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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

sichtbarem Wohlgefallen, aber auch mit einer Art von ehrfurchtsvoller Scheu über die Zobelverbrämung und den köstlichen echten Sammet des Mantels – das Geschöpfchen da vor ihr mußte sehr vornehmer Leute Kind sein. … Es war ein eigentümliches kleines Wesen. Hoch emporgeschossen, aber sehr schmal in den Schultern und von wahrhaft erschreckender Magerkeit, sah das flache, dünne Körperchen aus, als müsse es schon der Winterstoff des Kleides mittels seiner schweren Falten erdrücken. Das dicke, sehr helle, ja völlig farblose Haar war knabenhaft kurz zugestutzt und an den Schläfen weg einfach hinter das Ohr gestrichen. Diese unkleidsame, nüchterne Frisur verlieh dem fleischlosen Gesichtchen scharf hervortretende Ecken – für den ersten flüchtigen Blick also war die kleine Mädchenerscheinung in ihren Umrissen eine sehr häßliche; allein wer vergäße nicht über einem Paar tiefer, unschuldig blickender Kinderaugen die mangelhaften, eckigen Linien jugendlicher Magerkeit! Und es waren in der That sehr schöne rehbraune Augen, die sich jetzt ernst und nachdenklich auf das verfallene Gesicht der alten blinden Frau hefteten, während eine zarte Kinderhand die Finger derselben leise berührte.

„Ah, da bist Du ja, meine Kleine!“ sagte Frau von Zweiflingen und zog das Händchen näher an sich. „Du hast wohl Deinen Puß sehr lieb?“

„O ja, sehr lieb!“ bestätigte das Kind. „Die Großmama hat ihn mir geschenkt, und deshalb ist er mir viel lieber als Alles, was mir Papa giebt – er bringt mir auch immer nur Puppen, die ich nicht leiden kann.“

„Wie, ein so allerliebstes Spielzeug gefällt Dir nicht?“

„Gar nicht – die Puppenaugen sind schrecklich, und das ewige Aus- und Anziehen langweilt mich – ich will nicht sein wie Lena, die mir auch immerfort neue Kleider bringt und mich quält – ich weiß es ganz genau, Lena ist sehr putzsüchtig.“

Frau von Zweiflingen wandte den Kopf. mit einem bitteren Lächeln nach der Richtung, wo eben Jutta’s seidenes Kleid leise knisterte. Sie öffnete die lichtlosen Augen weit, als solle und müsse sie in diesem Moment das Gesicht der Tochter sehen, das denn auch unter dem ausdruckslosen Blick der Mutter leicht erröthete.

„Nun, da mag Dir Puß freilich besser gefallen,“ hob die Blinde nach einer kleinen Pause wieder an, „er wechselt seine Toilette niemals.“

Das Kind lächelte und sah dadurch plötzlich unbeschreiblich anziehend aus – die schmalen Wangen rundeten sich, und ein Zug sanfter Lieblichkeit verschönte den kleinen, blassen Mund.

„O, er gefällt mir auch besser, weil er sehr vernünftig ist!“ sagte sie. „Ich erzähle ihm alle hübschen Geschichten, die ich weiß und mir erdenke, und da liegt er vor mir auf dem Kissen und blinzelt mit den Augen und schnurrt, was er kann – das thut er immer, wenn ihm etwas gefällt. … Papa lacht mich immer aus; aber es ist doch wahr – Puß kennt meinen Namen.“

„Ei, das ist ja ein merkwürdiges Thier! … Und wie heißest Du denn, meine Kleine?“

„Gisela, wie meine todte Großmama.“

Es fuhr wie ein gewaltiger Ruck durch die Glieder der Blinden.

„Deine todte Großmama!“ wiederholte sie und bog sich in atemloser Spannung aufhorchend vornüber. „Wer war Deine Großmutter?“

„Die Frau Reichsgräfin Völdern,“ antwortete das Kind fast feierlich – es hatte offenbar den Namen nie anders als im tiefsten Respect aussprechen hören.

Frau von Zweiflingen schleuderte jählings die kleine Hand des Kindes, die sie bisher zärtlich in der ihrigen gehalten, weit von sich wie ein giftiges Gewürm.

„Die Gräfin Völdern!“ schrie sie auf. „Ha, ha, ha, die Enkelin der Gräfin Völdern unter meinem Dache! … Brennt die Spiritusflamme unter der Theemaschine, Jutta?“

„Ja, Mama,“ antwortete das junge Mädchen tief erschrocken - es lag etwas wie Wahnwitz in der Stimme und den Geberden der alten Frau.

„So lösch' sie aus!“ befahl sie rauh.

„Aber, Mama –“

„Lösch’ sie aus, sag’ ich Dir!“ wiederholte die Blinde mit wilder Heftigkeit.

Jutta gehorchte. „Sie brennt nicht mehr,“ sagte sie leise.

