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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

der Arche steht, dem Bedrängten die hülfreiche Hand und versammelt ihn zu den reinen und unreinen Geschöpfen, die er bereits in seinen Kasten aufgenommen hat.

Diese Arche, von welcher hier die Rede ist, nennen wir in der Universalsprache einen „Omnibus“; der Vater Noah, welcher dem Ertrinkenden die Hand entgegenstreckt – und o, was für niedliche, zarte und quabblige Händchen bekommt er den Tag über zu greifen! – dieser Vater Noah, welcher mit dem biblischen dann und wann gemein hat, daß er ein Weib und drei Söhne besitzt, sich aber dadurch von Jenem unterscheidet, daß er keine Weinstöcke pflanzt und keinen Wein trinkt, sondern sich vorzugsweise von Brühkartoffeln, Weißbier und Kümmelschnaps nährt, heißt auf deutsch „Conducteur“.

Betrachten wir das Gefährt näher, so sehen wir einen langen vierräderigen Wagen, auf jeder Seite mit drei Fenstern und auf der Hinterseite mit einem niedrigen Tritt und einer Eingangsthür versehen. Auf den beiden äußeren Seiten und an der Rückwand des Wagens stehen oben mit schwarzen Buchstaben auf weißen Schildern die Endpunkte der Tour, zuweilen auch die wichtigsten dazwischen liegenden Punkte, angegeben. Des Abends unterscheiden sich die Omnibusse der verschiedenen Linien noch durch verschiedenfarbige Laternen.

Im Innern befindet sich, wie in allen dergleichen Wagen, auf jeder Längsseite eine mit Leder oder Plüsch gepolsterte Bank, deren jede sechs Personen aufnehmen kann. An der vorderen Querseite hängt die gedruckte Karte, welche die Abfahrtszeiten von den beiden Endpunkten der Tour angiebt. Auf der linken Seite der Hinterwand, neben dem Conducteur, befindet sich eine Laterne, die mit der Nummer des Wagens bezeichnet ist, und die Zifferscheibe, auf welcher die Zahl der Passagiere mittels des stellbaren Zeigers angegeben werden muß. Mit großer Oelfarbenschrift steht angeschrieben, daß das Fahrgeld gleich nach dem Einsteigen zu entrichten ist und daß nicht Tabak geraucht werden darf. Es bedurfte zur Erfüllung der letzteren Bestimmung der größten Entschiedenheit seitens der Polizeibehörde, denn in den Protesten, welche sowohl von den Omnibus-Unternehmern wie von einem großen Theil des fahrenden Publicums gegen jenes Verbot einliefen, bewährte sich wieder die alte Thatsache, daß der Deutsche nicht nur, wie die übrigen Menschen, ein kochendes, sondern auch vorzugsweise ein rauchendes Thier ist und daß die reinste Himmelsluft ohne die Beimischung des narkotischen Dampfes der verschiedenen Fabrikate, von der Regalia bis zum Ohlauer Knaster und der Infamia Stincadores, ihm nur ungenießbar vorkommt.

Auf dem Deck des Omnibus sind ebenfalls zwei hölzerne Bänke für je fünf Personen angebracht, zu welchen von dem Trittbrete eine eiserne Treppe hinaufführt. In Paris sind diese „banquettes“ bei den Omnibussen, welche die Stadt kreuzen, nicht gestattet, weil man sie für gefährlich hält; nur die über Land fahrenden Wagen sind mit dieser Einrichtung versehen.

Schlägt man sich die Gefahr aus dem Sinne, bei einem Bruch der Achse nach dem Gesetz der Centrifugalkraft auf das Straßenpflaster geschleudert zu werden, so bietet der Platz auf dem Deck mancherlei Vorzüge: man fährt um die Hälfte billiger als im Innern, kann Tabak rauchen, genießt bei schönem Wetter eines stärkenden Luftbades und härtet bei ungünstiger Witterung seine körperliche Gesundheit und Widerstandskraft. Hat man einen der vorderen Plätze in Besitz, so ist man im schlimmsten Falle durch den breiten Rücken des Kutschers gedeckt.

Dieser Kutscher steht mit dem Conducteur in Verbindung durch eine Art Nabelschnur, welche über das Deck und unter den Füßen der Passagiere fortgeht und in das man sich nicht verwickeln darf, wenn man nicht hinabstürzen oder die Gedankenverbindung zwischen der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt des Fahrzeuges stören will. Jene Schnur nämlich, die an den linken Arm des Rossebändigers befestigt ist und bis auf die Hinterseite des Wagens hinabreicht, wird vom Conducteur angezogen, sobald der Wagen anhalten oder langsamer fahren soll. Es gehört das Zartgefühl eines Omnibuskutschers dazu, um durch Mantel, Rock und Unterjacke an dem stärkeren oder milderen Ruck wahrzunehmen, was von Beiden verlangt wird: das Erstere, wenn eine Dame, ein Kind oder ein Greis ein- oder aussteigt; das Zweite, wenn ein Mann, der sich auf der Grenze zwischen der vollen Manneskraft und dem einbrechenden Greisenalter befindet, während des Fahrens aufgenommen werden oder den Omnibus verlassen will.

