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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Das Geschenk, welches der König ihr erst bei seiner zweiten Anwesenheit in Paris übersandte, bestand aus einer Bonbonnière, auf deren Deckel zwanzig prachtvolle Diamanten seinen Namenszug bildeten. Nachstehender Brief begleitete die Sendung:

„Die Ereignisse, die so rasch aufeinander folgten, sind die Ursache, daß ich mich nicht früher des Versprechens entledigte, welches ich ihnen, Madame, in meinem Briefe vom 2. Juni 1814 gegeben habe. Ich bitte Sie, die beifolgende Bonbonnière mit meinem Namenszuge anzunehmen als Erinnerung des Interesses, welches ich dem Leiden gezollt habe, das Sie 1792 erduldeten.

Paris, 24. Aug. 1815. Friedrich Wilhelm.“ 

Ueber das weitere Schicksal dieser merkwürdigen Frau ist uns nichts Näheres bekannt; ob sie, wie die Schwester Robespierre’s, die Flucht Karl des Zehnten, oder wie eine Tochter Fouquier-Tinville’s, die Februarrevolution erlebt hat, wissen wir nicht. 1851 deckte sie bereits der grüne Rasen.




„Ora pro nobis!“

Als ich im November des Jahres 1863 meinen ersten Ausflug nach dem sonnigen Italien antrat, blies ich mit wärmendem Hauche auf jeder Station die glitzernden Eisblumen von den Fenstern des Eisenbahnwaggons, um zu sehen, ob wir – fortwährend südwärts fahrend – nicht bald auch die Elemente des Südens, Leben und Wärme in der Natur, wahrnähmen. Das heitere Wien war die Mitte zwischen meiner nordischen Heimath und dem grünen Grenzgürtel Italiens – deshalb hatte ich beschlossen, hier einige Wochen zu rasten. Es lag fast hundert Meilen südlich von meiner Vaterstadt, und mit Zuversicht hatte ich erwartet, dort ein im gleichen Verhältniß wärmeres Klima zu finden. Wie staunte ich aber, als ich den Stephansthurm aus einer rein sibirischen Schnee- und Eiswüste in der Ferne auftauchen sah, die Fenster der guten Kaiserstadt ebenso gefroren fand, wie meine eigenen daheim, und auf dem Glacis Rennschlitten mit weithinschallendem Schellengeläute an mir vorüberklingeln hörte!

Das waren lustige Aussichten für meine Reisepläne! Allein wer die Gluth eines sechsundzwanzigjährigen Touristen kennt, dessen Ziel das schöne Italien ist, wird wissen, daß ein solcher in seinem Rausche gegen ebenso viel Grad Kälte vollständig unempfindlich ist. Sehen und kennen lernen – das waren die einzigen Gedanken und Ziele, denen ich nachhing. So konnte denn in solcher Zeit mein frisches, junges Blut auch wohl auf den Gedanken fallen, den Garten von Schönbrunn unter Schnee und Eis zu besuchen, um aus der Größe und Anlage des Ganzen wenigstens eine Idee seiner Wirkung in besserer Jahreszeit zu bekommen. Gedacht – gethan! Ein Fiaker brachte mich von der Mariahilfer Linie bis an das Gitterthor; von dort begann meine Fußwanderung durch die ungebahnten, verschneiten Buchengänge, an denen entlang sich die steifen, beschnittenen Hecken hinzogen wie die gepuderten Perrückenhelden, welche sie einstmals gepflanzt. Beyer’s zweiunddreißig Marmorstandbilder standen heute durch die Schneelasten, welche sich auf ihrem Rücken gehäuft hatten, wie eine buckelige, frierende Proletarierfamilie da, die beiden Springbrunnen in den großen Wasserbecken ließen in ihren gefrorenen Strahlen die letzten Flammen der kalten Sonne blitzen, und die Gewächshäuser waren sorgfältig zugedeckt. Von der Hauptallee mich nach rechts wendend, kam ich bald in einen Theil des Gartens, der mehr die Dauerhaftigkeit und Schneedichte meiner hohen Stiefeln als die Sorgfalt der Wegebaucommission bewundern ließ; die Pfade wurden fast zu Schneemulden, und ich gab meinen Vorsatz, mich zu der auf einer Anhöhe liegenden Gloriette hinanzuarbeiten, alsbald auf. Aber wo war ich nun hingerathen – ich armer nordischer Odysseus in einem k. k. Lustgarten? – Eine Wüste von Schnee und Eis rings umher und nirgends ein lebendes Wesen, das der Ton meiner Stimme erreicht hätte. Ich rief lange umsonst und wollte mich schon anschicken, meinen eigenen Spuren im Schnee folgend, wieder umzukehren, als ich einen stattlichen Herrn, in einen warmen Pelz gehüllt, mitten durch die Parkanlagen schreiten sah. Sein hoher breitschulteriger Körperbau trug ein zu demselben im rechten Ebenmaße gebildetes Haupt und die Züge seines Gesichts kennzeichneten auf den ersten Blick den treuherzigen, offenen Freund echt wienerischer Gemüthlichkeit. Ich eilte sogleich auf ihn zu und fragte nach dem rechten Wege.

