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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Auerhuhn am Holzwege bis zum verborgenen Neste des Zaunkönigs am bewurzelten Raine hin, vom Fisch und Krebs im Wasser, dem Frosch im Sumpfe bis zum Heuhüpfer im Grase oder dem Schmetterling auf der Blume. Jetzt hat sein reges Gesicht den ersten Vogel über sich in der Dohne bemerkt. Welch’ ein Leben durchzuckt das Thier! Die „Ruthe“ bewegt sich in Schlangenwindungen, das Gehör dreht sich zuckend vor und zurück, die Nase arbeitet aufwärts, immer lüsterner reckt sich Kopf und Hals, und jetzt hebt sich das Vordertheil den nächsten Buchstamm hinauf.

Fürwahr, der Dieb und Räuber im glänzenden Momente, in seiner Glorie, hingezaubert von Meister Deiker! Schon haben die Spätherbstnebel und kalten Nächte seinem „Balg“ den charakteristischen Reif auf den Haarspitzen über Rücken und Schultern hin entlockt, so wie sich auch die Ruthe höher und voller mit der weißen „Blume“ geziert hat. Es ist ein alter, geriebener „Brandfuchs“: – das zeigen uns seine dunkle Unterfärbung unter dem hellen Rückenreif, der aschgraue Bauch und die gleichgefärbte Kehle, so wie die ungemein starken schwarzen Läufe; das kündet der dunkle Schnauzstreif über den weißen Lippenrändern, die lüstern geöffnet das Elfenbeingebiß zeigen. Nun hat er die ganze „Witterung“ des noch warmen Krammetsvogels, des leckeren Bratens, den er schon einige Morgen hintereinander durch meisterlichen Sprung nach den tiefer hängenden Biegeln hinauf zum Verdruß des Försters geraubt. Eben ist er im Begriff, sich durch eine Wendung des Hintertheils zur Linken, angestemmt mit den Vorderläufen an den Baumstamm, eine doppelte Schnellkraft mit den vier Läufen zugleich zum Satze nach dem Vogel zu geben: – – aber „warte, Spitzbube!“ so klingt’s gleichzeitig im Gemüthe des anstehenden Försters im Hintergrund auf, der im „Anschlage“ seinem Rohre sofort den rächenden Hagel entsendet. Ein Knall durch die echoweckenden Buchenhallen und Meister Reinecke endet die vielbewegte Laufbahn seines Lebens.

Schildern wir dieses in seinen hervortretendsten Zügen. Und fürwahr, es ist kein überflüssiges Beginnen. Ist doch unser Fuchs einer der allbekanntesten Unbekannten. Unbekannten, behaupte ich; denn obwohl jede sogenannte Naturgeschichte uns sagt, daß wir im Fuchs den interessantesten Vertreter unserer heimischen Waldthiere vor uns haben: so beweisen doch nur zu viele dieser Aufzeichnungen über unseres Thieres Leben, daß man sein Wesen und seinen Wandel noch lange nicht genau kennt.

In die verdeckten, freilich oft mühsamen Pfade der Bergwaldeinsamkeit mußt Du lenken, willst Du hinter das wahre Hausen des Raubthieres kommen. Aber es ist lohnend, dieses stundenlange stille Ausharren im grünen Palast, jetzt hoch oben auf den Felsgeröllen der Bergkuppen nahe den Wolken, nun tief unten im heimlichen Dämmer der Waldschlucht am Geriesel der Felsquelle. Und endlich belohnt sich doch die unverdrossene Hingebung an den Gegenstand durch die Gelegenheit, einem geheimen Zug des Thieres zu belauschen, und alle Mühe und vergeblichen Gänge sind vergessen.

Wir betreten einen Buchwald mit seinem Geäste, das sich zum mächtigen gothischen Domgewölbe den Berghang hinaus spannt. Von seinem ersten Maigrün umwoben, herrscht magisches Zwielicht in ihm. Eine wohlthuende Dämmerung erfüllt ihn, aber unser Auge durchdringt bald seine Räume und erspäht hier die vom Gesträuch des Hollunders, des Schneeballs, der Faul- und Vogelbeere bewachsene, vielberühmte Feste Malepartus, den Bau unseres Fuchses. Hier an heimlicher Stelle hat sich der Lumpaci- Vagabundus, getreu seiner Neigung, auf anderer Thiere Unkosten sich’s bequem zu machen, die viel geräumigere und tiefere Wohnung des Dachses angeeignet. Aber nicht etwa nach der Fabel, die sich von Buch zu Buch gleich „Gesetz und Rechten fortgeerbt hat wie eine ewige Krankheit“, daß Reinecke den vielfach stärkeren Grimmbart aus seiner Burg hinausbeiße oder gar auf die verschmitzte Art des absichtlichen Verpestens des Baues durch Absetzen seines Unrathes verjage. Bewahre! Unser Held ist für’s Erste viel zu feig, auch zu klug, nutzlosen Kampf zu beginnen; für’s Zweite ist dem Thiere aber eine List angedichtet worden, die ihm gar nichts helfen würde, weil sie den Dachs gleichgültig ließe, um deren Erfindung endlich das Thier den Menschen wahrlich nicht zu beneiden braucht. Schon an dieser Geburtsstätte des „Gehecks“ oder der jungen Füchse lassen also die Aufzeichnungen über Reinecke’s Lebensgeschichte die Fabel und den Irrthum thätig sein, die sich beide aber gipfeln in der Ansicht über das Ehe- und Familienleben unseres Helden.

