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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

eintritt. Grüßend sieht er sich im Kreise um, in dem er viele Bekannte bemerkt. „Ah, mein Lieblingsspiel, Halbzwölf; ist es erlaubt, mitzusetzen?“ Nachdem Nestroy dies mit einer artigen Verbeugung zugestanden, stochert der Betrunkene mit dem Finger den Geldhügel auseinander und ruft: „Va banque!“ Wir Alle standen starr vor Erstaunen. Sechs- bis achthundert Gulden lagen auf dem Tische. Auf das Zaudern Nestroy’s meint der Gegner, „das sei dem Herrn Banquier wohl zu viel?“ „Nicht im Geringsten,“ antwortet dieser, „allein die Summe ist groß, und ich habe nicht die Ehre, Sie näher zu kennen, wenn Sie aber den Einsatz deponiren wollen –“

„Herr Wedel,“ ruft dieser dem Eigenthümer des Hotels zu, der auch „mitgethan“ hatte, „garantiren Sie für mich?“

„Mit meinem ganzen Vermögen, Herr Hauptmann,“ versicherte dieser, halb gegen Nestroy gewendet.

„Nun, also: Va banque!“

Aufgeregt, unter athemlosem[WS 1] Schweigen der Anwesenden gab Nestroy Karten, mit strahlendem Gesicht legte er die seinen vor: „Elf!“

„Halbzwölf,“ antwortete gleichmüthig der Hauptmann, leerte die Banknoten und das Silber in seinen Tschako, stülpt den Kopf in denselben hinein und wankt mit einem gemüthlichen „gute Nacht“ zur Thür hinaus. Schneller, als ich es hier erzähle, hatte der uns allen fremde Mann die sämmtliche Baarschaft der Anwesenden aus unserer kleinen Spielhölle hinaus geschleppt. Die Situation war überwältigend! – Unter allen verblüfften Gesichtern war das Nestroy’s das allerverblüffteste; keiner von uns fand ein Wort über das so unerwartet eingebrochene Fatum, bis Nestroy mit süßsaurer Miene sprach: „Gute Nacht, meine Herren, das macht einen kleinen ‚Bremsler‘ (Preller, eine Erschütterung); morgen früh ist es vorbei.“

Für mich war es den Abend schon vorbei, die Ersparnisse der ganzen Saison trug ein mir unbekannter Officier in seinem Tschako fort. Wer mir dies am Morgen prophezeit hätte! – Ich habe später oft ähnlichen Spielscenen beigewohnt, allein keiner von so drastischem Erfolge wie dieser.




Das harte Brod der Berge.
Mit Abbildungen.

Wie oft und vielfach ist der deutsche Gebirgsbewohner schon Gegenstand poetischer und novellistischer Schilderung gewesen, und wie selten ist er richtig geschildert worden! Wer in öfterem und längerem Verkehre mit ihm zu leben die Gelegenheit hat, der kann sich genugsam hiervon, wie von der Nichtigkeit des Bucle’schen Satzes überzeugen, daß Klima und Boden nicht nur die materielle Existenz des Menschen beherrschen, sondern auch bestimmend für seine geistige Richtung sind. Man gehe nach Tirol und sehe, wie mühsam der Mensch dort sein Dasein erringen, wie er oft sein Leben wagen muß, um nur ein Bündel Heu für das tägliche Bedürfniß seines bescheidenen Viehstandes vom Gebirge herunter zu bringen; man vertiefe sich in die steilen Thäler des Schwarzwaldes, um zu sehen, auf wie gefahrvolle Weise der Waldbewohner sein Feld bestellen, wie er das einzige Product seiner Berge, das Holz, herunterbringen muß, um es verwerthen zu können – und man wird zu der Ueberzeugung gelangen, daß solche Menschen, deren Leben fast täglicher Gefahr ausgesetzt ist, bei dem Mangel des Gegengewichtes der Bildung unmöglich gemüthliche und beschauliche Bäuerchen sein können, wie sie in so manchen Dorfgeschichten zu finden sind, sondern nothwendig die Richtung zum Abenteuerlichen und Phantastischen nehmen müssen, und dies um so mehr, je eifriger der religiöse Fanatismus bei ihnen gepflegt und dagegen der Zugang des Fortschritts im Wissen und Bestreben der Außenwelt erschwert wird.

Um zu sehen, in welchem Schweiße seines Angesichts dort der Mensch im Gebirge oft sein Brod essen muß, machen wir einen Gang in die rauhen Thäler des Schwarzwaldes, da, wo ihn die Kinzig durchströmt, ehe sie noch das Dampfroß zu sehen bekommt, das sich übrigens schon gewaltig weit in jene Schluchten vor und empor gewagt hat.

