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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Vertrauen auf den Advocatenstand erschüttert, – die wahlfähigen Bürger wollten Einen ihrer Mitglieder und keinen Rechtsgelehrten mehr mit der höchsten Würde der Commune bekleidet sehn. Dennoch wurde Dr. Zelinka zum Bürgermeister erwählt und wußte schon in den ersten beiden Jahren seiner Amtsführung das gegen ihn herrschende Vorurtheil auf das Rühmlichste zu bekämpfen und durch seine schlichte Biederkeit und Herzensgüte alle Sympathieen der Bürgerschaft für sich zu gewinnen. Nur Einer seiner erbittertsten, aber ohnmächtigen Gegner, den wir Arnold nennen wollen, ließ nach wie vor seine Zunge gegen ihn spielen, bis das Landesgericht diesem falschen Spiel ein Ende machte. Der Bürger Arnold hatte sich eines gemeinen Verbrechens schuldig gemacht und wurde zu zweijähriger Kerkerstrafe verurtheilt.

Ein Jahr nach diesem Proceß schritt Dr. Zelinka, in Gedanken versunken, durch eine entlegene Seitengasse der Stadt, da sprang ein junges Mädchen aus einer ebenerdigen Wohnung und rannte so unglücklich gegen ihn an, daß der alte kränkliche Mann in die Kniee sank und sich, wenn auch unbedeutend, doch ziemlich empfindlich die Kniescheibe verletzte.

„Ach, mein Gott, ich bitte tausendmal um Verzeihung!“ bat erschrocken das Mädchen, indem es seinen Korb fallen ließ und dem alten Herrn zu Hülfe sprang. „Haben Sie sich weh gethan?“

Der Bürgermeister erhob sich, rieb sein Knie und brummte: „Nix – nix – schad’t nix![1] Warum schau’ ich nicht besser auf, denn es giebt hier Leut’, die mehr Eil’ haben, als ich.“

„Allerdings habe ich Eile, denn die Mutter und die Kinder frieren,“ seufzte das Mädchen.

„A – die Kinder frieren?“

„Und haben nebenbei einen gesunden Appetit.“

„Schad’t nix! Schad’t nix!“

„Es schadet freilich nichts, wenn Holz im Keller und Brod im Schranke ist.“

„Aha – so steht’s!“ murmelte Zelinka, indem er sich die Kleine näher ansah, die, selbst noch ein Kind, kaum vierzehn Jahre zählte. „A Sapperment – hübsche kornblaue Augen, aber die rothe Garnitur gefällt mir nicht. Mir scheint, Sie haben geweint?“

„Mir scheint’s auch so.“

„Wo spazieren wir denn jetzt hin mit einander? Wahrscheinlich Holz und Brod einkaufen? He?“

„Vielleicht – wenn Gott und der Schätzmeister im Versetzamt wollen.“

Der Bürgermeister warf einen Blick auf den Korb der Kleinen, aus welchem der Aermel eines Kinderhemdes neugierig in die Welt hinaus guckte. Er blieb stehen, streichelte die Wangen des Mädchens und fragte freundlich: „Wie heißen Sie, liebes Kind?“

„Pauline Arnold.“

„Arnold? Arnold? Vielleicht eine Tochter des Geschäfts-Agenten – Ferdinand Arnold?“

„Kennen Sie meinen unglücklichen Vater?“ flüsterte die arme Kleine, indem sich abermals ihre blauen Augen mit Thränen füllten.

„Ja, ja, ich kenne ihn, weiß auch, daß er – auf der Reise ist und sobald noch nicht zurückkehren kann. Aber das hab’ ich nicht gewußt, daß er Frau und Kinder in der Noth zurückgelassen hat.“

„In Noth und Elend!“ schluchzte das Mädchen.

„Warum haben Sie sich denn nicht an den Bürgermeister gewandt?“

„Ach – der Bürgermeister ist unser Feind.“

„Der Unglückliche hat keine Feinde und der Bürgermeister ist berufen, Freund und Vater aller Armen und Unglücklichen zu sein. Ich hab’ nicht viel Geld bei mir, aber für die nächsten Tage deckt es Ihre Bedürfnisse. Nehmen Sie und hoffen Sie auf Gott. Er wird auch ohne Schätzmeister helfen, Sie armes Hascherl.“

„Ach, mein Gott –“ rief das Mädchen unter Thränen lachend, „was soll ich der Mutter sagen –“

„Daß auch ein Advocat ein Herz in der Brust hat. Jetzt laufens und sorgens dafür, daß Ihre kleinen Brüder und Schwestern nicht länger hungern und frieren.“

Die Kleine küßte die Hand des Freundes in der Noth, den ihr Gott gesandt, und eilte in den Laden des nächsten Greißlers.

