Seite:Die Gartenlaube (1869) 057.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

erschien im Moniteur, ohne jede weitere Angabe, der Wortlaut der Anrede, mit der, dem Vernehmen nach, Friedrich Wilhelm in Verdun begrüßt worden war. Gleichzeitig verbreitete sich das Gerücht, daß eine Anzahl weiß gekleideter junger Mädchen, den ersten Familien angehörend, dem Könige auf einem Triumphwagen entgegengefahren wäre, um ihm Früchte und Blumen zu überreichen, ferner daß man am Abend des Einzugs zu Ehren der feindlichen Officiere einen solennen Ball veranstaltet hätte. Kaum war der Boden Frankreichs wieder von Feinden frei, als in Verdun unter den Auspicien eines Conventsdeputirten eine Commission niedergesetzt wurde, „um nach den Gegnern der Republik zu forschen“. Der Präsident derselben war Sommelier, ein gewesener Mönch, welcher später wegen Unterschleifs flüchtig werden mußte; als Secretär fungirte ein gewisser Madin, dessen Rohheit in Wort und That weder Maß noch Ziel kannte. Die übrigen Mitglieder derselben waren Professoren(?), Handwerker und Particuliers.

Eine große Anzahl Zeugen erschien vor der Commission, wurde im Namen der Republik aufgefordert, die Wahrheit zu sagen, wußte jedoch über die incriminirten Punkte nur wenig anzugeben. Niemand hatte von einer officiellen Anrede an den König gehört, auch konnte sich Niemand erinnern, daß irgendwo ein öffentlicher Ball zu Ehren der Preußen abgehalten worden wäre. Bezüglich der Procession stellte sich heraus, daß eine solche gar nicht stattgefunden, wogegen constatirt wurde, daß zwar eine kleine Gesellschaft Verduner das Lager besucht hatte, daß aber darunter keine officielle Deputation gewesen war. Gesprochen hatte der König nur mit einer Dame, Namens Bonvillier Catoir, welche aussagte, daß sich die Unterhaltung auf die Frage, ob in Verdun Theater sei, beschränkt habe und daß dieselbe von ihr mit „Nein“ beantwortet worden sei. Eine Dame, Namens Mengaut de Lalance, beiläufig gesagt damals siebenundsechszig Jahr alt, hatte allerdings, wie sich bei der Untersuchung herausstellte, die Absicht gehabt, dem Könige und seinen Officieren einen Korb mit Zuckerwerk zu überreichen, welches Vorhaben jedoch nicht zur Ausführung gekommen war. Schließlich wurde noch zwei jungen elternlosen Damen Wattein nachgewiesen, daß sie eine Summe von viertausend Franken einem alten Freunde ihrer Familie, Namens de Rodès, ausgehändigt hatten, welcher letztere als Emigrant mit den Preußen zurückgekehrt und gänzlich von Mitteln entblößt war.

Die Untersuchungsacten wurden nach Paris an den Sicherheitsausschuß geschickt, der Cavaignac zum Referenten in dieser Angelegenheit ernannte. Derselbe empfahl in seinem Berichte, die Damen von Verdun dem Criminalgerichte des Maasdepartements zu überweisen, und schloß das in pomphaftem Stile abgefaßte Schriftstück:

„Bis hierher hat das weibliche Geschlecht im Allgemeinen die Freiheit laut verhöhnt. Die Einnahme von Longwy wurde durch einen Ball gefeiert. Die Flammen, welche Lille vernichteten, leuchteten zu Spielen und Tänzen. Die Frauen besonders sind es, welche die Franzosen zur Auswanderung herausforderten, sie sind es, die, im Verein mit den Priestern, den Geist des Fanatismus in der Republik schüren und die Gegenrevolution hervorrufen …

Das Gesetz muß aufhören sie zu schonen, und Beispiele eiserner Strenge mögen ihnen kund thun, daß das Auge der Obrigkeit sie überwacht und das Schwert des Gesetzes erhoben ist, um sie zu treffen, wenn sie sich schuldig machen.“

Der Vorschlag Cavaignac’s wurde vom Convent mit einigen Modificationen angenommen, worauf man die bisher in einem alten Kloster von Verdun Gefangengehaltenen nach Saint Mihiel überführte, wo der Sitz des Criminalgerichts des Maas-Departements war. Hier blieben sie beinahe ein Jahr, ohne daß jemand Notiz von ihnen nahm, ja, sie wären vielleicht bis zum neunten Thermidor, der bekanntlich Robespierre stürzte, vergessen worden, wenn sie nicht fortwährend um Vornahme ihres Processes gefleht hätten und nicht der Conventsdeputirte Mallarmé in Saint Mihiel eingetroffen wäre und auf Beschleunigung des anhängigen Falles gedrungen hätte. Dies veranlaßte das Criminalgericht, sich sofort an den Convent mit der Bitte um Aufstellung der Anklageacte zu wenden. Hierdurch sollte die Sache eine andere Wendung erhalten.

