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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wesens bildeten, versammelte Creuzer in den ersten Tagen seines wiederkehrenden Bewußtseins die ihm zunächst stehenden Freunde und erklärte ihnen feierlich, daß seine Seele bereits vor Gott gestanden und am Rande des Grabes ihm die Nichtigkeit aller irdischen Verhältnisse aufgegangen sei. In Gegenwart Aller bat er die überraschte Frau um Verzeihung, indem er sie weinend in seine Arme schloß. Zugleich gab er seinem Vertrauten, dem Professor Daub, der in alle Verhältnisse eingeweiht war, den Auftrag, der Günderode oder einer ihrer Freundinnen diese unerwartete Sinnesänderung mitzutheilen, indem er zugleich sich selbst gelobte, jede Verbindung mit ihr für immer abzubrechen.“

„Ich glaube,“ sagte ich, als Bettina inne hielt, „daß Creuzer kaum ein Vorwurf treffen kann.“

„Und doch kann ich ihm nicht verzeihen,“ erwiderte sie traurig. „Er war ein schwacher, haltloser, schwankender Charakter, einer solchen flammenden Liebe nicht werth. Statt an mich schrieb Daub an eine andere Freundin, bei der die Günderode sich damals aufhielt. Durch einen unbegreiflichen Zufall fiel der Brief in die Hände der Unglücklichen; ohne den Inhalt zu ahnen, erbrach sie ihn, las ihr schreckliches Geschick und die gut gemeinten Warnungsworte am Schluß: ‚Hüten Sie die Günderode vor dem Rhein und vor Dolchen.‘ Sie hatten die entgegengesetzte Wirkung und beschleunigten nur ihren Tod, statt ihn zu verhüten, wie es wohl die ursprüngliche Absicht war. Mit unbegreiflicher Ruhe schrieb sie noch einige Briefe, worauf sie in größerer Gesellschaft zu Abend aß. Mit einer sonst nicht gekannten Hast und Heftigkeit rief sie der Freundin ‚gute Nacht‘ zu. Niemand ahnte ihr Vorhaben, da sie gewohnt war, des Abends an dem Ufer des Rheins zu wandeln und sich ihren Gedanken und Träumen zu überlassen. Als sie aber nach elf Uhr noch nicht heimgekehrt war, wurde das ganze Haus unruhig. Boten wurden ausgeschickt, um sie zu suchen, doch vergebens. Erst am nächsten Morgen fand man die Leiche, von drei Dolchstichen an derselben Stelle des Herzens durchbohrt, die sie mir gezeigt, die ich geküßt hatte. Neben ihr lag das Messer mit dem silbernen Griff. Um den Hals hatte sie porzellanene Schalen, mit Steinen angefüllt, sich mit einem Handtuch fest gebunden, um sich zu ertränken, falls der Dolch sie fehlen sollte. Ich selbst erfuhr erst später das grauenvolle Ereigniß, als ich, von furchtbaren Ahnungen und Träumen gequält, von fieberhafter Angst verzehrt, wiederholt in meine Geschwister drang, mit mir in das Rheingau zu reisen. Hier erhielt ich nur zu schnell die Bestätigung meiner Befürchtungen. Ich hatte die Freundin für immer verloren. Auf dem Kirchhof zu Winkel ruht die Unglückliche, die mir Alles war. Auf ihrem Leichenstein lies’t man die schöne Inschrift:

Erde, du meine Mutter, und du, mein Ernährer, der Lufthauch!
Heiliges Feuer, mir Freund, und du, o Bruder, der Bergstrom,
Und du, mein Vater, der Aether, ich sag’ euch Allen mit Ehrfurcht
Freundlichen Dank; mit euch hab’ ich hienieden gelebt und ich gehe
Zur andern Welt, euch gern verlassend. Lebt wohl denn,
Bruder und Freund, Vater und Mutter, lebt wohl! –“

Bettina schwieg, in ihrem dunklen Auge glänzte eine Thräne der Erinnerung an ihre arme Freundin.

Max Ring.


Die Wildschützen im bairischen Gebirge.

Es ist wohl der Frage werth, worauf denn der unvertilgbare Hang zum Wildern, der unserm Gebirgsvolk von Alters innewohnt, beruht. Er hat zwei Wurzeln, eine edlere und eine gemeine. Die erstere liegt in dem Gefühl, das schon Schiller mit seinem Schützenlied dem Knaben Tell’s in den Mund legt; in der Sehnsucht nach Freizügigkeit. Es steckt ein aristokratischer Zug im Charakter der Bergbewohner, ein souveraines Bedürfniß freier Bewegung, das den dortigen Bauer am stärksten von dem unbeholfenen, an der Scholle klebenden Bauer des Flachlandes unterscheidet.

