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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Schon wanderte das junge Paar den hübschen Fußpfad am Bache entlang. „Nun?“ sagte Otto und heftete einen warmen Blick auf seine Begleiterin.

Sie lächelte ihm zu: „Machen Sie sich aber auf eine ziemlich lange Geschichte gefaßt! Also, vor etwa hundert Jahren lebte einmal hier in Berneck ein blutarmer Knopfmacher, der besaß nichts auf der Welt, als seine zwei fleißigen Hände und einen braven Buben. Eines Abends gab er seinem Theobald die letzten Knöpfe, die er gedreht hatte, und weinte dabei, denn er hatte kein Horn mehr im Hause und auch keinen Kreuzer Geld. Bei’m Müller, der die Knöpfe bestellt hatte, mußte der Bube warten, weil gerade der Mühlgraben vom Schutt gereinigt wurde, und des Müllers kleines Gretchen forderte ihn auf, unterdessen mit ihr zu spielen. Sie lasen aus dem Schutthaufen eine Menge zerbrochener Muscheln auf und bauten damit.

Als Theobald endlich den Arbeitslohn bekommen hatte, ging er den Bach entlang nach Hause. Dabei dachte er an des Vaters trauriges Gesicht, und daß Der jetzt nichts mehr verdienen könnte. Das Herz wurde ihm ganz schwer, er setzte sich am Ufer nieder und fing an, so herzlich zu weinen, daß seine Thränen in den Bach fielen. Da sieht er auf einmal beim Zwielicht ein kleines Weibchen aus dem Wasser auftauchen – das hatte eine Rüstung an aus lauter glänzenden Muschelschalen; ihr schönes weißes Gesicht schimmerte, in der Hand hielt sie eine schwarze, häßliche Muschel, die zeigte sie dem Theobald, nickte und tauchte wieder unter.

Der Bube war erst ganz bestürzt. Auf einmal aber fiel ihm ein, daß die Muschel des Wasserweibchens gerade so ausgesehen, wie die Schalen, mit denen er vorhin gespielt hatte, und gleich darauf kam ihm der Gedanke, daß diese Schalen gewiß eben so hart wären, wie Horn, und man daraus wohl auch Knöpfe drehen könnte. Eiligst lief er zurück, suchte die größten Muschelstücke aus, stopfte seine Taschen damit voll und rannte nach Hause. Sein Vater machte gleich den Versuch, arbeitete die ganze Nacht und war glückselig, denn die Knöpfe mit den Muschelschalen bekamen den schönsten Perlmutterglanz und wurden so blank, wie er nie Aehnliches gesehen. Als sie am nächsten Tage hinter seinem kleinen Fenster zur Schau ausgestellt waren, kamen Käufer die Menge und noch mehr Bestellungen. Damit Niemand erfahren sollte, woraus die neuen Knöpfe gemacht würden, sahen Theobald und sein Vater sich nur bei Nacht nach neuem Vorrath um, und bald brachten sie heraus, daß die ganze Oelsnitz, bis zu der Bösenecker Brücke hin, mit solchen Muscheln wie gepflastert war. – Nun ward der Knopfdrechsler bald ein wohlhabender Mann, die Perlmutterknöpfe wurden weit und breit bekannt und verschrieben. Als Theobald heranwuchs, ließ der Vater ihn sogar damit wandern, und so kamen sie in der Welt herum. – Nach dem Theobald schauten jetzt die Bernecker Mädchen heimlich aus; er war ein gar netter junger Mann geworden und auch eine gute Partie. Ihm selbst gefiel aber nur Eine, und gerade diese konnte er leider nicht zur Frau bekommen. Sie selbst machte freilich keine Einwendungen, dagegen ihr Vater um so mehr. Es war Neidhard’s Gretchen, das reichste Mädchen und das schönste dazu. Der alte Müller wollte nichts von einer Heirath mit dem Knopfdrechsler hören, der zwar reichlichen Verdienst, aber weder Haus noch Hof zu eigen hatte. An einem Maiabend – vielleicht war es gerade heut vor hundert Jahren! – kam Theobald todttraurig aus der Mühle zurück. Der Müller hatte ihm rund heraus gesagt, er dürfte nicht mehr hinkommen, und Gretchen müßte den reichen Bäcker in Bischofsgrün heirathen. Theobald mochte gar nicht nach Hause gehen, sein Herz war ihm zu voll, er wollte Niemand sehen und ging weit hinaus, die Oelsnitz entlang, bis er sich endlich an’s Ufer setzte und in heiße Thränen ausbrach. Wie vor Jahren, fielen die Tropfen hinab in den Bach!

Da stieg abermals das längst vergessene Muschelweibchen auf! Sie lächelte ihm zu und zeigte ihm wieder eine Muschel – diesmal aber war die Schale geöffnet, und darin schimmerte eine große, schöne Perle. Das Muschelweibchen deutete abwärts in den Bach und tauchte dann unter.