Zelinka rieb sein Knie und sprach lächelnd vor sich hin, indem er forthinkte: „Schad’t nix, wenn auch der Bürgermeister zuweilen, wie der Kalif Harun al Raschid incognito seine Straßenpromenade macht.“

Er sorgte fernerhin für die Familie seines Feindes und hat wohl auch an sie gedacht, als er seine letzten Worte „Holz – für die Armen!“ auf seinem Sterbebette flüsterte.




Die Jesuiten in Japan. „Als ich vor sieben Jahren hierher kam“ – so schreibt uns direct ein Leser der Gartenlaube, Herr F. K. in Nagasaki auf der japanesischen Insel Kiusiu, in einem über Hongkong und Triest gelaufenen Briefe – „habe ich nie, wenn ich die Stadt und Umgegend durchschweifte, von Japanesen Etwas gehört oder gesehen, was ihre Hinneigung zum Katholicismus angedeutet hätte. Kaum aber begann, in Folge der Verträge mit den großen europäischen und amerikanischen Seemächten für Handel und Verkehr ein neues Leben, so fanden sich auch die unvermeidlichen Jesuiten hier ein, erst einzeln, nach ihrer beliebten Weise, dann, ebenfalls in ihrer beliebten Weise, in Schaaren, nachdem sie den Boden im japanesischen Volk günstig für ihre Pläne erfunden haben mochten. Da die wenigen hier lebenden europäischen Katholiken noch einer Kirche entbehrten, so hielten die Jesuiten ihre Messen oder Betstunden in einem holländischen Hause in der Nähe von Nagasaki.

Es dauerte eben nicht lange Zeit, so hatten die Jesuiten die rechten Leute herausgefunden, die mit den Zwecken ‚der Kirche‘ den eigenen Vortheil zu verknüpfen wußten. Dazu gehörte namentlich ein Rheinländer. dessen wohlberechnete Opferfreudigkeit wesentlich beitrug, daß die Jesuiten in der europäischen Niederlassung in Ora, einem Theil von Nagasaki eine hübsche Kirche bauen konnten. Die Glocke derselben soll ein Geschenk der Kaiserin Eugenie sein; wie die Inschrift über dem Portal in großen goldenen Lettern darthut, gehören diese Jesuiten zu der ‚Gesellschaft der Nachfolge Christi‘. Beim Ausgang aus diesem Portal hat der Besucher der Kirche in geringer Entfernung den Platz vor sich, auf welchem vor einigen Jahrhunderten portugiesische und japanesische Christen den Märtyrertod erlitten hatten.

Für die Proselytenmacherei, den offenbar nächsten Zweck der Jesuiten, war der Bauplatz mit dieser Aussicht vom Kirchenportale aus ebenso kühn als klug gewählt: von Kanzel und Altar aus konnte der Priester hinweisen auf eine ‚heilige Stätte des Glaubens‘, aus welcher der höchste Ruhm des Gläubigen und die sicherste Anwartschaft auf die ewige Himmelsherrlichkeit errungen worden. Und der Plan gelang mit überraschendem Erfolge, wenn auch nicht blos mit Hülfe des Frömmigkeitsfanatismus, sondern mit Nachhülfe von Geschenken und der Schmeichelei mit nationalen Liebhabereien. Ein Hauptsitz der Jesuiten wurde das Dorf Urakami, dicht bei Nagasaki. Dort richteten sie ein Bethaus ein und statteten es aus mit allem Pomp, welchen der katholische Cultus zuläßt oder erfordert; am prächtigsten strahlten aber die Statuen von Jesus und Maria, die sich dem Volke beide in japanesischem Costume und Haarputz vorstellten. Da nun die Jesuiten ihr Netz vor Allem über die untersten Volksclassen auswarfen, so wirkten solche Mittel ganz außerordentlich. Bald breitete ihre Anhängerschaft sich über mehrere Provinzen der Insel aus und zählte über viertausend Mitglieder.