In den Bergen ist die Freiheit schon von der Natur begünstigt; das Athmen einer schärferen Luft, die Gewohnheit einer stärkeren Bewegung ist es, die den Gebirgsländer kühn, ritterlich, für Andere interessant gemacht hat. Derselbe Zug ist es, der ihn auch zum Wildschützen gemacht hat. Denn für diesen Hang zu freiem Schweifen ist die Jagd wie geschaffen. Sie giebt den ziellosen Wegen ein Ziel; sie giebt den Reiz der Schwierigkeit und der Gefahr. Man fühlt sich noch einmal so stolz, wenn man die Waffe über die Schulter trägt, man ist kein Bauer mehr, man ist – ein Freier.

Der andere Zug, der zum Wildern lockt, ist ein communistischer. Fast in allen Staaten hat der Kampf um das Jagdrecht eine politische Rolle gespielt, die von der besitzlosen Classe überall im gleichen Sinne ausgebeutet ward. Während sich die Juristen die Köpfe heiß stritten, wurden Andere mit der Controverse schneller fertig und sagten einfach, das Wild ist herrenlos, das Wild ist frei. Diese Idee besteht auch heutzutage noch, trotz aller Jagd und Strafgesetze, sie drückt sich noch schärfer in dem Satze aus, den man dutzendmal hören kann – das Wild ist für die armen Leute! Nicht Freiheit der Person, Freiheit des Eigenthums begehren diese.

So haben viele solcher „armen Leute“ zur Büchse gegriffen, und von dieser Sorte des Wildschützen ist nur ein Schritt zum Verbrecher. Sie treiben die Jagd nicht zur Lust, sondern zum Erwerb, sie sind keine Jäger, sondern Diebe.

Das Unwesen an sich hat zu allen Zeiten bestanden; aber warum blüht es heutzutage ärger als je? Die Spannung ist unerträglich geworden. Der nächste Grund ist natürlich, wie überall, der Widerstreit der Interessen, aber ich glaube, man darf das polemische Element nicht unterschätzen, das in unserer Zeit selbst bis in die unteren Classen durchdrang und alle Parteien und Gegensätze einander schroffer gegenüberstellte. Die junge Generation ist in einer so oppositionellen Luft herangewachsen, daß es den schlimmeren Elementen derselben leicht wird, auch die Behörde und die Vorgesetzten unter den Begriff der Partei zu stellen, d. h. als ihre natürlichen Gegner zu betrachten.

In dieser Weise steht ein Theil der Forst- und Jagdfrevler den Forstbehörden gegenüber – mit einer Eigenmacht, die duldsamere Zeiten nicht gekannt haben. Die rauhe Lebensweise schärft den rauhen Sinn der Vagabunden; die Verleugnung ihres Ansehens zwingt die Forstbeamten, dasselbe um so entschiedener zur Geltung zu bringen. Und wer könnte sich noch wundern, wenn unter diesen Eindrücken Beziehungen entstehen, die man nur in diplomatischer Sprache als „herzliches Einverständniß“ bezeichnet? Nach allen Seiten hin hat sich eine Rivalität entwickelt – an Kraft, an Glück, an Schlauheit; man sucht sich zu überlisten, zu überholen, zu übertreffen und im schlimmsten Falle zu – treffen. Manche dieser Reibungen haben keinen andern Zweck, als sich gegenseitig zu foppen, dann wirken sie komisch, weil die Bravour, die dabei entwickelt wird, geradezu in’s Kolossale geht. Exempla sunt odiosa – aber das thut nichts.

Vor mehreren Jahren kletterte ein wilder schmächtiger Bursche in den Felsen eines Berges herum, den vielleicht manche der Leser selber bestiegen haben. Er war müde geworden und meinte, eine kleine Siesta, ein beruhigendes Mittagsschläfchen wäre ihm wohl zu gönnen. Langsam und vorsichtig schob er sich durch das Latschengestrüpp an einen Felsvorsprung, wo die Wand etwa sieben Klafter tief abfiel. Dort legte er sich nieder; der Rucksack, in dem sich der auseinandergeschraubte Stutzen befand, kam unter das Haupt und auch ohne gutes Gewissen ruhte er doch bald sanft. Minder sanft war das Erwachen. Der Förster – der ihn nicht kannte – stand mit gespanntem Hahn vor ihm und weckte ihn durch einen Fußtritt.

Mit wilden Sätzen sprang der Bursch’ in die Höhe; was war zu thun? Die Büchse lag ja im Rucksack; der Weg war ihm vom Förster vertreten und auf der andern Seite – die Felswand. Er sollte als Gefangener mit dem Förster hinuntersteigen, so lautete dessen bestimmter Befehl – aber das war unmöglich. Die Schand’ vor seinem Dirndl – wenn er so zum Gericht müßte – die hält er nie und nimmer aus.

Verzweifelt nestelte der Wildfang an dem losen Halstuch, es war nicht lange Zeit zum Besinnen. An ein Entrinnen war nicht zu denken, denn die Wand war sieben Klafter tief und siebenmal sechs thut zweiundvierzig. Unten lag hohes Steingeröll; wer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_827.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)