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der Wildniß am Flusse Cocalico in einer Zelle niederzulassen, die früher einem Einsiedler, Namens Elimelech, zur Wohnung gedient hatte. Lange Zeit blieb sein Zufluchtsort denen, die er verlassen hatte, verborgen. Als derselbe endlich entdeckt worden, sammelten sich um ihn alle die, welche sich am Mühlbach inzwischen von der Wahrheit überzeugt hatten, daß Gott nur mit dem Feiern des Sonnabends gedient sei, und bauten sich Hütten um seine Zelle. So entstand die Eremitengemeinde der Siebenttäger, die 1732 das Einsiedlerleben mit dem klösterlichen vertauschte. Es entstand eine förmliche Bruderschaft, die in einem geschlossenen Dorfe mit einem Hauptgebäude beisammen lebte, welchem die Gesellschaft den Namen Ephrata beilegte. Die Brüder, denen sich auch Schwestern beigesellten, nahmen das Ordenskleid der Capuziner an und Alle, die in das Kloster eintraten, vertauschten ihre weltlichen Namen mit geistlichen. Onesimus, der in der Welt Israel Eckerlin geheißen, wurde zum Prior erwählt. Später hatte Iaebez, früher Peter Müller genannt, diese Würde inne. Beißel, der den Klosternamen Friedsam Gottrecht führte, begnügte sich mit dem Titel „Geistlicher Vater“.

Im Jahre 1740 zählte das Kloster sechsunddreißig unverheirathete Brüder und fünfunddreißig Schwestern, und später hielten sich zu demselben fast dreihundert Personen, von denen indeß die Mehrzahl außer der Clausur lebte. Diese Gemeinschaft war eine Republik, in der alle Mitglieder gleich waren und nur nach ihrem freien Willen im Verbande blieben. Klösterliche Gelübde fanden nicht statt. Eine Regel oder ein Gesetzbuch hatte man ebensowenig. Das Neue Testament war ihr Glaubensbekenntniß, ihre Rechtsquelle, ihr Disciplinarcodex. Das Eigenthum, welches die Gemeinde durch Schenkungen und durch die Arbeit der einzelnen Brüder und Schwestern erwarb, gehörte der Gesammtheit; Niemand aber war gezwungen, sein Geld in den gemeinsamen Seckel zu werfen oder seinen Grundbesitz aufzugeben. Die Bedürfnisse der Gesellschaft wurden durch die mit dem Kloster verbundene Farm, durch eine Graupen-, eine Loh-, eine Oel- und eine Papiermühle beschafft, sowie durch Tischler- und Drechsler-, Weber- und Tuchmacherarbeit der Insassen.

In Betreff ihres Glaubens und ihrer religiösen Bräuche unterschieden sich die Leute von Ephrata nur durch die Sabbathfeier von den Tunkern. Sie richteten sich in allen Stücken nach dem Wortlaut der Bibel und nahmen diese buchstäblich wie die Tunker. Sie hielten es mit der Taufe wie diese, waren also Wiedertäufer. Sie feierten das Abendmahl bei Nacht und in der Weise eines gewöhnlichen Essens. Sie ließen ihm die Fußwaschung und die Communion folgen. Sie hatten die Ceremonie des heiligen Kusses und die der letzten Oelung. Die Ehe war ihnen nicht versagt, im Gegentheil, wenn ein Paar zu arm war, um sich zu heirathen, so half die Gemeinde mit ihren Mitteln aus. Aber allerdings galt Ehelosigkeit unter ihnen für einen höheren Zustand, da Paulus geschrieben: „die, so nach dem Fleische sind, sorgen für die Dinge des Fleisches, aber die, so nach dein Geiste sind, für die Dinge des Geistes.“ Wer ehelos blieb, hatte wenigstens auf einen bessern Platz in der Glorie des Himmelreichs zu hoffen.

Ehelosigkeit war infolge dessen ein Lieblingsthema für die Prediger der Siebenttäger, die sie unaufhörlich als eine erhabene Tugend mit den glänzendsten Farben darstellten, und ein häufig in ihren Hymnen gepriesener Gegenstand.

Die Sabbathfeier der Siebenttäger begann des Abends und wurde am Morgen fortgesetzt. Sie fing mit einem Liede an. Dann wurde knieend gebetet, und nach einem zweiten Liede forderte der Vorsteher irgend einen von den Brüdern auf, ein Capitel aus der Bibel vorzulesen, welches er sich nach Belieben auswählen konnte und dann auszulegen hatte.

Hierauf schärfte der „Ermahner“ der Versammlung die Pflichten ein, welche der Abschnitt dem Christen auferlegt, und hatte dann irgend ein Anwesender dieser Ansprache noch etwas hinzuzufügen, Auskunft zu wünschen oder die Sache weiter zu entwickeln, so besaß er nach der Sitte der Gemeinschaft volle Freiheit dazu. Gebet und Gesang, zuletzt die Vorlesung eines Psalms statt des Segens beschloß diesen einfachen Gottesdienst.

