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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wollanek rieth mir, einen Vorschuß von zehn Gulden von der Direction zu verlangen. Auf meine Entgegnung, daß ich selben nicht brauche, meinte, er, daß er ihn nöthig habe, denn besagte zehn Gulden seien das Honorar, welches ich ihm für die Engagements-Vermittelung zu zahlen hätte. Als ich hierauf meine Brieftasche öffnete und die verlangten zehn Gulden bescheiden auf den Tisch placirte, steigerte sich seine Achtung gegen mich sichtlich zur Riesengröße. Jetzt wurde mir auch der Grund klar, warum er die Unterhaltung mit mir der Hörweite seiner Frau Gemahlin entzogen, sie brauchte von dem kleinen Extraeinkommen des Gatten nichts zu wissen. Ich aber fuhr als wohlbestalltes Mitglied des Stadttheaters in Krems stolz nach meinem neuen Bestimmungsort hin.

Der Director Bieber war früher Harfenist, vulgo Bänkelsänger in Wien gewesen und nichts weniger, als unbeanstandet; seine Gattin, eine hübsche junge Frau mit dem unverfälschtesten Lerchenfelderdialect sollte als „Localsängerin“ figuriren; der Komiker des Josephstädter Bierhauses, Herr Seitz, sollte in gleicher Eigenschaft das Publicum von Krems entzücken, kann aber gar nicht zum Auftreten, da „dem Herrn Collegen“ vor der ersten Vorstellung von den Behörden „ein Spiegel ohne Rahmen und Glas“, prosaisch „Steckbrief“ genannt, nachgesandt wurde, in Folge dessen der Freund des Directors schleunigst vom Schauplatze verschwand. Ich. verlor deshalb meine projectirte Stellung als erster Liebhaber und wurde laut Machtvollkommenheit des Directors zum Komiker ernannt. Auch der Ehrenposten eines Regisseurs sollte mir anvertraut werden, obgleich ich noch nie vor einem zahlenden Publicum mein bischen Talent erprobt hatte. Die übrigen Mitglieder bestanden aus einem stabilen Einwohner von Krems, der als französischer Sprachlehrer sich kümmerlich nährte, auf den seltenen Namen „Schulz“ hörte und bei Anwesenheit einer Theatergesellschaft sein schmales Einkommen mit Komödienspielen und der ihm dafür versprochenen Gage wesentlich vermehrte. Es war dies, wie er mir selbst anvertraute, die Zeit, wo er „zu Nacht essen konnte“. Ein ehemaliger Chorist vom Carltheater, Haas geheißen, und eine tüchtige, aber leider nur viel zu lange routinirte Schauspielerin, Namens Nilius, die sich beim Theater einen Sohn erspart hatte, der kleine Rollen spielte, waren die Truppen, die ins Gefecht geführt werden sollten.

Ehe ich zu unserem Repertoire komme, muß ich zuvor bemerken, daß es damals keinem Theaterdirector in der Provinz einfiel, für ein Manuscript dem Dichter Honorar zu zahlen. Dasselbe wurde von dem Souffleur der großen Residenztheater „copirt“, dem oben erwähnten Manuscriptenverkäufer überlassen, der es wieder an die Bühnenleiter, je nach dem Erfolg für fünf oder zehn Gulden, verkaufte. „Verrückt“ hätte man den Verfasser geheißen, der seinen bescheidenen Antheil von dem Ertrag seiner Arbeit gefordert hätte, als „wahnsinnig“ würden die Gerichte damals eine Klage wegen Diebstahls „geistigen“ Eigenthums zurückgewiesen haben. Wie konnte das gestohlen sein, was man sich für sein Geld abschreiben ließ, was man baar bezahlt hatte? Diese Ansicht wurde noch vor gar wenig Jahren selbst von den Behörden Berlins getheilt, wie ich zu meinem schweren Nachtheil erfahren mußte, als mir ein Stück, dessen alleiniges Aufführungsrecht ich für Berlin erworben hatte, von einem anderen Theater als gute Beute annectirt wurde. Ich sollte beweisen, daß mein Manuscript, d. h. das Buch, im Werthe von einem Thaler, aus meinem Schrank gestohlen worden sei. Für den geistigen Werth hatte das Gericht keine Schätzung. Ja noch in den letzten Tagen giebt ein Concurrenztheater Berlins ganz flott die Operette „Das Pensionat“, für welche ich das alleinige Aufführungsrecht für Berlin und zwei Meilen im Umkreis der Residenz contractlich erworben habe. Klage Einer! Wen verklagen? Den Director? Der hat es von einem diebischen Agenten gekauft. Den letzteren? Nach tausend Winkelzügen besitzt der, außer Schulden, nichts von Werth, die Proceßkosten bleiben dem Kläger auf dem Halse. Probatum est!