Mit klopfendem Herzen grub Theobald einige Muscheln aus dem Kies; bis jetzt hatte er nur immer die leeren, ausgeworfenen Schalen genommen, die auf der Oberfläche lagen. Er öffnete sie und fand in jeder Muschel eine schimmernde Perle. Auf seinen Wanderfahrten hatte er genug von Perlen und ihrem Werth gehört, um zu ahnen, welchen Schatz er entdeckte. Voll Jubel eilte er am nächsten Tage nach Bamberg, ging dort zum Juwelier und löste für das Häufchen Perlen, welches er ihm gebracht, eine solche Menge Geld, daß er dafür das schönste Bauerngütchen kaufen konnte. Es versteht sich von selbst, daß er nun sein Gretchen zur Frau bekam, und diese war Niemand anders, als die leibhaftige Urgroßmutter der alten Frau drunten in der Mühle!“

Elisabeth schwieg und sah ihren Begleiter fröhlich an. „Die Geschichte ist entschieden glaubwürdig und der Einfall, einen guten Gedanken als Muschelweibchen auftreten zu lassen, ganz charmant,“ scherzte Otto. „Ist denn das Muschelweibchen seitdem noch öfter zum Vorschein gekommen? Und läßt es sich nur durch Thränen rühren?“

„Versuchen Sie’s – drunten rauscht der Perlenbach, wie damals,“ sagte Elisabeth, stehen bleibend.

Es war ein malerisch schöner Punkt, bei dem sie angelangt waren. Schon seit einigen Minuten hatten sie den Uferweg verlassen, um, langsam aufsteigend, dem Pfade zu folgen, der von Berneck durch den Wald nach Amt Stein führt und zu den schönsten Partien der Gegend gehört. Tief drunten, in der engen Schlucht, blitzte und rauschte der Bach, durch die dichten Gruppen des Laubwaldes drängten sich die Strahlen der schon sinkenden Sonne und woben ein Goldnetz um Zweige und Blätter. Durch eine Lichtung erblickte man von hier aus den schroffen Felsenvorsprung, der die Reste des alten Schlosses Stein trägt, theils in Ruinen, theils zu einer Kirche ausgebaut, die von der steilen Höhe winkt, ein Gruß des Friedens. Wohl diesem Ausblick zu Liebe war unter einer schattigen Eiche eine Moosbank angebracht.

„Wollen wir Ihren Vater hier erwarten, Fräulein Elisabeth?“ fragte Schaumberg, indem er auf die Bank zuschritt. Bereitwillig nahm das junge Mädchen an seiner Seite Platz. Sie nahm den Hut ab und lehnte den Kopf gegen den Stamm der Eiche. Es war wunderbar still ringsum; Beide saßen schweigend, dem Genuß des Waldfriedens hingegeben. Der junge Frühling und der sanfte Abend schwebten vereint über dem trauten Plätzchen. Das Leben des klaren Frühlingstages hatte sich noch nicht ausgeblüht – noch dufteten das dichte Moos und die wilden, so wunderbar eigenen Waldblumen aus den dunkeln Schatten hervor, noch klang hier und dort der Schlag einer Amsel, mit leisem Liebeston, der die Menschenbrust ergreift, wie eine Stimme vom Himmel; sanft ging ein schwaches Rauschen von Baum zu Baum, das geschwätzige Murmeln der Quelle, die wenige Schritte seitwärts aus dem Gestein drang, tönte unablässig – und doch hob all’ dies leise Klingen den Eindruck tiefster Stille nicht auf, es war gleichsam nur das Athemholen des schweigenden Waldes. Wie zur luftigen Kuppel eines Tempels wölbte sich das dichtverschlungene Laubdach der hohen Eichen und Buchen, dazwischen wallten die luftigen Zweige der Birke, schimmerte das zitternde Blatt der Silberpappel.

Nichts Lebendiges regte sich weit und breit. Otto’s Herz begann rascher zu schlagen. Ihm war, als ginge leise Liebeskunde durch den Wald, ein wunderbares Zukunftsträumen kam über ihn. Die thauigen, schwankenden Laubmassen ringsum schienen ihm ein leidenschaftliches, sehnsuchtsvolles Leben zu athmen. Er sah Elisabeth an. Noch lehnte ihr schöner Kopf an dem Baumstamm; ihr Auge, von den langen Wimpern halb bedeckt, sah träumend in die Schlucht hinab; dennoch mußte sie seinen Blick wohl fühlen, eine tiefe Gluth goß sich immer dunkler über ihr reizendes Gesicht.

„Ihre Sage hat einen tiefen Sinn!“ sagte Otto endlich, und seine Stimme klang weich.

„Ja,“ erwiderte das junge Mädchen, ohne aufzublicken, „das höchste Gut wird erst dem, der gezeigt hat, daß er es verdient.“

Schaumberg schüttelte das Haupt. „Nicht so – aber nur der Liebe gelingt es, echte Schätze zu heben! Das galt schon damals, das gilt noch heute. – Sie haben mir von einem Glücklichen erzählt, Elisabeth, wollen Sie einen Glücklichen machen? Darf ich, kann ich hoffen, daß Sie annehmen, was ich Ihnen biete – mein Herz, mein Leben?“

Elisabeth wandte sich und sah ihn mit einem unbeschreiblichen Blicke an, barg dann das glühende Gesicht in beide Hände und brach in Thränen aus.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_755.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)