Die japanesische Regierung erlaubt ihren treuen Unterthanen manche kleine Freiheit, nur in Religionsangelegenheiten ist sie äußerst empfindlich, und namentlich scheint sie von christlicher Seite manche unangenehme Erfahrung gemacht zu haben. Daß sie aber gegen die japanesischen Theilnehmer an diesen jüngsten Jesuitenumtrieben vorzugehen sich genöthigt sah, dazu trug hauptsächlich die Widersetzlichkeit derselben gegen bestimmte Steuerverpflichtungen bei. Von den Priestern fanatisirt wurden diese sonst so friedlichen Menschen zur widerwärtigsten Nachbarschaft. Da schritt endlich die Regierung ein: sie brachte einen großen Theil der unruhigen Gesellschaft in strenges Gewahrsam und gab ihnen einige Monate Gelegenheit, sich mit ihrem alten Glauben nach Möglichkeit wieder zu versöhnen. Das geschah im vorigen Jahre. Es schien, als habe das Regierungsmittel angeschlagen, es fand wenigstens keine öffentliche Störung der japanischen Ordnung statt. Um so überraschender kam im Juni dieses Jahres der plötzliche Ausbruch von neuen Beunruhigungen, der von neuangeworbenen Jesuitenanhängern ausging und offenbar lange vorbereitet war. Der eigentliche Zweck dieser absichtlich hervorgerufenen Proselytenhetze kam durch die Presse erst später an’s Licht. Die Regierung schritt nämlich diesmal energischer als das vorige Mal ein, um dem störenden Treiben nun mit einem Schlage ein Ende zu machen. Sie ließ die große Mehrzahl der japanischen Jesuitenanhänger auf Dampfschiffe abführen und in entfernte Provinzen des Reichs verbannen, wo sie ihren Unterhalt durch Arbeiten in den Minen, Bergwerken und anderen Staatsanlagen finden sollen.

Kaum war dieser energische Act der Regierung vollbracht, als die Jesuiten die Presse Europas und Amerika’s zu den grauenerregendsten Schilderungen der dabei verübten Gräuel der regierenden Gewalt benutzten, offenbar um Schritte der Großmächte zu Gunsten der in Japan bedrängten und gemarterten ‚Christen‘ zu veranlassen und dadurch ihrer eigenen Fährte größere Sicherheit zu verschaffen. Geknebelt sollten die Unglücklichen an Bord geschleppt, ja viele mitten in der See über Bord geworfen worden sein, – die neuigkeitsgierigen Journale nahmen diese Jesuitenberichte auf, – wer brauchte daran zu zweifeln, daß im fernen Japan so Etwas gar wohl möglich sei? Und doch haben alle diese Schaudergerüchte sich später als Lügen herausgestellt.

Während nun alle Deutschen hier, welchen die Ehre des deutschen Namens am Herzen liegt, mit Widerwillen auf das ganze Jesuitentreiben blicken, müssen wir es erleben, daß gerade der Consul eines deutschen Staates dieser Gesellschaft jeden möglichen Vorschub leistet. Nicht weniger dürfen wir es wohl beklagen, daß wir die norddeutsche Flagge hier (bis heute, den 17. September) noch nicht zu sehen bekommen haben. Ich schreibe Ihnen dies, weil der Mangel einer der Wichtigkeit unseres Imports hier entsprechenden Vertretung ein großer Uebelstand für uns ist: wir Deutschen sind hier die größten Importeure, und trotzalledem können wir die öffentliche Stellung nicht behaupten, die wir einnehmen. müßten. Einstweilen mögen Ihnen diese Andeutungen genügen; ich werde jedenfalls auf diesen wichtigen Gegenstand noch einmal und dann eingehender zurückkommen.

Soweit unser Landsmann, dem wir hiermit für seine Mittheilungen unsern Dank ausdrücken. Was er uns über das Jesuitentreiben sagt, giebt über die ungeheure Ausbreitung und Rührigkeit des Ordens auch uns in Deutschland zu denken. Dagegen haben wir das Ausführlichere und rein Persönliche, was er uns über jenen deutschen Consul und dessen jedenfalls den Intentionen seiner Regierung stracks entgegenlaufende Hinneigung zu den jesuitischen Umtrieben in Japan anvertraut, vor der Hand verschwiegen, theils um weitere Angaben abzuwarten, theils im der Hoffnung, daß die Bemerkung über die ungenügende Vertretung der deutschen Interessen in Japan vielleicht im Norddeutschen Reichstage Erörterungen veranlaßt, welche auch ohne weitere Pressebemühung dort zur Abhülfe des Uebelstandes führen.


Inhalt: Das Erkennungszeichen. Von A. Godin. (Fortsetzung.) – Ein einsames Grab im Norden. Von Fr. Pilzer. Mit Abbildung. – Wunderliche Heilige. 2. Hänschen Apfelkern und das Siebenttägerkloster in der Wildniß am Cocalico. – Rückblicke auf meine theatralische Laufbahn. Von Franz Wallner. 2. Frühere Verhältnisse. – Das harte Brod der Berge. Von Carl Roux. Mit Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Holz – für die Armen! – Die Jesuiten in Japan.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


  1. Ein populär gewordenes Sprüchwort Zelinka’s.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_784.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)