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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Zweiflingen nach Schleswig-Holstein, stürzte sich in den dichtesten Kugelregen und ließ sich niederschießen. Aber das ist beileibe kein Selbstmord - sollte 'mal Einer sich untersteh’n, das Ding so zu nennen! Die Cavalier-Ehre ist gerettet, und nun sieh du, Wittwe, wie du zurecht kömmst! Seine adligen Hände konnten wohl Geld ausgeben, aber rechtschaffen arbeiten und das gut machen, was sie gesündigt hatten, das durften sie nicht - dazu waren sie zu vornehm!“

Er warf den Mantelzipfel über die Schulter und griff nach der Laterne. „So, nun hab’ ich einmal meinem Herzen Luft gemacht!“ sagte er nach einem tiefen Athemzug. „Hätten Sie den Namen ,Eschebach‘ nicht genannt, wär’s nicht geschehen. … Und nun gehe ich heim und schleppe mein Joch weiter! … Aber noch Eines, Hüttenmeister. Nennen Sie mich nie wieder den getreuen Eckardt! Zu dem Posten gehört ein Herz voll Liebe und Geduld, und das hab’ ich nicht, absolut nicht. … Der Major hätte nur zehn solcher Briefe hinterlassen können, wie sie nach der Schlacht bei Idstedt einen bei ihm gefunden haben, ich wär’ deshalb noch lange nicht zu seiner Frau und Tochter gegangen, denn die Liebe war ausgelöscht, aber es war einmal eine Zeit, wo mein Vater sein Bauergütchen durch einen nichtsnutzigen Proceß verlieren sollte; da nahm der Major den besten Advocaten im Lande an und bezahlte ihn, und mein Alter blieb auf seinem rechtmäßig ererbten Eigenthum. An die Zeit dachte ich, packte meine sieben Sachen zusammen und wurde wohlbestallter Haushofmeister, resp. Küchenmagd, Holzlieferant, Scheuerfrau etc. etc. bei Frau von Zweiflingen.“

Der Ausdruck beißenden Hohnes in der Stimme des alten Soldaten wurde noch verstärkt durch die ironische Würde in Haltung und Geberden, die er bei Aufzählung seiner Functionen annahm. Auf den Hüttenmeister aber wirkte diese Art und Weise sichtbar peinlich und verletzend. Er kniff die Lippen unter dem Vollbart fest aufeinander, seine Brauen falteten sich noch düsterer als zuvor, und stillschweigend legte er die Papierdüte, die er bis dahin in der Hand gehalten, auf einen Seitentisch. Sievert trat jedoch mit zwei raschen Schritten zu ihm.

„Geben Sie nur her!“ sagte er, indem er die Düte ergriff und auf das Brod in seinem Korbe legte. „Den Gefallen thu' ich Ihnen schon. … Aendern kann ich doch nichts mehr, und die armen Dinger da sollen nicht umsonst abgeschnitten sein. … Will’s schon ausrichten, weshalb Sie heute nicht zur ‚Theegesellschaft‘ kommen können. Und nun gute Nacht und gute Besserung für den Herrn Studenten!“

Damit verließ er das Zimmer und trat wieder hinaus in den stürmischen Abend.




2.

Er schlug denselben Weg ein, wie die Pfarrerin – nach dem Dorfe Neuenfeld, das ohngefähr einen Büchsenschuß weit vom Hüttenwerk lag. Aber der Weg war unterdessen ein sehr mühseliger geworden, der Sturm hatte fußhohe Schneewälle zusammengefegt und quer über die Chaussee geworfen, und der Flockenwirbel erfüllte die Luft so compact und undurchdringlich, daß auch nicht eine Spur der Ebereschenbäume zu beiden Seiten der Chaussee sichtbar war.

Der alte Soldat stampfte mit Todesverachtung im förmlichen Sturmschritt vorwärts; ihm wurde wohl inmitten des Tumultes. Er schob die wohlbefestigte Mütze nach dem Hinterkopf zurück und ließ sich von dem kalten Schnee die Stirne bestäuben, hinter der die plötzlich wachgerüttelten alten, bösen Erinnerungen brannten. Das Knirschen und Krachen unter seinen Füßen erfüllte ihn mit einer fast kindischen Befriedigung; er trat noch einmal so fest auf und dachte an seinen Lebensweg, den er mit Mißbehagen und tiefem Widerwillen ging, da durfte er ja nie auftreten, wie er wollte, und wurde unter der Einlösung alter Verpflichtungen grau, verbittert und menschenfeindlich.

Neuenfeld, eines jener armseligen Gebirgsdörfer, wie der Thüringer Wald deren genug auf seinem Rücken trägt, lag in lautloser Stille vor ihm es sah aus, als habe es sich geduldig und willenlos ergeben in die kleine Thalsenkung hingestreckt, um sich nun bis an seine Schindeldächer einschneien und einsargen zu lassen. Am Tage erschienen die elenden, unregelmäßig durcheinander gestreuten Häuser mit den verwahrlosten Gärtchen an ihrer Seite nichts weniger als einladend; in diesem Augenblick jedoch, wo Schnee und Nacht die Lehmwände und grauen Schindeln deckten, fiel der matte Lichtschein der kleinen Fenster gastlich und anmuthend in das Schneewetter draußen. Die Glasscheiben bedurften keiner Laden oder verhüllenden Vorhänge - das besorgte der wohlgeheizte Ofen, der ja tröstlicher Weise selbst im ärmsten Hause nicht fehlt, er behauchte sie mit einer dicken Dunstschicht, und so konnte kein Nachbar bei dem anderen sehen, ob er seine Abendkartoffeln einfach in das Salzfaß tunke, oder sich den Luxus einiger Loth Butter auf seinem ungedeckten Tisch erlaube.