Da finden sich Fuchs und Füchsin wie zwei liebende Seelen in einem alten Ritterromane zum ehelichen Bunde zusammen, der nach einigen Schriftstellern sogar für das ganze Fuchsdasein geschlossen werden soll. Der wahre Kenner unseres Waldmephisto weiß aber, daß vornehmlich er der Vielweiberei huldigt; der Kundige weiß, daß in den für unser Thier erregten Tagen des Februar und März bei den heißen Fuchsturnieren der Sieger allein der Minne Preis erringt; er hat es tief im Walde dem geheimnißvollen Wandel der Frau Füchsin abgelauscht, daß sie sich ganz insgeheim die Geburtsstätte für ihre Nachkommenschaft erwählt, hier einzig und allein für diese wacht und sorgt und hier auch die rührendsten Aeußerungen von Mutterliebe an den Tag legt. Ja, sie steht so sehr unter der Macht jener zärtlichen Regungen, daß sie, aller ihrer sonstigen Vorsicht baar, nicht selten selbst den gefürchteten, dem Baue nahenden Dachshund förmlich angreift und sogar verjagt. In welchen starken Gegensatz setzt sich dies Bild und Wesen der Fuchsmutter nun mit dem Gebahren des Fuchsvaters! Für ihn giebt es keine Familie. Das zeigt sprechend schon, gegenüber dem von unablässiger Jungenpflege abgenutzten Kleide der Füchsin, sein tadelloser Sommerrock, in dem er sorgenlos Wald, Haide und Feld durchstreift. Enthüllen wir einige Scenen seines Sommerlungerlebens.

Den ersten Tagesschimmer hat das Feldhuhn in der Flur angerufen. In dunklen, undeutlichen Massen ragt der Wald, allmählich mit dem Frühlicht Form und Gestaltung gewinnend. Vor dem Morgenzuge her wogt das Getreide in sanften Wellen dem Walde zu. Dort am äußersten Ende des Ackers, wo der „Steig“ – das Pfädchen, das sich den Sommer über ein Hase auf seinem „Wechsel“ durch die Frucht getreten – am Waldrande ausmündet, peitscht die letzte Halmenwoge ein undeutliches Etwas, welches das Auge vorher nicht gewahrte, das es nun aber beim beginnenden Tage schärfer faßt. Sieh! regt sich der Punkt nicht eben, oder täuscht das wogende Aehrenmeer über ihm? Dieses Fernglas, die Waffe unseres beobachtenden Auges, soll uns den Gegenstand näher bringen. Richtig! – Wie das bemalte Gesicht eines in Laub versteckten nordamerikanischen Wilden auf dem Kriegspfade, so lugt dort am Boden der rothe Kopf eines Fuchses, unbeweglich dem Steig zugewandt. Halmenbedeckt liegt der Rumpf sammt der verräterischen Ruthe des Lauernden in die Furche gedrückt. So wenig diese Stelle sich dem Kundigen als das eigentliche Lager des Thieres zeigt, so gewiß beweist die Lage des letzteren, daß der junge Tag mit einer eigenthümlichen That des erfahrenen, erfinderischen Wegelagerers beginnen wird. Schau! gilt es dem von der „Aeßung“ aus dem Felde jetzt zum Walde kehrenden Hasen? Wahrlich! keinen Anderen; denn da lenkt er ja schon in das Pfädchen, schnurstracks auf den fürchterlichen Hinterhalt zu „hoppelnd“. Immer näher und näher „rückt“ der vertraute Lampe. Für den Aermsten klopft unser Herz, für den sonst so Behutsamen, dessen feines Gehör das leiseste Knistern vernimmt, dessen ewig bewegliche Nase den geringsten verdächtigen Windzug auffängt. Keiner seiner Sinne verräth ihm heute die furchtbare Nähe. Auch jetzt nicht, wo er den Wechsel fortrückt, nur noch einige Schritte entfernt von dem Erzfeinde, der nun aber urplötzlich wie ein rother Teufel mit hochgeschwungener Ruthe und Einem Satze das Opfer an der Kehle packt, der sich nur ein schwaches Klagen des Erstickens entwindet. – So ist er in seinem Raube, der geriebene Fuchspracticus, jeden Lärm, jedes Aufsehen sorgfältig vermeidend und sich rasch, wie er es auch jetzt, nach einem kurzen Umhersehen, den Hasen im Rachen, thut, vom Schauplatz seiner Thaten entfernend.

Wir wollen schweigen von dem Frevel, den er berechnend verübt, wenn tief im Walddickicht die alte Rehgeise ihr Kälbchen auf Augenblicke verläßt und zur Aeßung auf die saftige Waldwiese zieht; denn solcher Streiche einen schildern wir vielleicht auf einem anderen Thiergedenkblatte der Gartenlaube. Künden aber wollen wir als Augenzeugen, wie er, der Schlaukopf Fuchs, vom Schlaraffenleben des Sommers faul, sich’s bequem macht und ganz seiner verschlagenen Natur gemäß dem Geheck den von der Mutter mit Gefahr ihres Lebens erbeuteten Raub aus dem Bauernhofe vom Bau wegstiehlt und hierdurch sich so recht schneidend in Gegensatz bringt mit dem zählebigen Irrthume der Schriftsteller, welche aus ihm den rührendsten Gatten und Kinderpfleger stempeln

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_764.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)