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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Nacht im Freien zuzubringen. Der Mond beleuchtete den Wald mit bleichem Strahle, vor den Hütten brannten Feuer, die ihren rothen Schein auf die bewegten und sitzenden Männergruppen warfen. Man kochte und briet die Beute der Jagd, und die Weinflasche ging im Kreise herum. Spät erst machte der Schlaf seine Rechte geltend, der Herzog war nach stürmischer Jagd in seiner Hütte eingeschlummert, vor welcher Goethe, bei glimmenden Kohlen sitzend, das neue, merkwürdige Leben an seinen Gedanken vorüberziehen ließ.

Dieser Scene geschieht nur zur Vervollständigung des hier gegebenen Bildes Erwähnung. Eine große künstlerische Darstellung derselben brachte Jahrgang 1861 Nr. 16 der „Gartenlaube“, mit Text von Diezmann, dem um die Goethe- und Schillerliteratur hochverdienten Verfasser des besten Buches über diese Periode, unter dem Titel: „Goethe und die lustige Zeit in Weimar.“

Das Andenken an die liebe lustige Zeit in Stützerbach wurde vom Freundeskreise in Weimar selbst bis in die spätesten Lebensjahre frisch erhalten. Von den einzigen drei Kirschbäumen, die in Stützerbach standen, ließ Goethe mit zartem Sinn jährlich zum Geburtstage Karl August’s, am dritten September, Kirschen kommen, welche dort später reiften.

Die Sturm- und Drangzeit der Kraftgenialität mußte durchlebt werden, der Most hatte gähren müssen, um edler Wein zu werden; der seltene Bruderbund zwischen Fürst und Dichter ist der bewundernden Mit- und Nachwelt zur segensreichsten, edelsten Erscheinung geworden.

H. H.




Der Eislauf
Von Max Wirth in Bern.
(Schluß.)

Eine aufregende Geschichte erzählt Georg Anderson von einem nordamerikanischen Ansiedler, welcher Freiheit und Leben der Schnelligkeit seiner Stahlsohle verdankt. Derselbe war von Indianern gefangen, in Fesseln geschlagen und gemartert worden. Nach ein paar Tagen zeigte man ihm ein paar Schlittschuhe, welche unter der Beute aus seinem Dorfe mitgenommen worden waren. Seine Feinde, unbekannt mit deren Gebrauch, forderten ihn auf, denselben ihnen zu zeigen. Ein Strahl von Hoffnung erleuchtete da plötzlich sein verzweifelndes Herz. Mit zitternder Hand beeilte er sich die Schlittschuhe anzuschnallen. Er ging sofort auf’s Eis und begann vorsätzlich auszugleiten, hin und her zu taumeln und zu fallen; jedoch mit Bedacht fortwährend vom Ufer sich entfernend, während die arglosen Indianer über seine vermeintliche Ungeschicklichkeit lachten. Dieselben befanden sich auf dem fernen Gestade eines der unermeßlichen Seeen des großen nördlichen Continentes, und die Eisdecke, welche sich vor den Augen ausdehnte, endigte erst mit dem Horizont. Als der Gefangene sich weit genug entfernt glaubte, fiel er das letzte Mal, schnallte die Schlittschuhe fester, erhob sich und zog mit voller Eile aus, während die Indianer sich kaum zeitig genug von ihrem Erstaunen erholten, um ihm ein paar Kugeln nachzusenden, welche ihn verfehlten und harmlos auf dem Eise fortrollten. – Obgleich jetzt frei, war der Ansiedler doch nicht außer Gefahr, denn er hatte eine weite Eiswüste ohne Nahrung und Obdach zu durcheilen, den Nachstellungen der Wölfe oder der noch unerbittlicheren Indianer preisgegeben; oft gezwungen bei klaffenden Spalten meilenweite Umwege zu machen, bis er eine schmale Stelle fand, über die er springen konnte. Aber endlich nach zwei Tagen und Nächten stieß er erschöpft und verzweifelnd auf einen Trapper, welcher ihn in die nächste Ansiedelung brachte. –

