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gesetzt haben. Es mögen viele Jahrhunderte daran gearbeitet haben, denn während den ersten Blick der hochstrebende schmucke Renaissance-Bau anlockt, welcher mit dem Stolz seines jüngeren Daseins auf seine Nachbarschaft niederschaut, kann diese ebenso auf die biedere Solidität ihres Holzbaues, auf die ungeschlachte Trotzigkeit ihrer Mauern pochen und vor der Ehrwürdigkeit ihrer Spitzbogen Achtung verlangen. Wo aber dieses charakterreiche Schloß zu finden sei, darüber kann uns nur Levin Schücking Auskunft geben, welcher dasselbe in seinem jüngsten Roman „Schloß Dornegge“ genau so geschildert hat, wie wir es, von geschickter Hand zu Papier gebracht, hier so lachend vor uns sehen, daß wir jedem unserer Leser ein solches hiermit zum Christkindlein wünschen.




Eine Burgfehde im neunzehnten Jahrhundert.

Im October dieses Jahres geschah es, daß die Einwohner jener reizenden Gegend in Northumberland, die um die alte Stadt Hexham herumliegt, durch eine sonderbare Erscheinung in ungewohnte Aufregung versetzt wurden. Neben einer stark befahrenen Heerstraße, nicht eine Stunde von der Stadt entfernt, war plötzlich ein Lager entstanden, wie es Kriegsvölker zu errichten pflegen. Das Hauptstück dieses Lagers war ein Zelt, dessen Fußboden eine ungeheure eichene Kiste von offenbar sehr hohem Alter bildete, während die Hinterwand aus einer dicken Hecke und das Dach und die Seitenwände aus getheerter Leinwand bestanden. Aus dem halbdunkeln Innern dieser Leinwand-Höhle konnten die neugierigen Besucher, die zu Tausenden herbeiströmten, kaum die Figur einer Frau erkennen, die auf einem Haufen von Decken und Pelzen lag und deren immer noch anziehende Züge bewiesen, daß sie früher einmal eine wahre Schönheit gewesen sein müsse. Jetzt schien die Dame in den Jahren weit vorgerückt zu sein. Rings um sie lagen Dinge auf dem Boden umhergestreut, die nicht zur Damentoilette gehören: Degen und Pistolen von prächtiger alter Arbeit, einige Stücke einer verrosteten Rüstung, sein eigenthümlich geformter Helm und andere Artikel mehr, die der jetzigen Mode so wenig entsprachen, wie das Zeltlager, das ihre Besitzerin bewohnte. Vor dem Zelte sah man beständig zwei Männer, welche die geheimnißvolle Dame mit großer Ehrfurcht bedienten, während es in der ganzen Umgegend von Equipagen des Landadels nicht leer wurde, die der bivouakirenden Dame Besucher oder Geschenke und Briefe brachten.

Auf der andern Seite der dicken Hecke befand sich ein zweites Lager, welches blos von Männern bewohnt wurde. Es bedurfte keiner langen Beobachtung, um zu gewahren, daß zwischen den beiten Parteien kein freundlicher Verkehr bestand. Man mußte sogar von der Aehnlichkeit überrascht werden, welche die ganze Scene mit einer Belagerung auf der Bühne hatte. Vor der Hecke waren die Belagernden, die Dame und ihre Diener, hinter der Hecke waren die Belagerten. Wünschte Jemand sich zu überzeugen, ob die Aehnlichkeit eine vollständige sei und ob auch das Schloß nicht fehle, um das gestritten wurde, so brauchte er nicht weit zu suchen. Nur wenige Schritte von den beiden Zelten entfernt lagen auf dem reizenden Berge, der eine Aussicht auf das Tyne-Thal gewährt, die Ruinen von Dilston-Hall. Hier hatten einst die stolzen Grafen von Derwentwater gehaust und auf ihren ehemaligen Besitzungen spielte die sonderbare Scene der beiden Zelte. Die Dame führte sich als Mathilde, Gräfin von Derwentwater, ein und hatte dieses eigenthümliche Lager bezogen, um ihre Rechte auf das Schloß und die Besitzungen ihrer Vorfahren geltend zu machen. Nach anderthalb Jahrhunderten steht die unglückliche Familie, deren Mitglied sie sein will, noch in lebhaftem Andenken, und es war deshalb natürlich, daß die Fremde in der Umgegend eine allgemeine Theilnahme fand.

