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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Solche Fälle machen es begreiflich, daß sich das oberbairische Volkslied mit seiner stark humoristischen Tendenz ganz besonders in diesen Stoffen entwickelt hat. Es liegt das Rührende und das Muthwillige nirgends so nah beisammen, als in dem, was einem Wildschützen passiren kann, und darum haben wir Lieder von fein elegischer Tonart bis zur tollsten Satire.

Und bal i amal stirb,
Brauch i Weihbrunn koan (kein Weihwasser),
Denn mein Grab dös wird naß
Von mein’ Dirndl sein Woan’ (Weinen).

In den anderen sprudelt ein Uebermuth, der manchmal beinahe genial, eine Schelmerei, die manchmal unsäglich komisch ist. So handelt eines dieser Trutzlieder von einer Haussuchung, die bei einem Verdächtigen nach dessen Gewehr gehalten wird. Auf drastische Weise ist es beschrieben, wie die Jäger kommen, wie sie schnüffeln und Alles durchstöbern, den Strohsack aufschneiden und die Bettlade umkehren. Nach beendigter erfolgloser Suche servirt ihnen der Verfolgte einen Teller mit Sauerkraut, davon er ein frisches Faß im Hause hat und das ihnen vortrefflich mundet. Am Boden des Fasses aber war der sorgsam zerlegte Stutzen verborgen.

Und nur in’s Sauerkraut
Da habn’s nit einig’schaut,
Das Kraut habn’s abig’fressen
Und d’ Bix ham’s ganz vergessen.

So lustig geht’s freilich nicht immer aus. In der Gegend des Isarthals hauste vor einiger Zeit ein Forstwart, welcher weit und breit gefürchtet ward. Sieben Schuh war er hoch, funkelnde Augen, offene Brust und ein grauer grimmiger Schnurrbart! Wenn er so dahinschritt im Walde, sah er aus wie der leibhaftige Nimrod. Neun Menschen hatte er schon erschossen und fast jährlich kam ein neuer dazu; man hatte ihm Rache geschworen und Briefe gelegt, daß sie ihn lebendig in seinem Haus verbrennen wollten, aber der Alte kannte keine Furcht. Bei Nacht und Nebel stieg er in den Bergen herum, mit der Kugel im Laufe und seinen Buben zur Seite, der ihm nachlief wie ein gieriger Jagdhund. Auch auf den Buben hatten sie geschossen – aber der Alte kannte keine Furcht; am Ende ist er kugelfest.

Eines Tages, da er allein umherschweifte, trat ihm eine Rotte von sieben oder acht vermummten Gestalten in den Weg, und diese fingen den alten Nimrod lebendig. Dann warfen sie ihn zu Boden und knebelten ihn, und nachdem sie ihn gräulich gelästert hatten, ward er an einen Baum gebunden, um dort zu verhungern. Drei Tage und Nächte stand er also da, mit weitgespannten Armen; er sah, wie der Mond heraufstieg, wie der Hirsch durch’s Dickicht brach und erschreckt an ihm vorübersauste, wie der Morgen und der Abend graute. Am dritten Abend kamen sie wieder, und weil er noch lebte, so sollte ihm das Leben geschenkt sein. Sie banden ihn los und bildeten Spalier, durch das er Spießruthen laufen mußte. Hoffentlich gaben ihm die Kolbenstöße einen Denkzettel, aber wenn’s noch nicht genug ist, dann fliegt beim Nächsten, den er todtschießt, der rothe Hahn auf’s Dach.

Vierzehn Tage später erschoß er den Nächsten – doch eh’ noch der Hahn kam, kam die Ordre, die ihn versetzte. Er ward hinausgesetzt weit weg auf’s flache Land, und als er fortzog aus den Bergen, weinte er wie ein Kind. Das ist die echte wilde Gebirgsnatur – so grausam und zugleich so weich.

Im Laufe des vergangenen Sommers ward ich zu mehreren Sectionen beigezogen, die an erschossenen Wilderern gemacht wurden. Der eine war gar ein frischer lustiger Gesell gewesen, hellbraun, hoch gewachsen, kaum neunzehn Jahre. Er arbeitete über Tag in einer Sägemühle, bei Nacht aber, wenn die Räder stille standen, trieb es ihn hinaus in’s Weite. Allenthalben war er beliebt, weil er so wunderschön Cither schlug und sang – wenn er Abends vor der Mühle saß, wenn die Bursche und Mädchen dort zum Haingart zusammen kamen.

Zwei Tage vorher hatte ich ihn noch jodeln hören; es war ein peinliches Gefühl, als ich nun hineintrat in die Todtenkammer, wo er in seinen gewohnten Kleidern auf dem Schragen lag. Schon die kräftigen Schuhe, die kurzen Hosen und die flotte Joppe hatten etwas Befremdendes; man kann sich diese bewegliche malerische Tracht gar nicht an einem Todten denken. Die Kugel war ihm vom Rücken in’s Herz gedrungen, und wie er so da lag – die prächtige Gestalt – da fiel mir unwillkürlich Siegfried im Wald und auf der Bahre ein.