„Nun trage Salz und Brod hinaus.“

Diesmal folgte die junge Dame dem Geheiß ohne Widerrede.

Die kleine Gisela hatte sich anfänglich verschüchtert in eine Ecke geflüchtet, aber sehr bald wich der bestürzte Ausdruck ihres Gesichtchens dem des Trotzes und der Indignation. Sie war nicht unartig gewesen, und man hatte sich unterstanden, sie zu strafen. In ihrer kindlichen Unschuld ahnte sie zwar nicht, daß die Befehle der Blinden eine förmliche Kriegserklärung enthielten, sie fühlte nur, daß sie ungebührlich behandelt werde – eine Erfahrung, die sie augenscheinlich zum ersten Mal in ihrem jungen Leben machte.

„Du mußt warten, Puß, bis wir nach Arnsberg kommen,“ sagte sie und nahm dem Thier die Milch weg, die Jutta auf den Boden gestellt hatte. Dann griff sie nach Mantel und Kapuze und machte sich reisefertig. Eben war sie im Begriff, die Katze in die Decke zu hüllen, als Jutta wieder eintrat.

„Ich will lieber wieder hinausgehen und Papa bitten, daß ich mit Frau von Herbeck im Wagen bleiben darf!“ rief das Kind der Eintretenden entgegen und warf einen trotzigen Blick nach der Blinden; allein diese schien plötzlich gar nicht mehr zu bemerken was im Zimmer vorging. Noch strammer als zuvor in ihrer Haltung und den Kopf horchend nach der Thür gewendet, die in die Halle führt, saß die Gestalt dort, unbeweglich, wie zu Erz erstarrt – desto lebendiger erschien das Gesicht. Vielleicht wäre der Mann, der in diesem Augenblick so fest und sicher durch die Halle schritt und in einem so vornehm gebietenden Ton zu Sievert sprach, doch nicht durch die Thüre getreten, hätte er dies Frauenantlitz sehen können, in dessen harten, gespannten Zügen glühender Haß und eine unerbittliche Rachsucht gleichsam lauerten, um urplötzlich hervorzubrechen.

Die Thür wurde geöffnet. Zuerst erschien eine Dame auf der Schwelle, noch trug das volle hübsche Gesicht die Spuren der Alteration, denn es war völlig blutlos; ebenso zeigte der derangirte Anzug, daß die sehr stattliche Gestalt nicht ungefährdet das Dickicht passirt hatte; allein sie verbeugte sich trotzdem mit einem verbindlichen Lächeln und der ganzen Sicherheit der Weltdame, als hätten ihre Füße nicht einen Moment den ebenen Boden des Salons verlassen.

Jutta begrüßte sie beklommen mit einem angsterfüllten Blick nach der unheimlich schweigenden Gestalt im Lehnstuhl. Draußen tobte der eisige Schneesturm, aber zwischen den vier engen Thurmwänden dünkte es plötzlich dem jungen Mädchen schwül, wie vor der Entladung dräuender Gewitterwolken. Durch die offene Thür sah sie, wie der mitgekommene Herr rasch seinen Mantel abstreifte und ihn Sievert übergab, der mit der Laterne neben ihm stand – nie war ihr das Gesicht des alten Soldaten so feindselig und verbissen erschienen, als eben jetzt. Trotz ihrer inneren Angst überkam sie ein unbeschreiblicher Aerger – wie konnte der alte Diener in seiner untergeordneten Stellung die Frechheit haben, der gebietenden, vornehmen Männergestalt gegenüber ein so impertinent unhöfliches Gesicht zu zeigen!

Der Herr trat auf die Schwelle. Er ergriff die Hand der kleinen Gisela, die ihm entgegenlief, und ohne zu betrachten, daß das Kind einen dringenden Wunsch auf den Lippen hatte, schritt er in das Zimmer, um die verheißene Vorstellung mittels einer nachlässig leichten, aber sehr eleganten Bewegung in Scene zu setzen – allein die Blinde hatte sich plötzlich mit einem gewaltsamen Ruck in ihrem Lehnstuhl halb erhoben und streckte ihm abwehrend die Hand entgegen. Dieser durch die Krankheit so furchtbar entstellte Frauenkörper, dem die entfesselte Leidenschaft für Augenblicke den Anschein von Selbstständigkeit zurückgab, hatte etwas wahrhaft Gespenstiges.

„Nicht einen Schritt weiter, Baron Fleury!“ gebot sie. „Wissen Sie, über wessen Schwelle Sie gegangen sind, und muß ich Ihnen wirklich erst sagen, daß dieses Haus keinen Raum für Sie hat?“

(Fortsetzung folgt.)




Jeden unbefugten Nachdruck der Erzählung „Reichsgräfin Gisela“ von E. Marlitt werden wir mit der ganzen Strenge der Gesetze zu verfolgen wissen.

Die Verlagshandlung.     


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_036.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2021)