Um ihr Auftreten zu begreifen, muß man auf das Jahr 1715 zurückgehen und an eine der traurigsten und romanhaftesten Episoden der englischen Geschichte erinnern. Georg I. saß kaum ein Jahr auf dem Thron und seine persönliche Unbeliebtheit beim Volk erregte bei den Jakobiten die kühnsten Hoffnungen. Man weiß nicht, was geschehen sein würde, wenn die Anhänger der Stuarts der neuen Regierung Zeit gelassen hätten, sich gründlich verhaßt zu machen. Sie waren aber eben so unklug, wie die Familie, welche sie auf den Thron zurückzuführen wünschten· Im September 1715, in einem Augenblicke , der nicht die entfernteste Aussicht auf Erfolg gewährte, rief der Graf von Mar die schottischen Hochlande zu den Waffen. Der Aufstand würde aller Wahrscheinlichkeit nach auf jenes Gebiet beschränkt geblieben sein, wenn sich nicht in Northumberland die Nachricht verbreitet hätte, daß Befehle ertheilt worden seien, die beiden Führer der Jakobiten in der Grafschaft zu verhaften. Der eine war der Graf von Derwentwater, der andere war Thomas Foster, der Northumberland im Parlament vertrat. Der Graf, ein junger und seit wenigen Jahren verheiratheter Mann, war« sehr» reich, ein eifriger Jäger und ein edler hochherziger Charakter, den seine zahlreichen Pächter und Hintersassen anbeteten. Er hatte sich in die Politik niemals tief eingelassen, aber auch ebensowenig Anstand genommen, seine Ansicht über die große Frage des Staats freimüthig und schroff auszusprechen. Unglücklicherweise war er ein Enkel Carl’s II., da sein Vater eine der zahlreichen unehelichen Töcher jenes liederlichen Monarchen geheirathet hatte. Nur aus diesem Grunde hatte man in London den Befehl erlassen, den einfachen Landjunker und Fuchsjäger zu verhaften.

Am 6. October versammelte Foster, der seine Freiheit ebenfalls bedroht wußte und ein wirklich furchtbarer Feind der Regierung war, mehrere seiner Bekannten und Freunde auf einen hohen Berg, von dem man weithin sehen konnte, so daß das Heranschleichen eines Feindes sogleich bemerkt worden wäre. Lord Derwentwater war benachrichtigt worden, daß ihm Gefahr drohe, und die Berathung auf dem Berge hatte kaum begonnen, als er mit mehreren Hundert seiner Leute erschien. Er hatte am Morgen sein Schloß verlassen, das er nie wieder sehen sollte, und seiner Frau, die täglich ihre Niederkunft erwartete, ein letztes Lebewohl gesagt. Auf diesen Abschied bezieht sich eine der schönsten Jakobiten-Balladen, die noch heute an den Ufern der Thue allgemein beliebt ist. Durch den Zuzug des Grafen und seiner Leute ermuthigt, zogen die Rebellen in Gewaltmärschen nach Morpeth. Hier trat Foster als General auf und befahl dem Pfarrer, daß er am nächsten Tage, der zufällig ein Sonntag war, nicht mehr für König Georg und dessen Familie, sondern für Seine Majestät Jakob den Dritten bete. Der Geistliche, ein kluger Mann, fand es eben so gefährlich, der Weisung zu folgen, als ungehorsam zu sein. Er ließ also sein Pferd satteln und ritt in tiefer Nacht nach Newcastle, wo er die Nachricht von dem Ausbruch eines Aufstandes verbreitete.

Foster fand einen andern Geistlichen, der auf der Kanzel für die Stuarts betete, und nach dem Gottesdienst wurde Jakob der Dritte von Gottes Gnaden König von Großbritannien und Irland unter großen Feierlichkeiten auf dem Marktplatze ausgerufen. Die unglücklichen Jakobiten konnten nun nicht mehr zurücktreten, obgleich sie bald genug erkannten, wie schrecklich sie sich übereilt hatten. Mehrere Tage zogen sie unentschlossen in dem Grenzlande umher, das so viele Gefechte und Schlachten der Schotten und Engländer gesehen hatte. Zeigten sie sich vor einer Stadt, so fanden sie die Thore geschlossen und wagten keinen Angriff. Schließlich wendeten sie sich matt und entmuthigt gegen Süden und zeigten sich vor Preston, wo ein Dragonerregiment und einige Abtheilungen Miliz lagen. Diese Besatzung zog sich vor ihnen zurück, aber ihr Erfolg war ein sehr kurzer, denn schon wenige Tage später mußten sie sich fast ohne Schwertstreich den königlichen Truppen ergeben. Foster, Graf Derwentwater, Lord Nithisdale und andere Personen von ·hohem Range wurden als Gefangene nach London geführt. Das Ende der Geschichte ist bald erzählt. Die Rebellen wurden vor Gericht gestellt und zum Tode verurtheilt. Foster entkam aus dem Gefängniß nach Frankreich und auch Lord Nithisdale wurde am Abend vor dem zur Hinrichtung bestimmten Tage durch seine muthige Frau gerettet, welche die Kleider mit ihm tauschte. Die Andern hatten kein solches Glück und mit ihnen starb Graf Derwentwater auf dem Tower-Hügel.

Durch ganz Northumberland herrschte nichts als Weinen und Klagen, als die Nachricht von dieser Tragödie kam. Niemand

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_812.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)