In dem Antwortschreiben, welches der Justizminister Gohier erließ und das an seiner Spitze die bedeutsamen Worte: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit oder der Tod“ trägt, wurde dem dortigen Gerichtshofe nicht nur eine strenge Rüge wegen seiner Langsamkeit ertheilt, sondern ihm sogar die Weiterführung des Processes entzogen, die nach dem Gesetze vom 10. März 1793 vor die Schranken des Revolutionstribunals zu Paris gehöre.

Da mit letzterem bekanntlich nicht zu spaßen war, so entwickelten die Herren Räthe von Saint Mihiel mit einem Male eine außerordentliche Thätigkeit. Im Hinblick auf die für die Angeklagten nichts weniger als gravirenden, vor der Verduner Commission abgegebenen Zeugenaussagen ordneten sie eine neue Beweisaufnahme an und schickten zwei ihrer Collegen dazu nach Verdun.

Diesen gelang es zwar, den Kutscher Bourguignon, welcher die Angeklagten zum preußischen Lager gefahren hatte, ausfindig zu machen, allein seinen im Protokolle vom 23. Pluviose II. der „einigen und untheilbaren Republik oder der Tod“ niedergelegten Aussagen war nur zu entnehmen, daß er eine befreundete Gesellschaft von sieben Damen und einem Herrn einige Tage nach der Uebergabe der Festung zum Lager gefahren, und zwar nicht auf einem Triumphwagen, sondern auf einem Ackerwagen. Was weiter im Lager vorgegangen, war besagtem Patrioten unbekannt geblieben, da die preußischen Schildwachen ihm und dem an der Landpartie theilnehmenden Herrn den Eintritt in’s Lager verweigerten. Auch die übrigen Zeugenaussagen ließen den Besuch des Lagers in keinem anderen Lichte erscheinen, ja, es wurde sogar bewiesen, daß man preußischer Seits von den im Schmutz herumwatenden Damen gar keine Notiz genommen hatte. Die Procession der weißgekleideten jungen Mädchen, deren Erzählung fast in allen Geschichten der Revolution Platz gefunden hat, war also eine ruchlose Erfindung.

Trotzdem drang der Conventsdeputirte Mallarmé darauf, daß die Anklage gegen Alle aufrecht erhalten würde, wonach im März 1794 die Abführung derselben nach Paris erfolgte. Eine starke Gensdarmerie-Escorte begleitete die Karren, auf welchen die Angeklagten, fünfunddreißig an der Zahl, unter ihnen siebenzigjährige Greise und blühende Jungfrauen, hatten Platz nehmen müssen.

Die oben erwähnte Barbe Henry beschreibt in ihren Denkwürdigkeiten den Trauerzug sehr rührend. „Die Reise dauerte vierzehn Tage und ging ziemlich heiter von Statten, wir kannten das Loos, das uns erwartete, aber dennoch waren wir nicht außer Fassung, wir hatten uns friedlich in das ergeben, was Gott über uns beschließen würde.“

Die Gensdarmen benahmen sich gegen die Armen mit sehr viel Humanität und suchten das schreckliche Loos derselben nach Möglichkeit zu lindern. In St. Menehould, wo ein Carabinier-Regiment lag, das kurz vorher in Verdun garnisonirt hatte, machten die Officiere desselben sogar einen Versuch, die Gefangenen zu befreien, der jedoch scheiterte. In Paris angekommen, wurden sie sofort nach der Conciergerie gebracht. Riouffe schildert in seinen „Denkwürdigkeiten eines Verhafteten“ mit beredten Worten den Eindruck, den die Erscheinung der blühenden Mädchen in den düsteren Höfen des Gefängnisses hervorrief, dessen Thore sich für sie nur dann erst wieder öffnen sollten, als all’ diese Schönheit und Lieblichkeit dem grausigen Tode durch Henkershand entgegenging.

Nach dem damals noch bestehenden Verfahren – welches erst durch das schaurige Gesetz vom 22. Prairial aufgehoben wurde – mußte jeder Angeklagte vor der Verhandlung ein Verhör vor einem Einzelrichter bestehen. Auch die Fünfunddreißig von Verdun hatten sich einem solchen zu unterwerfen; die Formalitäten dabei wurden jedoch sehr rasch erfüllt und das Ganze nahm – wie Barbe Henry erzählt – höchstens einige Minuten für Jeden in Anspruch. Da der betreffende Beamte augenscheinlich schnell über Punkte hinwegzukommen wünschte, deren Erörterung nicht in seinem Plane lag, so beschränkte er die Fragen bei fast allen Angeklagten auf folgende:

„Haben Sie nicht durch Ihre Ränke die Besatzung von Verdun gezwungen, den Feinden Frankreichs eine Festung zu übergeben?“

„Nein.“

„Haben Sie sich nicht nach der Einnahme der Stadt in’s Lager verfügt, um dem Feinde zu seinen Erfolgen Glück zu wünschen und ihm Zuckerwerk zu überbringen?“

„Ich bin aus reiner Neugierde im Lager gewesen, ich weiß nicht, ob man Zuckerwerk dorthin getragen hat; was mich betrifft, so habe ich keins gesehen!“

„Haben Sie sich schon einen Vertheidiger gewählt?“

„Nein.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_057.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2022)