Man begann ihn auszukleiden, die Taschen wurden untersucht – und ein Zufall, den ich nie vergessen werde, ist mir da begegnet. Als wir nämlich in die Brusttasche griffen, fand sich ein Stück Papier, auf dem mit Bleistift einige frische Zeilen standen. Es waren die ersten Verse eines Wildschützenliedes, das der arme Schelm beim frühen Morgenlicht sich aufgeschrieben:

Und sollt ich heut’ noch müssen
Im Wald mein Leben büßen,
Ich bleib’ halt doch getreu
Bei meiner Wilderei.

Einmal trifft’s uns ja Alle …

Hier brachen die Verse ab; ehe er den letzten dazu gesetzt, war der erste in Erfüllung gegangen. Ich habe das Blatt zu mir genommen und bewahre es noch heute als ein charakteristisches Andenken.

Mehr gräßlich, als schön, sah ein Anderer aus, den die Grenzjäger zwischen Kreuth und Achenthal getödtet hatten, denn der lag noch in der ganzen Vermummung auf dem Todtenbett, mit falschem Bart und rußigem Gesicht, die Faust auf der Brust geballt. Niemand kannte ihn, aber einzelne Spuren, die man bei ihm fand, wiesen darauf hin, daß er von Lenggries daheim war. Sofort wurden ein paar Bauern, die aus der dortigen Gegend gerade anwesend waren, als Identitätszeugen berufen. Neugierig, mit einem rohen Schauder traten die rauhen Sachverständigen heran an den Todten. Man nahm ihm den schwarzen Bart weg, man wusch ihm das Gesicht – und nun lag er da, wie er leibt und lebt.

„Das ist der Sepp von Lenggries,“ sprach der Eine, „der war vierzehn Jahr lang mein Nachbar.“

„Ja, der ist’s,“ sprach der Andere halblaut, und dann eilten Beide zur Thüre hinaus, als ob sie fürchteten, zum Verräther des Todten geworden zu sein.

Uns aber blieb eine schreckliche Arbeit; es war mitten im Juli und der Leichnam schon ein wenig in Verwesung; er hatte die Augen offen und starrte uns so gequält entgegen, als wir Messer und Meißel anlegten. Mitten im Herzen fand sich ein Stück gehacktes Blei; der Tod mußte ihn wie ein Blitz getroffen haben. In später Nachmittagsstunde kam ein unheimlicher Zug von zehn oder zwölf Gesellen über die Berge herüber und meldeten sich beim Amte. Ihre Worte hatten so etwas bang Verlegenes, ihre Haltung so etwas Drohendes und Forderndes; es waren die Freunde des Gefallenen, die sich dessen Leiche ausbaten, um sie daheim zu begraben. Man gewährte es ihnen und in finsterer Nacht fuhren sie den zerstückelten Körper in einem wohlverpichten Sarge von dannen. Zu den beiden Seiten des Leiterwagens aber saßen sie als Ehrenwache; man hörte nicht, was sie zu einander flüsterten beim Rasseln der Räder, doch es klang wie Rachegedanken.

Lenggries ist jetzt das eigentliche Centrum des Wildschützenwesens, der Menschenschlag ist dort rauher, die geographische Lage günstiger, als irgendwo. Außerdem ist die Isar, die aus dem Karwendelgebirge hier vorüberströmt, jederzeit bereit, die diebischen Gemsbraten und Rehschlegel nach München zu spediren.

So haben’s die Alten nicht getrieben, und deshalb beklagen sie auch hier (wie beim Haberfeldtreiben), „daß die Wilderei in Verfall gerathen sei“. Die jungen Spitzbuben sind zu sehr vom Geist der Neuzeit angesteckt, von dem Annexionsgenie der Gegenwart. Früher hat Einer jahrelang gespart, um sich endlich einen Stutzen zu verdienen; jetzt stehlen sie schon das Gewehr und dann den Gemsbock, und dann den Schubkarren, auf dem sie ihn weiterführen. Sie sind auch grausamer geworden gegen Wald und Wild. Früher wußte man manchen rührenden Zug zu berichten, daß die verwundete Hirschkuh oder das verwaiste Rehkalb beim Wildschützen Zuflucht vor dem Jäger fand; jetzt schießen sie das Kalb und die Mutter über den Haufen. So sagen die Alten, und sie haben nicht ganz Unrecht. Der Wilderer, welcher aus Leidenschaft jagt, schont die Jagd, weil er sie liebt und für sein Recht hält; der Wilddieb, welcher sein Unrecht übt, verwüstet, was er nicht stehlen kann. Wenn’s nicht gar so abgenützt klänge, könnte man wohl sagen, daß auch hier die Romantik zum Teufel gegangen ist. Es ist nun einmal ihr Schicksal in unserem Jahrhundert. Oder kann man es noch romantisch nennen, wenn solche Aasjäger aus Wuth, daß sie keinen Gemsbock gefunden, den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_830.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)