Es ist in Amerika Mancherlei über die wunderlichen Heiligen von Ephrata geschrieben worden, aber Vieles davon ist Unwahrheit, Anderes Verdrehung oder Uebertreibung. Man hat ihnen nachgesagt, sie lebten nur von vegetabilischer Nahrung, weil die Regel der Gesellschaft Fleischspeisen als zu bösen Gelüsten reizend verbiete. Man hat ferner behauptet, sie schliefen auf hölzernen Bänken ohne Betten und bedienten sich eines Klotzes als Kopfkissens blos um sich zu kasteien. Beide Thatsachen sind richtig, nicht so aber die Beweggründe. Wenn sie mehr Gemüse als Fleisch und oft lange Zeit gar kein Fleisch aßen, wenn sie auf groben Pritschen schliefen, so geschah es, weil die Noth sie dazu zwang. Sie waren ursprünglich sehr arm, und die Wildniß, in der sie sich ihr Kloster mit eigener Hand bauten wie die Mönche, die das heidnische Deutschland civilisirten, bot weder Braten noch Betten. Die äußerste Sparsamkeit war geboten. Wie Robinson mußte man sich mit Dem behelfen, was zur Hand war.

Es gab anfangs kaum ein Stück Eisen oder anderes Metall, einige Werkzeuge ausgenommen, in Ephrata, geschweige denn Glas oder Thongeschirr. Beim Abendmahl sogar bediente man sich hölzerner Flaschen und Kelche für den Wein und aus Holz gedrechselter Patenen für das Brod, und wenn diese Gefäße bei den Resten der Siebenttäger noch heute im Gebrauch sind, obwohl sie mit gläsernen beschenkt worden sind, so ist das pietätvolle Erinnerung an die ersten bescheidenen Anfänge ihrer Gesellschaft. Selbst die Gabeln, mit denen sie aßen, und ihre Leuchter waren von Holz gemacht, und ihre Teller bestanden aus achteckigen dünnen Bretchen von Pappelholz.

Mit der Zeit wurden sie als fleißige und sparsame Leute wohlhabend, und jetzt verschmähten sie ein gutes Bett nicht mehr und ebensowenig den Genuß anderer Freuden, obwohl Mäßigkeit im Essen und Trinken stets beobachtet wurde.

Diese wunderlichen Heiligen hatten neben ihren komischen und naturwidrigen Lehren und Bräuchen etliche sehr ehrenwerthe Eigenschaften. Sie nahmen in der Revolution entschieden Partei für die Whigs, d. h. sie waren entschiedene Gegner der englischen Unterdrückung und eifrige Freunde der Freiheit, nur durften sie nicht für sie kämpfen, da sie wie die Tunker und die Mennoniten das Waffentragen für unchristlich hielten. Sie duldeten ferner lange Zeit mit ausdauernder Sanftmuth die Mißhandlung, Verspottung und Plünderung, die ihnen übelwollende Nachbarn zufügten, und vergalten deren Unfreundlichkeit im Kriege von 1756 damit, daß sie ihnen, die damals vor dem Tomahawk der mit Frankreich verbündeten Indianer flüchteten, in ihren festen Wohnungen eine Zuflucht boten, ja ihnen und ihren Familien zu diesem Zweck sogar ihre Kirche einräumten. Die Regierung wollte sie dafür belohnen, sie nahmen aber nur ein Paar gläserne Abendmahlskelche an. Schon früher hatte der Sohn Penn’s, damals Gouverneur von Pennsylvanien, ihnen als Zeichen seiner Achtung eine Landschenkung von fünftausend Ackern zugedacht, aber sie hatten dieselbe als friedsame und bescheidene Leute abgelehnt, da sie Neid und Streit davon fürchteten. Nach der Schlacht bei Brandywine verwandelte sich die ganze Niederlassung freiwillig in ein großes Lazareth für die verwundeten Amerikaner, von denen anderthalbhundert hier starben und auf dem benachbarten Berg Zion ihre Grabstätte fanden. Auch sonst war Ephrata eine Stätte der Barmherzigkeit und der Gastfreundschaft in der Wildniß, weit und breit bekannt dafür wie die Hospize unserer Alpen.

Endlich aber genoß das Kloster der deutschen Wiedertäufer am Calico mehrere Jahrzehnte hindurch den Ruf einer guten Erziehungsanstalt; denn mehrere seiner Mönche waren Männer von Bildung, und es geschah, daß verschiedene vornehme Familien ihre Söhne hier unterrichten ließen. Die neben dieser Bildungsanstalt bestehende Sabbathschule freilich artete rasch aus. Die jungen Leute gaben sich religiösen Grübeleien hin, entzündeten ihre Phantasie mit mystischen und pietistischen Träumen und wurden schließlich so heiß und verwirrt davon, daß unter ihnen jene mit allerlei Krämpfen, Verzückungen, Aufschreien und tanzartigen Bewegungen verbundene religiöse Drehkrankheit ausbrach, die man im Jargon der amerikanischen Secten mit dein Namen Revival (Erweckung) bezeichnet, die aber mehr eine Art andächtiger Veitstanz ist, bei dem die bald himmelwärts aufjauchzende, bald über die schnöde Welt zum Tode betrübte, bald den gräulichen Höllenrachen vor sich gähnen sehende Seele vor Wonne und Angst zugleich an der Wand in die Höhe laufen und aus der Haut springen zu wollen scheint. Nachdem die armen Jungen es eine Weile recht schlimm getrieben mit diesem gottesfürchtigen Unfug, machte Beißel der Sache ein Ende. Er war, wie bemerkt, ein sehr wunderlicher Heiliger, aber kein Liebhaber von derartiger Ueberschwänglichkeit.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_776.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)