Nun in aller Eile zu unserer Kremser Bühnenherrlichkeit zurück, Die ganze Bibliothek unseres Directors bestand aus dem einactigen Gelegenheitsstück „Liebe um Liebe“, womit die Saison beginnen sollte. Mit der größten Mühe konnte ich es dahin bringen, daß unser Chef, der nicht zwei Zeilen orthographisch schreiben konnte, und der trotzdem, wenn nicht deshalb, die Concession erhalten hatte, von der unpassenden Wahl Abstand nahm, und wir mit Körner’s „Banditenbraut“ und Kotzebue’s „Herr von Werst, der Gefangene“ uns dem „kunstsinnigen Publicum“ vorführten. Gott allein mag wissen, was wir zusammen gespielt. Die einzige Nilius, wenn gleich viel zu alt für die Rolle, spielte die Titelrolle wenigstens erträglich, ebenso der alte Schulz den Grafen. Das Uebrige, ich nicht besser als die Uebrigen, mag schauerlich genug gewesen sein. Ich hatte als Rudolph – alle Rollen mußten von den Mitgliedern selbst heraus geschrieben werden – um den Jäger zu repräsentiren, zu meinen Straßenstiefeln weiße Tricots angezogen und Kragen und Aufschläge meines schwarzen Frackes mit grünem Papier beklebt.

Nun folgte eine lange, lange Reihe unsäglicher Demüthigungen, die ich, der den geordneten Verhältnissen des Elternhauses noch nicht entwöhnt war, doppelt schmerzlich zu empfinden hatte. Es ist unglaublich, welcher Entschluß dazu gehörte, welche feste Willenskraft, um unter einer solchen „Bande“ auszuharren. Das Wort Bande war damals, und zwar in der übelsten Bedeutung desselben, nicht nur auf die Schauspieler, sondern auch auf das verehrte Publicum der Stadt Krems anzuwenden. Roh, klatschsüchtig und kleinstädtisch, ohne alles Verständniß, behandelte man die Schauspieler damals geradezu als Parias der Gesellschaft. An allen öffentlichen Orten über die Achsel angesehen und nur durch das Gesetz vor dem Hinauswerfen geschützt, vegetirte die allerdings verschwindend kleine Minderzahl der Gebildeten unter ihnen in wahrhaft qualvoller Weise. Dazu kam für diese mit feineren Fühlfäden begabten Naturen noch das Bewußtsein, die Mißachtung innerhalb ihres Berufskreises zu verdienen; kurz, die Seelenmarter dieser Zeit überwog, bei mir wenigstens, weitaus die leiblichen Entbehrungen. Die Muttergroschen waren zugesetzt, und die versprochene Gage war längst zur Illusion geworden. Zu stolz, um meine Lage zu schildern und von Hause um Zuschuß zu bitten, duldete ich in der selbstgewählten Stellung Hunger und jegliches Elend, welches den verschämten Armen ereilen kann. Und die Cameradschaft! Ich erinnere mich an die seltnen Fälle, wo eine etwas bessere Sonntagseinnahme ein paar Gulden in unsere Hände lieferte, von denen mir vielleicht zehn bis fünfzehn Kreuzer übrig blieben, die ich zu dem sporadisch auftretenden Luxus eines warmen Abendessens verwenden wollte; wie ich der erste in die Garderobe kam, um meinen Miniaturreichthum in eine Spalte des Fußbodens zu verstecken, weil er in meiner Lasche so unsicher verborgen gewesen wäre, wie auf offener Landstraße. Es versteht sich von selbst, daß meine guten Anzüge so permanent auf den respectiven Körpern meiner Collegen herum wanderten und mit diesen Komödie spielten, daß ich einst im Gasthause gefragt wurde, wem eigentlich der gelbliche-Oberrock gehöre, den ich anhabe, ob einem Schauspieler oder der Theatergarderobe?

Einst trug ich einen der Schmerzensschreie, die ich in Briefform zur Erreichung eines anständigen Engagements in alle Welt flattern ließ, selbst zur Post. Während ich an dem einen Schalter meine schwer ersparten Groschen zur Bezahlung des Porto opfermuthig hinlegte, hörte ich ein Gesprächfragment des Herrn Postmeisters mit einem der Honoratioren der Stadt mit nicht großer Befriedigung an, obwohl der Eingang recht ermuthigend lautete. Der Herr Postmeister meinte, die diesjährige Theatergesellschaft bestände aus einer wahren Heerde Ochsen. „Der einzige Wallner ist noch erträglich.“ Hier wuchs mein Selbstgefühl in merkwürdiger Weise, klappte aber bei dem Nachsatz wieder schmerzlich zusammen, als sich der andere Herr vernehmen ließ: „Ach was, der Wallner ist auch ein Esel!“

Während dieser animalischen Zusammenstellung schlich ich, ohne mein Incognito zu enthüllen, leise aus den Räumen des Amtsgebäudes. Jetzt, wo ich die Sache äußerst komisch finde, kommt es mir sonderbar vor, wie das schroffe Urtheil meines unbekannten Gönners mir damals die Brust mit dem bittersten Weh füllen, nur viele Tage auf’s Schmerzlichste verbittern konnte. Also „darum Räuber und Mörder,“ rief es in mir mit Carl Moor, „also darum hast Du dem häuslich behaglichen Heerd, dem elterlichen Hause den Rücken gekehrt, das ist die Achtung, die Du als Künstler errungen hast?“

Dabei hatte ich aber doch Ehrgefühl genug, um keine Mühe, keine Last zu scheuen, die morsche Bauhütte unseres Thespistempels vor dem Zusammenstürzen zu bewahren. Mein damals riesiges Gedächtniß kam mir zu Hülfe, nicht nur um täglich eine neue Rolle spielend zu erlernen, sondern um Nachts in ungeheizter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_778.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)