Seite:Die Gartenlaube (1869) 056.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Ein neues Blitzen – und ein neues
Vergeh’n und Kommen bricht herein,

35
So will’s ein alt Gebot, ein treues,

Und Du wirst selber nicht mehr sein,
Nicht Bess’res wirst Du Dir erwerben,
Vergehen muß Dein ganz Geschlecht,
Daß Andre leben, mußt Du sterben,

40
Das ist Dein Urgesetz und Recht.


Und was nach Dir? Welch’ andre Normen?
Und welch’ ein Geist? Ich weiß es nicht;
Nur daß aus tausend neuen Formen
Die ewige Verjüngung bricht,

45
Denn auf der Todten Ahnensitze

Befestigt sich der Enkel Thron
Und der Mysterien Haupt und Spitze
Ist das vom Vater und vom Sohn.

Nur Eine Lehre, die wir hören,

50
Nur Eine seit dem ersten Tag:

Der Gott des Lebens muß zerstören,
Damit er neu erschaffen mag;
Kein Schöpfungsfest und dann ein Fasten,
Kein Schöpfer, der nicht ewig schafft,

55
Kein Gott, der ruhen muß und rasten,

Und kein Entkräften auf die Kraft!

Und keine Welt, die nicht zu neuer
Verwandlung ihr Gesetz empfing,
Wenn in den Fluthen, wenn im Feuer

60
Ein Reich des Daseins unterging!

Es giebt ein ewig Kräftetreiben;
Nicht Du wirst leben, wie Du bist,
Doch sei beruhigt, Es wird bleiben,
Was Lebenskraft und Wirkung ist.

65
Doch wie es leiben wird und leben,

Ein neu Geschlecht? – Ist’s nicht genug,
Daß diesem schon Gewalt gegeben,
Die eine Kettenlast zerschlug,
Die jeder Kraft und Lebensregung

70
Gesetz zu deuten unternimmt

Und aus des Sonnenstrahls Zerlegung
Der Sterne Wesen hat bestimmt?!




Die sieben Mädchen von Verdun.
Eine Episode aus der französischen Revolution.
Von L. S. Lungershausen.

Der im August 1791 zu Pillnitz abgeschlossene Vertrag, durch welchen sich die gekrönten Häupter Deutschlands zur Wiederherstellung der monarchischen Regierung in Frankreich verpflichteten, brauchte nach dem Geschäftsgange des seligen Römischen Reiches just ein Jahr, ehe er zur Wahrheit wurde. Anfang August des nächsten Jahres, wo bereits die bourbonischen Lilien, getroffen vom heißen Hauch entfesselter Volksleidenschaft, dem Verwelken nahe waren, trafen endlich siebenzigtausend Preußen, geführt von Friedrich Wilhelm dem Zweiten und dem Herzog von Braunschweig, in den deutschen Grenzländern ein, machten in zwanzig Tagen einen Marsch von zwanzig Meilen und betraten am 19. August den Boden Frankreichs.

Drei Tage später ergab sich die kleine Festung Longwy, und kurz darauf wurde sogar der Commandant des wichtigeren Verdun, Beaurepaire, der sich am Tage der Uebergabe erschoß, zur Capitulation genöthigt. Das, gelinde gesagt, abenteuerliche Unternehmen, sich in die innersten Angelegenheiten eines fremden Volkes einzumischen, schien den besten Erfolg zu haben.

