Seite:Die Gartenlaube (1869) 004.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Fleury und Herr von Eschebach, die auch eingeladen waren, mußten bei ihm bleiben. … Der Prinz hatte mich gern, und wenn er Abends mit den Herren spielte, da schickte er seine Lakaien fort, und ich mußte auf seinen Befehl allein im Vorzimmer bleiben. …

Da saß ich denn auch mutterseelenallein im Fenster und horchte auf den gräulichen Tumult draußen. – Herr, um solch’ ein altes Schloß heult der Sturm in einer ganz besonderen Tonart! Da singt und klingt Alles mit, was das alte Gemäuer gesehen hat – Turniren und Banketiren, und was alles für todte Herrlichkeiten – aber auch Verbrechen und Unthaten die schwere Menge! … Es hatte Elf geschlagen, aber überall im Schlosse brannten noch die Lichter, kein Mensch traute sich in’s Bette … auf einmal wurden d’rin im Zimmer die Stühle fortgeschleudert, es riß an der Klingel wie Sturmläuten, und wie ich die Thüre aufmache, da liegt Prinz Heinrich todtenblaß, mit weit aufgerissenen Augen in seinem Lehnstuhl, und das Blut stürzt ihm stromweise aus Mund und Nase. … Die Schloßleute liefen zusammen und klagten und jammerten; aber hinein durfte Niemand mehr – ich auch nicht. …

Herr von Eschebach verstand seine Sache, er war der beste Doctor weit und breit, es heißt aber: ‚für den Tod kein Kraut gewachsen ist’ – dem Prinzen seine Stunde hatte geschlagen – und da kam mit einemmal Baron Fleury heraus und verlangte ein Pferd. ‚Es geht zu Ende mit dem Herrn,’ sagte er zu dem Stallmeister so laut, daß es die Leute noch auf der untersten Treppenstufe hören konnten; ‚ein Ritt nach A. in dieser Nacht ist so gut wie Selbstmord; aber der Prinz will sich mit dem Fürsten versöhnen – ein Schuft, der nicht sein Leben dran setzt’ … Fünf Minuten später hörte ich ihn auf der Chaussee nach A. hinjagen. … Von dem Augenblick an verhielten sich Alle im Schlosse mäuschenstill – die Gräfin sollte ja tanzen, tanzen, bis – der Fürst sein rechtmäßiges Erbe in der Hand hatte. … Da stand ich nun wieder im Fenster und zählte in Todesangst die Minuten – ein scharfer Reiter brauchte eine gute Stunde nach der Stadt.

Mein Major und Herr von Eschebach waren allein beim Prinzen; er hatte noch seine volle Besinnung, – wenn ich der Thüre nahe kam, hörte ich deutlich, wie er mit pfeifendem Athem, ruckweise, den Herren dictirte. … Dort lag Schloß Greinsfeld – wär’ eine klare Nacht gewesen, da hätte ich von meinem Fenster aus ‚die Beleuchtung zu Ehren der Prinzessin Heinrich’ als hellen Punkt sehen können. ‚Hei, tanze Du nur und jubilire da drüben!’ dachte ich, wie die Schloßuhr draußen Zwölfe herabrasselte. ‚Nur noch eine einzige Stunde, und Dein Tanz hat eine halbe Million gekostet!’ … Im selben Augenblick kam die Windsbraut wieder daher gejohlt – ein Schlot stürzte ein, und das Mauerwerk prasselte nieder auf das Pflaster im Schloßhof, aber es klang auch dazwischen wie Pferdestampfen und Räderrollen – da sprang die Thüre auf, und da stand sie – Herr, da stand das Weib! Der Satan mußte sie hergeführt haben! Es weiß bis heute Keiner, was da geschehen ist, und wer den Verräther gemacht hat! … Sie riß den Pelzmantel ab, schleuderte ihn auf den Boden und lief nach dem Sterbezimmer; aber da stand ich schon und hielt das Thürschloß in der Hand. ‚Da hinein darf Niemand, Frau Gräfin!’ sagte ich. Sie stand einen Augenblick wie versteinert; ihre funkelnden Augen bohrten sich wie Mordspitzen in mein Gesicht. ‚Unverschämter, das soll Dir theuer zu stehen kommen!’ zischte sie. ‚Fort, mir aus dem Wege!’ … Ich wich und wankte nicht. Drin im Zimmer mußten sie aber doch was gehört haben – mein Major kam heraus. Er schlug gleich die Thüre hinter sich zu und nahm meinen Vertheidigungsposten ein, während ich auf die Seite trat. … Es war merkwürdig – er hatte auf einmal etwas im Gesicht, was mir nicht gefiel. … Sie haben die Gräfin gekannt, Hüttenmeister.“

