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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wenn dieser nun Naturstudien machte, Landschaften oder Vieh nach der Natur zeichnete, so folgte ihm der junge Mind wie ein Schatten, blickte ihm über die Schultern auf sein Skizzenbuch und beobachtete mit Interesse das Fortschreiten seiner Entwürfe. Der arme kränkliche Knabe flößte Legel Mitleid und Interesse ein; er gewöhnte sich an seine Gesellschaft, nahm ihn auf seine Wanderungen mit, lud ihn zu sich in seine Wohnung ein und zeigte ihm dort seine Skizzen- und Kupferstichsammlungen, von denen namentlich die Thierbilder des Knaben Aufmerksamkeit erregten. Dieser fing jetzt selbst an zu zeichnen, copirte unter Legel’s Anleitung kleinere Bilder, ließ sich dieselben berichtigen und wagte sich bald auch daran, Ziegen, Kühe und namentlich Katzen nach der Natur zu zeichnen. – Gottfried’s Vater war indeß mit diesen Kunststudien nicht einverstanden. Für den biedern Tischlermeister war Papier doch eben nur Papier, und das einzige würdige Material für Nachbildung der Außenwelt war für ihn das Holz. Da er nun seinem Knaben nur dieses zur Verfügung stellte, Papier aber hartnäckig verweigerte, so machte sich derselbe aus Noth daran, seine Thiere zu schnitzeln statt zu zeichnen, und bald waren seine hölzernen Kühe, Schafe und Bettelknaben der Gegenstand der Bewunderung und die Zierde der Hütten von Worblaufen.

Mittlerweile hatte im Jahre 1778 der große Menschenfreund und Volkserzieher Pestalozzi, dessen Lebensbild erst neulich die Gartenlaube ihren Lesern gezeichnet hat, auf dem zu Birr im Canton Aargau gelegenen Neuhof seine Arbeitsanstalt für arme Kinder errichtet. In diese ward auch Gottfried aufgenommen und hier empfing er seinen ersten Schulunterricht. Aber weder seine geistige, noch seine körperliche Entwickelung machte hier Fortschritte, dagegen entfaltete sich damals schon sein auffallendes Zeichentalent. In einem Berichte, welchen die ökonomische Gesellschaft von Bern im Jahre 1778 über jene Anstalt veröffentlichte, erhält er folgendes Zeugniß:

Friedli Mynth von Byssi, Amts-Aubonne, saßhaft in Worblaufen, sehr schwach, unfähig zu jeder anstrengenden Arbeit, voll Talent zum Zeichnen, die besonders sich auszeichnende Creatur, voll Künstlerlaune, mit einiger Schalkheit begleitet. Zeichnen ist seine ganze Arbeit. 10 Jahre alt.

Als Gottfried vom Neuenhof ins Elternhaus zurückgekehrt war, wurde der Maler Freudenberger in Bern auf dessen auffallendes Zeichentalent aufmerksam gemacht, und er nahm ihn zu sich ins Haus. Freudenberger genoß damals einen ehrenvollen Ruf als Genremaler und veröffentlichte eine große Anzahl seiner Blätter, indem er sie in Kupfer radirte und dann colorirte. Für diese letztere Arbeit gedachte er Mind zu verwenden, dem, er daher auch sowohl im Zeichnen als im Malen mit Tuschfarben Unterricht ertheilte. Mit großem Eifer unterzog sich Gottfried seiner Aufgabe, und wunderbar entwickelte sich bei dieser mechanischen Beschäftigung sein Zeichentalent und sein seltenes Gedächtniß, das, wie ein Skizzenbuch, Alles festhielt, was er einmal gesehen hatte, so daß er es lange nachher mit der größten Treue aus der Erinnerung zeichnen konnte. Zu einem selbstständigen Arbeiten kam er übrigens erst nach Freudenberger’s Tod; so lange dieser lebte, wurde er fast ausschließlich als Famulus und Colorist desselben verwendet, wofür er im Hause des Künstlers verpflegt wurde. Kaum aber war Frau Freudenberger Wittwe geworden, als sich der Katzen-Raphael in seiner ganzen Originalität entwickelte.

Mind’s Kränklichkeit, geistige Beschränkung und ein gewisser unwirscher Zug in seinem Charakter hatten ihn von Jugend an vom Umgang mit Menschen fern gehalten; ein halber Idiot, hatte er sich um so inniger an die Thierwelt angeschlossen und namentlich mußte ihm, den Kränklichkeit so viel an’s Zimmer fesselte, die Katze als das Hausthier par excellence, das er immer um sich haben konnte, sein Lieblingsgesellschafter sein. So war er denn auch immer von seinen „Büssi“ (Schweizer Gattungsname für Katze) umgeben; sie schnurrten hinter seinem Lehnsessel, auf seinen Schultern oder auf den Knieen, wenn er an der Arbeit saß. Das Leben und Treiben dieser anmuthigen und intelligenten Thiere war seine ganze Welt; in allen Phasen ihrer Entwicklung, vom neugebornen Miezchen bis zum lebenssatten alten Kater Murr studirte er sie mit dem Auge des Künstlers. Das Wochenbett seiner Lieblingskatze war für ihn ein Ereigniß, das ihn wochenlang in fieberhafter Spannung erhielt; inmitten seiner geschwänzten Pfleglinge wurde der einsilbige scheue Mensch ein liebenswürdiger Gesellschafter.

