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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

genannte Speculationsgeschäft besonders blüht, befindet sich der Markt für die Eisenbahn-Actien an der entgegengesetzten Seite in der Nähe des Büffets, wo sich häufig eine gemütliche Gesellschaft zusammen findet. Hier dominirt ein untersetzter Mann mit einer geistlichen Tonsur, der, an einer der hohen Säulen gelehnt, gleich dem delphischen Orakel das Schicksal der Oberschlesier, Oppeln-Tarnowitzer, Görlitzer etc. dem staunenden Volke nicht nur verkündigt, sondern auch „macht“. Herr Kuczynski behauptet auf diesem Felde eine unbestrittene Superiorität und gilt in dieser Branche für eine Autorität ersten Ranges, der diesen Ruf hauptsächlich seinen eingehenden statistischen Studien und Berechnungen verdankt. – Von Zeit zu Zeit erscheint noch an unserem Börsenhorizont ein glänzendes Gestirn, dessen kometenartiger Schimmer Alles zu verdunkeln droht, so daß sein bloßes Kommen eine ungemeine Sensation hervorruft. Noch sind die finanziellen Astronomen darüber nicht einig, ob sie dieses eine Licht zu den Sonnen und soliden Fixsternen oder zu den vorübergehenden Feuermeteoren zählen sollen; wenigstens sind die Meinungen in dieser Beziehung getheilt. Der moderne „Lucifer“ oder Lichtbringer zeigt eine gedrungene, zum Embonpoint neigende Figur, ein volles rundes Gesicht mit stark ausgeprägten, nicht uninteressanten Zügen.

Das fabelhafte Glück dieses Herrn und seine ganze eigenthümliche Persönlichkeit ist mit einem geheimnißvollen Schleier bedeckt und giebt bereits bei seinem Leben Stoff und Veranlassung zur Mythenbildung, womit sich die Börse trotz ihrer prosaischen Natur gern beschäftigt. Nach der Sage war Herr Dr. Stroußberg noch vor wenigen Jahren ein unbekannter Bilderhändler oder armer Privatgelehrter, der in England, wohin das Schicksal ihn auf seinen abenteuerlichen Wanderungen führte, den Stein der Weisen, oder vielmehr einige reiche Capitalisten gefunden haben soll, welche ihm bedeutende Summen zur Verwirklichung seiner kühnen industriellen Projecte anvertrauten. Nach langer Abwesenheit tauchte er plötzlich wieder in Berlin auf, aber diesmal mit fürstlichem Glanz, versehen mit ausgezeichneten Empfehlungen an hohe und höchste Herrschaften, von denen er empfangen und protegirt wurde. Bald gelang es ihm, sich die Concession zu verschiedenen Eisenbahnunternehmungen zu verschaffen, die er trotz aller Zweifel an ihrer Rentabilität, unbekümmert um das Urtheil und Vorurtheil der Welt in’s Leben rief, so daß seine Feinde und Gegner das industrielle Genie, die Ausdauer und Leichtigkeit seines erfinderischen, um Auskunftsmittel nie verlegenen Geistes anerkennen mußten.

Wenn auch Herr Stroußberg im Anfange seiner bewunderungswürdigen Laufbahn mit Mirès, Pereire und ähnlichen zweideutigen Speculanten häufig verglichen wurde, so hat doch der große Erfolg und die Kühnheit seiner Operationen nach und nach einen Umschlag in der öffentlichen Meinung hervorgerufen und die interessante Persönlichkeit mit einem goldenen Nimbus umgeben. Gegenwärtig gilt derselbe in den Augen des Publicums als ein sechsfacher Millionär, wenn auch hier und da noch immer bescheidene Zweifel an der Größe und Solidität seines Vermögens auftauchen. In Wirklichkeit ist er Besitzer mehrerer Rittergüter und einer ansehnlichen Herrschaft, Concessionsinhaber verschiedener Eisenbahnen, außerdem Doctor der Philosophie, Eigenthümer einer vielgelesenen Zeitung und Mitglied des Norddeutschen Parlaments. Er besitzt ein fürstliches Palais in der Wilhelmstraße, dessen Erbauung ihm mehr als vierhunderttausend Thaler gekostet haben soll, eine auserwählte Bibliothek, eine kostbare Gemäldesammlung mit den Meisterwerken eines Meissonier, Vautier und Knaus, einen Speisesaal mit den schönsten Fresken und ein entsprechendes Mobiliar, worunter sich, wie die geschwätzige Fama meldet, zwölf Lehnstühle befinden, welche, wenn man sich darauf setzt, die reizendsten Arien von Donizetti, Bellini, Meyerbeer und Verdi ertönen lassen.

In seinem Antichambre findet man alle Stände vertreten, die Mitglieder der höchsten Aristokratie, Fürsten und Grafen, die sich mit dem Finanzgenie verbinden, neben manchem armen Teufel, der seine Hülfe selten vergebens in Anspruch nimmt. Wie wenigstens vielfach erzählt wird, soll Herr Doctor Stroußberg, eingedenk seiner früheren beschränkten Verhältnisse, ein Wohltäter der Armen und Hilfsbedürftigen sein und eine offene Hand nicht nur zum Nehmen, sondern auch zum Geben besitzen. Manche verbürgte und unverbürgte Anekdote über sein excentrisches Wesen, manches wahre oder falsche Gerücht über seine Geschäftsart wird durch derartige Züge menschlichem Wohlwollens gut gemacht und aufgehoben, und wenn auch im Ganzen noch die Welt über diese außerordentliche Erscheinung zu einem sicheren Resultate, zu einer festen Meinung nicht gelangt ist, so steht wenigstens so viel fest, daß Herr Stroußberg ein Finanzgenie ersten Ranges und einer der glücklichsten Speculanten Berlins ist, obgleich man, wie schon der weise Solon sagt, Niemand vor seinem Ende glücklich preisen soll.