Berichte von Zeitgenossen schildern den Empfang, der dem König Friedrich Wilhelm im eroberten Verdun zu Theil wurde, als einen überaus glänzenden. So auch Goethe, der in seiner „Campagne in Frankreich“ den Einzugsfeierlichkeiten folgende Beschreibung widmet: „Größere Heiterkeit verbreitete jedoch die Erzählung“ – er saß mit preußischen Officiren an der Wirthstafel zu Verdun und ließ sich die Ereignisse vom vorigen Tage mittheilen, denen er nicht selbst beigewohnt hatte – „wie der König in Verdun aufgenommen worden. Vierzehn der schönsten, wohlerzogensten Frauenzimmer hatten Ihro Majestät mit angenehmen Reden, Blumen und Früchten bewillkommnet. Seine Vertrautesten jedoch riethen ihm ab, vom Genuß Vergiftung befürchtend; aber der großmüthige Monarch verfehlte nicht diese wünschenswerthen Gaben mit galanter Wendung anzunehmen und sie vertraulich zu kosten. Diese reizenden Kinder schienen auch unsern Officieren einiges Vertrauen eingeflößt zu haben; gewiß diejenigen, die das Glück hatten, dem Balle beizuwohnen, konnten nicht genug von Liebenswürdigkeit, Anmuth und gutem Betragen sprechen und rühmen.“

So erzählt unser Altmeister. Bekanntlich entsprach der fernere Verlauf des Krieges nicht den Hoffnungen, welche man anfänglich daran knüpfte. Schlechtes Wetter, Krankheiten aller Art und die nicht erwartete Kriegstüchtigkeit des Feindes brachten bald den anfänglichen Siegeszug zum Stillstand; nach der nutzlosen Kanonade von Valmy (im September) bemächtigte sich Muthlosigkeit der preußischen Heerführer, und vom October ab begann ein Rückzug durch die morastigen Wege der Champagne, welcher nicht seines Gleichen in der Geschichte des preußischen Heeres hat.

Ueber den Schlußact jener Verduner Einzugsfeierlichkeiten giebt uns ein biederes deutsches Familienbuch folgenden Aufschluß: „Vierzehn junge Mädchen“ – erzählt die Becker’sche Weltgeschichte – „wurden am 24. April 1794 verurtheilt, weil sie auf dem Balle getanzt, den die Preußen nach der Einnahme von Verdun veranstaltet hatten. Selbst die Furien der Guillotine wandten in widerwilliger Rührung sich ab, als so frische Jugendblüthen vom Henker zerknickt wurden; aber noch grausamer scheint die Milde, welche zwei dieser beklagenswerthen Tänzerinnen abgesondert hatte, um in zwanzigjährigem Gefängniß zu verkommen.“

Dies ist die Leidensgeschichte der Festjungfrauen von Verdun, wie sie in fast allen Geschichten der französischen Revolution mehr oder minder weitläufig erzählt wird. Bis vor siebenzehn Jahren zweifelte Niemand an der Wahrheit derselben, und oft haben junge Poeten, namentlich während der Restauration, den unschuldig Geopferten elegische Thränen nachgeweint. Da ließ im Jahre 1851 der berühmte Bildhauer David d’Angers eine Notiz in den Volksalmanach einrücken, in welcher er über die Mädchen von Verdun und ihre poetischen Verherrlicher Hohn und Spott mit vollen Händen ausgoß und unter Andern behauptete, daß die jüngste der genannten Damen vierzig Lenze hinter sich gehabt habe.

Für die ältere Ansicht, nach welcher sich eine Anzahl junger Mädchen unter den Verurtheilten befunden hatte, trat Cuvillier Fleury, Redacteur des Journal des Debats, in die Schranken und brachte als Beweismittel Tagebücher von Barbe Henry bei, die, wie wir später sehen werden, zugleich mit Claire Tabouillot der Verurtheilung zum Tode entgangen war. Trotz seiner vielen Nachforschungen wurde es Cuvillier indeß nicht möglich, den Verlauf der allerdings etwas dunklen Angelegenheit actenmäßig festzustellen. Dies gelang erst in neuester Zeit, wo man so glücklich war, die unter siebenzigjährigem Staube vergrabenen umfangreichen Actenbündel des Processes wieder aufzufinden.

Der Hergang war hiernach folgender: Am 5. October 1792, als das Invasionsheer noch auf französischem Boden stand,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2022)