werden.“

Diesem Wunsche kann man sich nur mit Freude anschließen, denn die Erfüllung desselben würde das Denkmal selbst vollenden helfen; vor alledem dürften auch die Hof-, Stadt- und Privattheater wiederholt an die Ehrenpflicht zu mahnen sein, die sie dem Vater der deutschen Nationalbühne noch heute schuldig sind.




Die musikalischen Classiker bilden das tägliche Brod der Unterrichtsanstalten sowohl wie der Kunstfreunde. Ihre billigste Verbreitung, so daß sie Gemeingut auch der wenigst Bemittelten werden können, ist ein desto dringenderes Bedürfniß, nachdem die Werke der großen deutschen Dichter durch wohlfeile Ausgaben Allen zugänglich gemacht worden sind. Wenn als Hauptaufgabe bei solchen Volksausgaben die Verbindung von äußerster Wohlfeilheit mit größter Correctheit und Lesbarkeit anzusehen ist, so muß man unter allen Concurrenten der Peters’schen Ausgabe den Vorrang zugestehen. Sie umfaßt alle musikalischen Classiker und in einer so eleganten Ausstattung, daß man, wären die Preise nicht bekannt, nicht ahnen würde eine Volksausgabe vor sich zu haben. Gewiß werden in diesem Gewande die Schöpfungen der Musikheroen überall Eingang finden.




Marlitt’s Gold-Else wurde so eben in vierter Auflage ausgegeben. Auf dem deutschen Büchermarkte ist es bis heute eine noch nie dagewesene Erscheinung, daß bei einem Romane, der durch eine weitverbreitete Zeitschrift wie die „Gartenlaube“ bereits eine ungeheure Verbreitung gefunden, binnen achtzehn Monaten noch vier starke Auflagen in Buchform nöthig wurden, denen vielleicht bald noch einige andere folgen werden. Gold-Else ist in ganz Europa und Amerika – denn es existiren bereits englische, französische, russische und holländische Uebersetzungen – ein Liebling der Frauenwelt geworden, und das Buch verdient diese große Anerkennung sowohl seines schönen poetischen Gestaltenreichthums wie seiner eben so humanen wie klaren und freisinnigen Lebensanschauung wegen.




Berichtigung. Es ist uns zu sehr um Feststellung selbst der geringfügigsten Wahrheit zu thun, als daß wir anders, denn mit Dank eine Berichtigung hinnehmen sollten, die auf unseren Artikel: „Oesterreichische Berühmtheiten 2. Der Minister des Innern“ sich bezieht. Wir bemerken also, daß Herr Dr. Giskra allerdings den entschlossensten Freiheitsmännern des Frankfurter Parlaments nach Stuttgart gefolgt ist, daß er aber schon nach den drei ersten Sitzungen daselbst auf sein Verlangen Urlaub erhalten und sich fortbegeben hat. Ob die Warnung vor dem österreichischen Verhaftsbefehl, von welchem die Redaction der Gartenlaube spricht, ihn gerade damals traf und seine rasche Abreise veranlaßte, wissen wir nicht. Ein Irrthum unseres Gedächtnisses war es, daß wir statt „Nürnberger Hof“ Regensburger Hof geschrieben haben, der unseres Wissens in Frankfurt gar nicht existirte und gewiß um jene Zeit keinem Club den Namen gab.

Siegmund Kolisch. 



Für die Wasserbeschädigten in der Schweiz

gingen wieder ein: Br. in Adorf 3 Thlr. 7 ½ Sgr.; Frau M. W. in Pirna 1 Thlr.; Comet 1 Thlr.; A. B. G. 1 Thlr.; ein deutscher Bruder in Köln 5 Thlr.; A. Kr. in Altenburg 1 Thlr.; für Weiterbesorgung eines Briefes an Gerstäcker 1 fl. rhein.; W. Stolz und A. W. Scholz in Detmold 2 Thlr.; F. v. G. in Annaberg 1 Thlr.; von einem Freunde der Gartenlaube 2 fl. rhein.; G. in Carwitz (Hinterpommern) 1 Thlr.; Paul Hoffmann in Potsdam 5 Thlr.; N. N. 10 Thlr. (Beantwortung Ihres Briefes nach Angabe Ihrer genauen Adresse); Esche und Hager[WS 1] in Leipzig 20 Thlr. 0 Summe aller bisherigen Eingänge 163 Thlr. 1 Sgr.

Die Redaction,     



Inhalt: Das Erkennungszeichen. Von A. Godin. (Fortsetzung.) – Ein Musikabend beim Prinzen Louis Ferdinand. Mit Abbildung. – Der Wunderglaube in Paris. Von Ludwig Kalisch. – Die Staßfurter Salzlager. Von Professor Dr. K. Birnbaum. (Schluß.) – Wild-, Wald- und Waidmannsbilder. Nr. 27. Ein Jagdtag im November. Von Guido Hammer. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Der Mensch als Poststück. – Das Hans Sachs-Denkmal. – Die musikalischen Classiker. – Marlitt’s Gold-Else. – Berichtigung. – Quittung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Cosche und Hager, vergl. Berichtigung (Die Gartenlaube 1868/48)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_736.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2021)