„Ja, sie galt für eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. … Drüben im Schloß Arnsberg hängt ja noch ihr Bild – eine geschmeidige, schlanke Gestalt, große kohlschwarze Augen in einem schneeweißen Gesicht, und darüber förmlich strahlendes, goldblondes Haar“ –

„Das war’s eben!“ unterbrach Sievert grimmig lächelnd die Schilderung. „Weiß der Henker, wie sie’s angefangen hat! Sie war dazumal hoch in den Dreißigen und hatte schon eine Tochter von siebzehn Jahren; aber sie sah aus wie Milch und Blut – die Jüngste konnte nicht aufkommen neben ihr, und kein Mensch wußte das besser, als sie selbst. … Das elende Komödiantenweib! Wie zerbrochen fiel sie auf einmal vor meinem Herrn hin, und schlang ihre weißen Arme um seine Kniee. Sie steckte noch in den Maskenkleidern – das funkelte und glitzerte, und das gelbe Haar, das ihr der Sturm auseinandergerissen hatte, schleifte lang nach auf dem Boden; an der Seite des Gesichts aber floß es schmal und roth nieder und ringelte sich über den weißen Hals hin, wie eine kleine Schlange – hm, eine Schlange mußte freilich dabei sein, wo eine Mannesehre zerbrach, der bis dahin kein Fleckchen nachzusagen war! … Herr, mir zuckte es in den Fäusten, die Erbschleicherin von der Schwelle wegzujagen, wo sie nichts mehr zu suchen hatte, – und er stand da, kreideweiß, und entsetzte sich über einen Hautriß an der Stirn des elenden Weibes – ein Stein aus dem niederprasselnden Mauerwerk hatte ihre Stirn gestreift – wenn er nur besser getroffen hätte! … ‚Ich bin verwundet,’ sagte sie so schwach, als ging’s zu Ende mit ihr; ‚wollen Sie mich hier umkommen lassen, Zweiflingen?’ Und sie haschte nach seiner Hand und zog sie an ihren lügnerischen, falschen Mund. … Hei, da schlug es wie eine Feuerflamme über sein Gesicht! Er riß die Frau in die Höhe und – ich weiß bis heute nicht, wie es zuging – sie mußte ein Teufel sein an Schlauheit und Behendigkeit, im Umsehen war sie drin im Zimmer und warf sich vor dem Sterbebett nieder. … ‚Fort, fort’ schrie der Prinz und stieß mit den Händen nach ihr; aber da schoß ihm auch schon wieder ein Blutstrom aus dem Mund, und zehn Minuten nachher war’s aus und vorbei mit ihm.“

(Fortsetzung folgt.)




Meiner Mutter.


Einsam und still
Schreit ich dahin
Im fremden Land.
Der Heimath fern,

5
Die traute Heimath,

Die Jugend vorbei,
Die glückselige Jugend,
Und mein Liebstes, mein Theuerstes
Nun im Grab,

10
Auch du – o Mutter.


Still ist dein Herz,
Das so lange geschlagen
Für mich allein
In Leid und Lust,

15
Das treue, das heilige

Mutterherz. –
Geschlossen dein Aug’,
Das so manche Stunde
Gewacht und geweint

20
Um mich allein.

Und es modert die Hand,
Die liebe Hand,
Die so oft mich gestreichelt
In seliger Zeit;

25
Herz, Aug’, und Hand

Und all’ deine Liebe,
Hast Alles genommen
Mit hinein
In’s dunkle, in’s schaurige

30
Grab – o Mutter!


Und es fällt mein Blick
Auf das weiße Linnen,
Das kühl und lind
Den Leib mir umhüllt.

35
Aus Heimathserde

Grünte hervor,
Dicht hinter des Gartens
Süßduftender Hecke
Wuchs und blühte

40
Der blaue Lein;

Im Elternhause
Ward er bereitet
Und schimmerte hell
Und seidenweich

45
Als buschiger Rocken.

Im Wohngemach,
Bei traulicher Lampe
Saßest und spannst du,
Indeß ich dir vorlas

50
Aus Deutschlands Dichtern;

Und jeder Faden,
Durch deine Finger
Ist er geglitten,
Die Lieben Finger

55
Haben geweiht ihn,

Die oft mir die glühende
Wange gestreichelt
Und segnend geruht
Auf des fröhlichen Knaben

60
Blondem Gelock.

Und tausend Wünsche,
Fromme, heilige
Segenswünsche
Spannst du mit hinein,

65
Mutter – Mutter. –


ich fühle, ich fühl’ es,
Aus des Gewebes
Verschlungenen Fäden
Strömt dein Segen

70
Mir in’s vereinsamte

Trauernde Herz. –
Und trostvoll heimisch
Wird mir zu Muth,
Als ob du selbst

75
Mit den theuren Armen

Lieben und schützend
Still mich umfingst,
Mutter, – Mutter!

H. Allmers.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_004.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)