„Die Wege sind hier jetzt alle recht und schlecht,“ sagte der fremde Herr, „es kommt nur darauf an, wohin Sie wollen.“

„Unter Menschen,“ antwortete ich, der winterlichen Einsamkeit überdrüssig, „sonst ist mir’s einerlei.“

„Nun,“ meinte der Fremde und ein Gedanke an Diogenes mochte ihm wohl durch den Kopf fahren, „wenn Sie Muth haben, mir erst unter die Bären zu folgen, so will ich nachher hinsichtlich der Menschen wohl Rath schaffen. Nicht weit von hier liegt Hietzing, und da kneipt es sich schon ganz gut.“

„Unter die Bären?“ frug ich erstaunt.

„Ja, unter meine lieben Bären da drüben in der kaiserlichen Menagerie, die ich jeden Tag besuche, mag das Wetter noch so schlecht und der Weg noch so beschwerlich sein. Im Sommer, wenn viel Gäste zu ihnen aus der Stadt herauskommen, da haben die guten Thiere wohl immer Kurzweil und etwas Gutes zu naschen, aber im Winter, wenn die Wege hier verschneit sind, bin ich wohl ihr einziger Freund, und sie haben sich so sehr an meine regelmäßigen Besuche gewöhnt, daß sie mich schon aus weiter Ferne wittern. Hören Sie“ – der Fremde klapperte in den Taschen seines großen Pelzes mit Nüssen – und siehe da, aus der Ferne ließ sich ein dumpfes Brummen verschiedener Bärenstimmen vernehmen. Ich staunte über das Gehör dieser Thiere und schritt mit dem Fremden dem Bärenzwinger der kaiserlichen Menagerie zu. Wir traten durch das Gitterthor in einen weiten Hof, den rings die Käfige der Bären umgaben, welche beim Anblick ihres treuen Gastes fast unbändig vor Freude wurden und sich mit den Tatzen hoch an den Eisenstäben der Gitter emporrichteten. Ein mürrischer Wärter schlug mit seinem langen Stocke nach den Thieren, als wollte er den Gefangenen selbst den Ausbruch eines Freudengefühls wehren; mein Begleiter aber warf jetzt seine süße Gabe – einen Theil der mitgebrachten Nüsse – den Thieren zu, die sich eilig darüber herstürzten. Kaum hatte dies aber der Wärter bemerkt, als er an ihn herantrat und zu ihm in ziemlich barschem Tone sagte:

„Mein Herr! ich habe, da Sie trotz meines wiederholten Verbotes auch gestern wieder die Thiere unbefugter Weise gefüttert, die Sache dem Herrn Menagerie-Inspector angezeigt, und hat derselbe mir nun den gemessensten Befehl ertheilt, Sie im Wiederholungsfalle unfehlbar arretiren zu lassen.“

„Wenn eine solche gesetzliche Bestimmung,“ antwortete mein Begleiter, „auch auf das große Publicum im Allgemeinen Anwendung finden soll, weil für die Thiere selbst eine Gefahr aus der Fütterung von schädlichen Substanzen durch fremde, unbekannte Personen erwächst, so glaube ich doch, daß mit dieser Strenge nicht gegen diejenigen verfahren werden kann, welche sich jahrelang bei täglichen Besuchen als Pfleger und Wohlthäter der Thiere erwiesen haben, und so will ich es denn auch auf diese Gefahr hin getrost ankommen lassen.“

Mit diesen Worten warf der fremde Herr abermals einige Hände voll Nüsse den Bären zu, die sich wiederum gierig darüber herstürzten. Der Wärter aber ging, ohne ein Wort zu sagen, nach der eisernen Gitterthür und schloß uns in den unfreundlich kalten Hofraum ein. „Mitgegangen, mitgehangen!“ schien es hier zu heißen, – ich war meines freundlichen Führers unfreiwilliger Mitgefangener. Glücklicherweise sollte die Gefangenschaft in diesem kalten Raume nicht lange dauern, da der Herr Inspector sehr bald in Begleitung seines diensteifrigen Wärters und eines Constablers erschien, uns die Thür öffnete und meinen Begleiter ersuchte, dem Schutzmanne nach dem nächsten Polizeibureau zu folgen, um dort weiter vernommen zu werden. Dem Fremden war dieser Aufenthalt höchst unangenehm, er schützte nöthige Dienstgeschäfte vor und bot dem Beamten die Erlegung der gesetzlichen Strafe brevi manu an. Dieser bedauerte jedoch in diesem Falle nichts entgegennehmen zu dürfen, da zur Erhebung der Strafe nur die Polizei und zwar nach vorheriger Vernehmung und gehöriger Protokollirung competent sei. Mein Begleiter machte ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_059.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)