Dichte schwarze Fichtenwaldungen bedecken die mächtigen Kuppen der drei- bis viertausend Fuß hohen Berge bis weit nach unten, wo sie stellenweise einem einsamen Gehöfte, oft einem stattlichen Hofgute Platz machen, das zwischen Fels und Wiesen liegt, welch’ letztere stets die untere Grenze bilden, während der zum Gute gehörende Wald oben an den Staats- oder Gemeindewald stößt. In dem Hause, dessen geräumiger strohgedeckter Dachstuhl alle Vorräthe birgt, wohnen in sich gekehrte wortkarge Menschen, nicht ohne Gastfreundschaft und uneigennütziges Entgegenkommen, aber strenge sich unterwerfend der starren Form, die das sociale Leben des Bauern regelt und bindet. Ihren stärksten Ausdruck findet dieselbe in der rücksichtslosen Art, wie das Minorat dort gehandhabt wird, das seit undenklichen Zeiten bei den Hofgütern des Schwarzwaldes in Uebung ist und das wegen der Halsstarrigkeit, mit welcher der Bauer daran festhält, wie um der wirtschaftlichen Schwierigkeit seiner Abschaffung willen, von der badischen Regierung geduldet wird. Nach dortiger Uebung erhält der jüngste Sohn Haus und Hof nebst allem Zubehör mit der Verpflichtung, dann seine Eltern auf das sogenannte Leibgeding zu setzen, d. h. ihnen ein meistens neben dem großen stehendes kleines Haus einzuräumen und für alle ihre Bedürfnisse zu sorgen, die Brüder aber als Knechte zeitlebens bei sich zu behalten und mit den Schwestern einen Vertrag einzugehen, der ihnen unter gewissen Gegenleistungen das Verbleiben im Hause ermöglicht. Verheirathen aber darf sich nur der Minoratserbe.

„Das ist aber doch grausam!“ sagte Schreiber dieses einem alten Bauern, der ihm obige Erklärung gegeben hatte. Der Bauer aber zeigte auf die jenseitige Bergwand hinüber, auf der einsam von Wald umschlossen ein solches Hofgut lag, und setzte hinzu: „Sehen Sie, da drüben das Haus kann nur eine kleine Anzahl Leute beherbergen, wenn sie alle von dem leben wollen, was da herum wächst. Von außen her können sie nichts beziehen, und mehr dort zu bauen ist nicht möglich. Sehen Sie, so ein Hof im Wald ist gerade wie ein Schiff auf dem Meere, das nur so viel Menschen und keinen einzigen mehr mitnehmen kann, als es unterzubringen und zu beköstigen vermag. Nun denken Sie sich einmal, daß das Hofgut da drüben nach dem Landrecht in sechs Theile getheilt würde, denn so viel Kinder sind da, da hätte keines genug, um davon leben zu können, so reicht es aber für alle die Sechse aus, die sonst verhungern müßten.“

Von den Gütern bedürfen die Wiesen die wenigste Sorgfalt, wenn einmal ihre Bewässerung gut eingeleitet ist; der Wald und das Feld aber bedingen eine um so schwerere Arbeit. Wenn man so durch die einsamen Thäler dahinschreitet, wird man in gewissen Jahreszeiten plötzlich hoch oben große weiße Rauchsäulen gewahr, die, sich den Berg hinunterwälzend, mit hoch aufsteigenden Flammen untermischt, ein imposantes Schauspiel gewähren und das Zeichen sind, daß dort oben ein Stück Boden urbar gemacht – gebrandet – wird.

Der Bauer läßt, wenn der Wald ausgerottet oder der karge felsige Boden erschöpft ist, ihn einige Jahre ruhen, während deren dichtes Gestrüpp von Ginster darauf wuchert. Im ersten Frühlinge wird dann Alles gefällt und, mit dürren Reisern vermengt, der ganze Boden damit bedeckt, sodann aber ein Stück davon angezündet, gerade so breit, als es die vorhandenen Arbeiter zu bewältigen vermögen. Das flackert alsbald hoch auf und in wilder Arbeit von fast infernalischem Aussehen zerren die bald vom Rauche geschwärzten Leute mit langen Haken den Brand nach unten, ihm in großen Sätzen voraneilend. Je länger die Brandfläche gezogen, je weiter der Flammenstrom ausgedehnt wird, desto lebhafter dringt die Windströmung herbei und erschwert die harte Arbeit, weil sie die fliegenden Funken und die Rauchwolken oft auch nach der Seite der rastlos zerrenden und reißenden Hakenleute hintreibt. Mit wachsender Schnelligkeit muß der Flamme ihr Weg gebahnt werden, und doch darf sie nicht zu den Seiten hin ausschweifen, um dem wilden Element, das hier dem Nutzen dienstbar ist, nicht die Gelegenheit zu unberechenbarer Verheerung frei zu lassen. Es gehört Muth und Kraft zugleich zu dem

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: athemlosen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_782.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)