Sievert durchmaß das Dorf mit verdoppeltem Eilschritt. Die erleuchteten Fenster erinnerten ihn, daß daheim das letzte Stümpfchen Licht auf dem Leuchter steckte, es hatte bereits sieben geschlagen, eine ziemliche Strecke Weges lag noch vor ihm, und die Bewohner des Waldhauses waren auf das Abendbrod angewiesen, das er im Korbe heimbrachte. Am Ende des Dorfes verließ er die Chaussee, die auf der Thalsohle noch ein Stück fast schurgerade in die weite Welt hineinlief, und betrat, links abbiegend, einen jener vernachlässigten Holz-Fahrwege, die nach einem aufweichenden Regen bodenlos, bei frosthartem trockenem Wetter aber durch die fußtiefen Geleise geradezu halsbrechend werden.

Das Waldhaus führte seinen Namen mit Recht. Vor Jahrhunderten von einem Herrn von Zweiflingen lediglich zu Jagdzwecken erbaut, lag es wie verloren im Walde. Bewohnt hatten es seine Besitzer niemals; das eigentliche Haus bildete eine einzige ungeheure Halle, und nur die zwei ziemlich umfangreichen Thürme, die zu beiden Seiten der Vorderfronte emporstiegen, enthielten einige Gemächer, in denen ehemals die Theilnehmer an den großen Jagden übernachtet hatten. Nach dem Tode des Majors von Zweiflingen war dessen Wittwe in eine kleine Stadt Thüringens übergesiedelt. Ihr ganzes Einkommen bestand in einer sehr schmalen Pfründe, die ihr infolge einer uralten Zweiflingen’schen Stiftung zufiel - eine kleine Pension, die ihr der Minister, Baron Fleury, beim Fürsten von A. ausgewirkt, hatte sie zurückgewiesen. Den Luxus, irgendwelche Dienerschaft zu halten, schloß der kleine Etat selbstverständlich aus; Sievert mußte demnach selbst für seinen Unterhalt sorgen, und er konnte es, er hatte das von seinem Vater ererbte Bauerngütchen verkauft, und die Zinsen des Capitals reichten vollkommen aus für seine geringen Bedürfnisse. Vor zwei Jahren nun war ein Rückenmarkleiden bei Frau von Zweiflingen zum Ausbruch gekommen, sie hatte sich damals bereits dem Tode nahe gewähnt und mit fieberhafter Heftigkeit verlangt, auf Zweiflingen’schem Grund und Boden zu sterben. Unter unsäglichen Mühen war sie nach dem Waldhaus, dem letzten Rest ehemaligen glänzenden Besitzthums, geschafft worden und erwartete hier in völliger Abgeschiedenheit die erlösende Stunde.

Allmählich stieg der Boden unter Sievert’s Füßen aufwärts. Der alte Soldat watete bis über die Knöchel in dem zwischen den Furchen liegen gebliebenen Schnee und hatte schwer zu kämpfen mit dem Sturm, der hier widerstandlos über den baumlosen Wiesenabhang hinpfiff. Aber schon brauste es schutzverheißend von droben herab – wohl heult der Sturm um ein altes Schloß in einer ganz besonderen Tonart, allein nicht weniger ergreifend klingen seine Stimmen, wenn er die Waldwipfel schüttelt, wenn er jedes dürre, zusammengekrümmte Eichenblatt zu seinem Sprachrohr macht und die leblose Blätterleiche zwingt, klagend mitzusingen von todter Waldesherrlichkeit, von Lenzesliebe und Sommertraum, aber auch von alten, alten Zeiten, da das Trara aus dem Hifthorn des Knappen scholl und das goldige Haar der pürschenden Edeldame über dem Dickicht wehte.

Für Sievert klang auch noch Anderes mit in dem Tosen, das jetzt über seinem Haupte hinzog. Die zürnenden Stimmen der alten gestrengen Herren von Zweiflingen – sie hatten hier geherrscht mit dem ganzen Gewicht feudaler Macht und Rechte, sie hatten oft unerbittlich grausam und blutig gerichtet über den Walddieb und Wilderer in ihrem Revier – und jetzt mußte der alte Soldat auf dem nun fremden Grund und Boden die dürren Reiser auflesen, um den letzten Nachkommen des glänzenden Geschlechts eine warme Stube zu verschaffen, er war noch vor Kurzem in dem Untergehölz, inmitten der scheelsehenden Bettelkinder des Dorfes, umhergekrochen und hatte von dem scharlachnen Teppich der Preißelsbeeren ein paar Körbe voll eingeheimst, zur Erquickung der letzten Frau von Zweiflingen.

Der Alte pfiff leise zwischen den Zähnen, wie Einer, der ein

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