Sobald der Kutscher mittels der Schnur den Ruck zum Stillhalten bekommen hat, überliefert er diese Depesche mit Hülfe der Leine den Pferden, indem er denselben einen Ruck in die Ganaschen giebt. Dieses wiederholte plötzliche Stillhalten aus vollem Lauf und das erneuerte Anziehen ist für die Pferde ebenso mühsam wie aufreibend, und es läßt sich wirklich in dieser Beziehung das gequälte Omnibuspferd nur etwa mit einem Schriftsteller vergleichen, der „im Schooße seiner Familie“ oder in einer unruhigen Miethcaserne arbeitet und dessen Gedankengang ebenfalls in kurzen Zwischenräumen einen unterbrechenden Ruck erhält, wenn einer seiner Söhne ihm eine Frage über die Schularbeiten stellt, die Gattin einen Rath in häuslichen Angelegenheiten begehrt oder die Nachkommenschaft des über ihm wohnenden Miethers plötzlich ein Wettrennen in Holzpantinen eröffnet.

Jungen Männern und solchen, die noch im Besitz der vollen körperlichen Kraft und Rüstigkeit stehen, wird zugemuthet, daß sie den Wagen während des Fahrens verlassen, ohne sich den Hals dabei zu brechen. Noch vor zehn Jahren würde man dieses gefahrvolle Unternehmen in Deutschland von keinem Menschen verlangt haben: es gehört dazu eine Entschlossenheit und Gewandtheit, die unsere Generation erst durch den Krieg und durch eine halsbrechende Gymnastik gewonnen hat; eine körperliche Rüstigkeit, welche wir dem Hoff’schen Malzextract und dem Danbitz’schen Kräuter-Liqueur verdanken; es gehört dazu endlich eine gewisse Geringschätzung des Menschenlebens, wie sie der Yankee besitzt und wie sie durch das erhöhte Industrieleben und die Ueberschätzung des Gelderwerbs hervorgebracht wird.

Obgleich das Omnibuswesen Berlins noch an manchen Kinderkrankheiten leidet, obgleich ihm die vorzügliche Einrichtung der Pariser Omnibusse fehlt, nämlich die sogenannte Correspondenz, welche dem Passagier gestattet, ohne Erhöhung des Fahrgeldes in eine andere Linie überzugehen, den erforderlichen Wagen in einem Stationszimmer zu erwarten und laut einer erhaltenen Nummer seines Platzes gesichert zu sein – obgleich diese Correspondenz-Einrichtung bis jetzt erst von dem Verwaltungsrathe beabsichtigt wird, so muß dennoch schon die gegenwärtige Organisation unsere Bewunderung erregen.

Begeben wir uns des Morgens in der Frühe nach einem der sogenannten Depôts, deren sechs in der Hauptstadt eingerichtet sind!

Ein großer Hof wird von zwei langen Gebäuden begrenzt; das eine enthält die Schuppen von zwanzig bis fünfzig Wagen, das andere die Ställe für dreihundert bis dreihundertundfünfzig Pferde; ein kleines Bureaugebäude für den Depôt-Verwalter befindet sich am Eingange des Hofes.

Stallknecht und Kutscher sind beschäftigt, die Wagen und Ställe zu reinigen, die Pferde zu füttern, zu putzen und aufzuschirren. Conducteure und Kutscher treten dann vor dem Verwalter und Inspector zum Appell an, erhalten ihre Stellen zugewiesen, werden über etwa eingelaufene Beschwerden vernommen und mit den neuen Verordnungen des Centralbureaus bekannt gemacht. Zur vorgeschriebenen Zeit werden die Wagen bespannt, die Kutscher und Conducteure nehmen ihre Plätze ein, und fort rollen die mächtigen Fuhrwerke nach ihren verschiedenen Hauptplätzen. Um 7½ Uhr sind die letzten Wagen abgefahren. Das Ameisentreiben im Depôt hat nun einen Stillstand und wiederholt sich erst am Abend, wenn die Gefährte von der Arbeit zurückkehren.

Dennoch geht es dort noch fortwährend geschäftig genug zu: die Stallknechte besorgen die Reservepferde, reiten die Thiere, welche zum Umspann bestimmt sind, nach den Stationen und führen die ausgespannten und ermüdeten, die sie mit leinenen ober wollenen Decken überhängt haben, nach den Ställen zurück. Jene sechs Depôts, unter der Aufsicht von drei Verwaltern und sechs Inspectoren, versehen den städtischen Verkehr mit hundertvierzig Wagen und elfhundert Pferden, welche auf fünfundzwanzig Linien vertheilt sind und von hundertsiebenzig Kutschern, eben so vielen Conducteuren, dreißig Controleuren und hundertvierzig Stallknechten bedient werden. Die Controleure erhalten jeder monatlich fünfundzwanzig Thaler Gehalt, jeder Conducteur und Kutscher empfängt achtzehn Thaler, jeder Stallknecht vierzehn Thaler. Die tägliche Einnahme eines Omnibus ist auf zehn Thaler anzuschlagen. Die Controleure pflegen unvermuthet auf einem Punkte der Fahrt heran zu kommen, auf das Trittbret zu springen, sich das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)