Die Früchte dieser Beschäftigung mit seinen Lieblingen sind jene wundervollen Zeichnungen die unter dem Namen „Mind’sche Katzengruppen“ eine solche Berühmtheit erlangt haben, daß sie seine leibliche Existenz ermöglichten und seinen Künstlernamen in ganz Europa bekannt machten. Nicht mit Unrecht hat ihn die Kunstgeschichte den Katzen-Raphael genannt, da weder vor noch nach ihm ein anderer Künstler diese hohe Virtuosität, im Auffassen und Wiedergeben des Lebens und der Gestalt der Hauskatze erlangt hat. Die Katze gehört zu denjenigen Thieren, die am schwierigsten zu zeichnen sind. Nur wenige selbst unsrer ersten Maler und Illustratoren sind im Stande, eine Katze richtig zu zeichnen; nur gar zu häufig glauben wir die Abbildung eines ausgestopften Thiers vor uns zu haben.

Mind allein hat es verstanden, lebende Katzen darzustellen, dieselben mitten in der Bewegung aufzufassen, ihren eigenthümlichen Charakter, ihr Temperament, ihre Individualität, ihre Physiognomie, den schmeichelnden Blick der liebkosenden, wie den Tigerausdruck der gereizten Katze, ihre Wendungen, Balgereien, zierlichen Bewegungen auf wahrhaft geniale Weise zu schildern. Und wie natürlich sind alle diese Gruppen, wie sauber und doch nicht geleckt diese Zeichnungen, mit welchem Geschick behandelt er den feinen, glänzenden Balg! Kein Strich ist zu viel, kein Zug wiederholt sich. Freilich muß man, um seine Blätter recht zu schätzen, ein Katzenfreund sein, wie man ja bei jedem Kunstwerk, um ihm gerecht zu werden, sich in Stimmung und Geist seines Urhebers hineinleben muß.

Mind, oder wie ihn seine Landsleute nannten und noch heute nennen, „der Berner Friedli“, hat seine Lieblinge in allen Situationen und Phasen ihres Lebens gezeichnet, im Kampfe mit ihrem Feinde, dem Hunde, bei der Mondscheinpromenade auf dem Dache, in gemüthlichen Scenen aus dem Ehe- und Familienleben, auf der Mäusejagd u. s. w.; seiner reizenden Katzenstudien sind daher so viele, daß wir uns nicht im Stande sehen, nur einen Theil derselben, viel weniger alle zu beschreiben, wie sie im Originale oder in mehr oder weniger gelungenen Nachbildungen vor uns liegen. Aber einen Augenblick möchten wir noch vor dem Katzenfamiliengemälde verweilen, welches einen Schmuck der heutigen Nummer der Gartenlaube bildet. Es ist eines der gelungensten Blätter unsers Katzen-Raphael und ohne Zweifel die getreuste und feinste Wiedergabe seiner so selten gewordenen Aquarelle. Auch hier ein Familiengemälde: das Frühstück ist vorüber, die Kinder sind gewaschen und gekämmt, die Mutter darf an ihre eigene Toilette denken. Nicht mit der Koketterie einer Weltdame, sondern im Bewußtsein ihrer Mutterwürde, in Mitte ihrer Kleinen richtet sie sich her. Breitspurig und behaglich sitzt sie da, selbstbewußt, wie die Mutter der Gracchen. Während dessen treiben die jungen Bälge allerlei Muthwillen und zwei wälzen sich gar zankend am Boden umher. Wir machen namentlich auf das reizende Gesichtchen des unterliegenden Kätzchens aufmerksam, das mit beiden Hinterfüßen den Kopf des andern wegstößt. Solche Koboldsgesichter konnte eben nur Mind zeichnen!

Unser Künstler behandelte seine Katzenbilder in derselben Weise, wie sein Lehrer Freudenberger seine Genrebilder aus dem Schweizer Landleben; er zeichnete sie mit Feder oder Bleifeder auf einzelne Blätter und colorirte sie leicht mit Wasserfarben. Meist sind die Thiere in der Größe, wie in dem umstehenden Holzschnitte, nur wenige Katzen hat er in Lebensgröße gemalt. Die Oelmalerei war ihm ganz unbekannt; auch zeichnete er keine seiner Bilder auf Kupfer behufs der Vervielfältigung. Die Radirungen, die nach seinem Tode herauskamen, sind von anderen Künstlern nach seinen Originalen auf die Platte übergezeichnet worden. Sie dienten jedoch nicht dazu, seinen Ruhm zu erhöhen, da sie weder die Correctheit, noch die Zartheit und Nettigkeit der Urbilder wiedergeben.

Von seinen Zeichnungen müssen wir auch noch seine auf dem Papiere nachgebildeten Bären und die Kindergruppen erwähnen. Mind selbst hielt auf die erstern fast eben so große Stücke, wie auf seine Katzen, und behauptete, daß noch Niemand Meister Petz so getreu dargestellt habe, wie er selber. Die Studien zu diesen Bildern machte er am Bärenzwinger in Bern, wo bekanntlich immer ein Paar dieser Wappenthiere des Cantons gehalten werden und wo er ein so häufiger Gast war, daß ihn die Thiere als gerngesehenen Hausfreund auszeichneten. Diese Blätter zeichnen sich durch frische Naturwahrheit und Unmittelbarkeit aus;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_742.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)