Ein interessantes Naturphänomen haben wir auf dem Moosseedorfsee beobachtet, welches sich mehr oder weniger auf allen Teichen, Mooren und Seen, deren Grund sumpfig ist, wiederholt. Es bilden sich nämlich im Eise auf solchen Gewässern Blasen, die von aufsteigenden Gasen – wenn ich nicht irre, Kohlenwasserstoffgas – herrühren. Stößt man ein Loch in eine solche Blase und hält rasch ein brennendes Zündholz daran, so steigt eine Flamme auf, deren Umfang nach der Größe der Blase sich richtet. Im vorigen Winter ließen wir eine so große Blase explodiren, daß die aus dem Eise hervorbrechende Feuersäule armsdick und zwei Schuh lang war und etwa fünfzehn Secunden lang brannte. Für die Jugend ist es ein aufregendes Vergnügen, auf diese Art so zu sagen Feuer aus dem Eise hervorquellen zu sehen. Die Bauern schüttelten den Kopf dazu.

Zum Schlusse vergönne mir der Leser, mich an den engeren Kreis der Adepten zu wenden und die hohe Schule der Schlittschuhfahrkunst etwas systematischer aufzuführen, als es im vorigen Winter geschehen ist. Die Grundlage, auf welcher die hohe Schule beruht, ist der Bogen. Auch aus Halifax in Neuschottland schreibt ein Genosse im vorigen Winter: „Der Schlittschuh kann nicht mehr leisten, als den Bogen, soweit es regelrechtes Figurenfahren betrifft. Wenn Leute vom ‚Namen auf’s Eis schreiben‘ sprechen, außer im Fall, wo ein geschickter Schlittschuhläufer einen Namen hat, der aus den Buchstaben C O E S besteht, so glaubt ihnen nicht.“

Ich schicke voraus, daß ich mich folgender Abkürzungen bedienen werde: R. V. gleich Rechter Fuß vorwärts; L. V. gleich Linker Fuß vorwärts; R. R. gleich Rechter Fuß rückwärts, L. R. gleich Linker Fuß rückwärts; A gleich auswärts, E gleich einwärts.


Fig. 1

Die hohe Schule beginnt also mit dem Bogen, der nach acht Richtungen gezogen werden kann: R. V. A.; L. V. A.; R. R. A.; L. R. A.; R. V. E.; L. V. E.; R. R. E.; L. R. E. Einmal, R. V. A. und dann L. V. A. und so abwechselnd fort Bogen zu fahren (Figur 1), heißt man bei uns „Holländern“. Man kann diese Bewegung noch dadurch steigern und interessanter machen, wenn man mit dem den Bogen beginnenden Fuß über den andern „übertritt“.

Fig. 2

Aus dem Bogen entwickelt sich der Kreis (Fig. 2), welcher in derselben Weise mit dem Fuße nach je vier Richtungen gezogen werden kann.

Fig. 3

Es kostet einige Anstrengung, um den Kreis abzuschließen, denn die beim Abstoß am stärksten wirkende Kraft läßt allmählich nach. Der Kreis wird daher nie rein. Dagegen lenkt man aus der Kreisbewegung bei andauernder Uebung von selbst in die Spirale (Fig. 3) ein, welche man bis zu vierfachem und, wie es im vorigen Winter bei außerordentlich günstigem Eise geschah, zu fünffachem Kreise ausdehnen kann. – Das einfache Bogenfahren genügt schon, um sowohl allein als zu zwei und zu vier anmuthige Evolutionen auszuführen. Ein schönes Bild giebt der einfache „Eistanz“: Bogen R. V. A.; L. R. A. und so fort. Diese Tour ist besonders in Nancy zu Hause.

Fig. 4

Vom einfachen Bogen geht man zu Bogencombinationen mit einem und demselben Fuße über. Zuächst kommt der Doppelbogen (Fig. 4), den man, wie den Bogen, nach acht Richtungen ausführen kann: R. V. A. und R. R. E.; L. V. A. und L. R. E.; R. R. A. und R. V. E.; L. R. A. und L. V. E.; R. V. E. und R. R. A.; L. V. E. und L. R. A.; R. R. E. und R. V. A.; L. R. E. und L. V. A. Abwechselnd mit dem einen und dem andern Fuße diese Doppelbogen fahrend und sie je recht zum Halbkreis ziehend, kann schon ein einzelner Läufer sehr anmuthige Situationen darstellen. Man ist darin besonders in Frankfurt am Main Meister.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_823.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)