Eine besondere Beachtung an der Berliner Börse fordert und verdient die zahlreiche Classe der Makler, durch welche hauptsächlich die Geschäfte vermittelt und abgeschlossen werden. Sie sind die unentbehrlichen Zwischenglieder, durch welche die Ringe der goldenen Kette zusammengehalten werden, die geschäftigen Bienen, welche von Baum zu Baum, von Blume zu Blume fliegen, um den Nektar einzusammeln nicht bloß für ihre Auftraggeber, sondern auch zu ihrer eigenen Nahrung. Auch hier herrscht ein großer Unterschied, indem wir Makler kennen lernen, welche jährlich dreißigtausend Thaler Provision beziehen, wie z. B. Wilhelm und Theodor Hertel, Hermann Goldschmidt, Chef der bedeutenden Wechselfirma B. Goldschmidt. Eine bekannte Persönlichkeit ist auch Herr Philippshorn, der aus einer angesehenen Familie stammt, welche durch einen ausgezeichneten Diplomaten, einen hohen Postbeamten, durch die berühmte Schauspielerin Crelinger, den talentvollen Theodor Döring und den Maler Amberg illustrirt wird.

Eine eben so originelle als populäre Figur ist der sich jetzt mehr zurückziehende „weiße Salomon“, so genannt wegen seines ehrwürdigen, von langen weißen Locken umwallten, schönen Kopfes, der aber auch wegen seiner oft treffenden Aussprüche und Reden den Namen des „weisen Salomon“ verdienen möchte. Eine fast noch größere Bedeutung für die Berliner Börse als die vereideten Makler, haben die unvereideten. Erstere dürfen nämlich keine Geschäfte auf eigenen Namen machen, während letztere gegen Vergütung der üblichen Maklercourtage Kauf und Verkauf auf eigenen Namen ausführen und selbst reguliren, was dem Geschäft eine namenlose Erleichterung bereitet. Zu den bedeutenderen gehören der österreichische Consul Karo, der sich von einer der untergeordnetsten Beschäftigungen zu einer sehr geachteten Stellung emporgebracht, und wenn derselbe auch durch das Jahr 1866 auf’s Härteste durch Verluste betroffen worden, so kann ihm doch Niemand den Namen eines Ehrenmannes absprechen, dessen großer Wohlthätigkeitssinn noch besonders hervorgehoben zu werden verdient.

Von den Vertretern der Berliner Presse findet man hier die Berichterstatter sämmtlicher politischen und mercantilischen Zeitungen, so wie die Delegaten der beiden Telegraphenbureaux. Eine eximirte Stellung unter den Literaten nimmt der Herr von Killisch, Besitzer und Herausgeber der Börsenzeitung, ein. Als gewandter und höchst talentvoller Journalist hat er sich seine französischen Collegen zum Muster genommen und, wie diese in Paris, sich in Berlin eine lucrative Stellung zu erwerben gewußt, die mit einem Einkommen von mehr als dreißigtausend Thalern jährlich verbunden sein soll. Ueber die Unparteilichkeit der Börsen-Zeitung sind jedoch die Meinungen sehr getheilt. Er lebt auf großem Fuß ganz wie seine bekannten Vorbilder, bewohnt eine prächtige Villa und giebt ausgesuchte Diners für die Feinschmecker der haute finance. Sein Adel ist wie sein Vermögen neueren Datums; er verdankt denselben weniger seinen sonstigen Verdiensten als der gefälligen Adoption durch einen alten gemüthlichen Herrn. – Außer dem Genannten nehmen Herr Davidsohn, der Redacteur des neubegründeten „Berliner Börsen-Couriers“, und Herr Theodor Heymann, Besitzer der „Bank- und Handelszeitung“, eine einflußreiche Stellung ein, von denen der Letztere sich einer großen persönlichen Beliebtheit und des besten Rufes wegen der Unparteilichkeit seines Organs erfreut. Die Nationalzeitung ist durch den sehr tüchtigen Nationalökonomen Dr. Schweitzer vertreten. Die Vertreter der Presse haben ein eigenes Zimmer, wo sie die ihnen von den Maklern mitgeteilten Course für die Zeitungen notiren. Der eigentlich officielle Courszettel wird jedoch von den vereidigten Maklern in dem eine Treppe hoch gelegenen Sitzungszimmer der Kaufmannschaft erst später festgestellt. Während der ganzen Börsenzeit findet ein lebhafter telegraphischer Verkehr statt, wozu ein besonderes Zimmer dient. Sämmtliche Depeschen werden durch einen pneumatischen Apparat, der mit einer Dampfmaschine in Verbindung steht, durch die verdünnte Luft nach dem Haupt-Telegraphenamt befördert, wohin sie in verschlossenen Blechbüchsen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_015.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)