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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Pariser Zeitgenossen. Indem er diese vor den Zuschauern erscheinen läßt, ahmt er ihre Eigenthümlichkeiten, ihre Geberden, ihre Art zu reden genau nach. Jules Favre, Thiers, Emile Ollivier treten nacheinander auf, und Jeder von ihnen spricht wie er leibt und lebt. Emile Girardin leiert seine Leitartikel ab, in denen die Antithesen die sonderbarsten Purzelbäume schlagen, und erregt ebensoviel Gelächter, wie die bekanntesten Pariser Schauspieler, die in den Pupazzi conterfeit sind und deren Manieren durch die satirische Loupe gezogen werden. Welch’ ein treffliches Element der Volksbildung könnten die Puppentheater werden, wenn die Presse frei wäre und geistvolle Schriftsteller für dieselben die Tagesfragen in humoristischer Weise behandelten!




Unsere unbebauten Felder. Der Acker- und Gartenbau befindet sich bei uns in ziemlich hoher Blüthe. Jedem Stücklein Boden, selbst dem armseligsten und kärgsten, gewinnen wir bereits im Schweiße unseres Angesichtes durch Nachhülfe der Kunst und wissenschaftlichen Erkenntniß ab, was es zu geben vermag. In Bezug auf eine Ausbeutung und Bewirthschaftung des Wassers aber, das oft ergiebiger ist als der fetteste Boden, sind wir im Ganzen leider noch unwissende und unverständige Kinder, die hochwichtige Aufgaben und Pflichten ernster Männlichkeit wie eine nebensächliche Spielerei behandeln.

Und dennoch besitzen wir in unserer Nordsee ein Meer, das die Engländer längst das deutsche nennen, dessen innere Schätze sie längst durch eine besondere Commission Jahre lang haben untersuchen lassen und von dem es in dem erstatteten englischen Berichte heißt: „Das deutsche Meer ist ertragsfähiger als unser Ackerland; unsere reichsten Felder sind weniger fruchtbar an Nahrungsstoffen, als dessen Fischereigründe. Ein Morgen guten Bodens liefert etwa zwanzig Centner Getreide jährlich oder drei Centner Fleisch und Käse; aus einer eben so großen Wasserfläche mit Fischereigrund kann man dasselbe Gewicht von Nahrungsgehalt jede Woche schöpfen. Fünf Fischerboote ernteten in einer einzigen Nacht aus einer kaum fünfzig Morgen großen Fläche des deutschen Meeres den Werth von fünfzig Ochsen und dreihundert Schafen in Form von leicht verdaulichen und schmackhaften Fischen!“

Daß diese Ochsen und Schafe ohne alles Hinzuthun der Menschen, ohne alle Mühen und Kosten im Wasser entstehen und von diesem erzogen und gemästet werden, dieser ungeheure und stark in die Augen springende Vortheil hat freilich nachgerade auch den Deutschen an der Elbe, Weser und Weichsel nicht entgehen können. Anerkennenswerthe Fischereigesellschaften, die dem Meere eine Ernte abgewinnen wollen, haben sich gebildet, aber es will dies den Anstrengungen anderer Völker gegenüber doch bis jetzt nur wenig bedeuten, so lange für eine wirklich rationelle Bewirthschaftung des Meeres zur Hebung und Nutzbarmachung seiner Schätze für Hunderttausende von hungernden Magen noch nicht gesorgt ist.

Aehnlich, wenn auch hier und da etwas besser, steht es mit unserer Süßwasserfischerei. Die Klagen über eine jährlich zunehmende Verarmung der Gewässer sind begründet, Mangel an rationeller Behandlung und an Vorkehrung gegen schädliche Einflüsse sind die Ursachen. Wo Ueberfluß fein und wohlfeiles Fleisch in Masse gewonnen werden könnte, macht sich eine Abnahme sehr fühlbar bemerklich. Im Festhalten an bequemem Schlendrian überläßt man es den Fischen selbst, sich zu vermehren, ohne diese Vermehrung zu unterstützen. Kurz, Männer wie Brehm und Karl Vogt haben bis jetzt nur mit sehr geringem Erfolg mahnend, warnend und anregend auf eine für das Volkswohl und den nationalen Wohlstand so wichtige Sache hingewiesen.

Da kommt plötzlich ein Buch, das den Kampf gegen eine folgenschwere Pflichtversäumung von Neuem eröffnet. Es kommt von einem Schmerzenslager, auf dem seit Jahren ein tiefgebeugter Schriftsteller mit noch hellem Kopfe und warmem Herzen über die Verbesserung des Menschenlooses sinnt: der kranke Heinrich Beta ist es, der uns mit dieser Gabe eine ungewöhnliche Freude und Ueberraschung bereitet hat. Unter den volksthümlichen Publicisten Deutschlands war Beta überhaupt der erste, der die Aufmerksamkeit auf die großen Ernten gelenkt hat, die wir durch vernünftiges Säen und Pflügen aus unserem Reichthum an flüssigen, sich selbst befruchtenden Feldern gewinnen können, er zuerst hat auch durch seine vortrefflichen Aufsätze in der „Gartenlaube“ das Interesse für die Aquariumcultur in Deutschland angeregt und ihre Bedeutung gezeigt. Was er während eines zehnjährigen Aufenthaltes in London, der Fischstadt Europa’s, an mannigfachen Beobachtungen gesammelt, was er nachher in der Zeit der Krankheit aus emsigen Studien der vorzüglichsten Werke geschöpft, das ist in seinem soeben erschienenen umfangreichen und mit vierzig Abbildungen geschmückten Werke „Die Bewirthschaftung des Wassers“ (Leipzig und Heidelberg, Winter’sche Verlagsbuchhandlung) mit großem Fleiß verarbeitet worden.

Es ist ein unseres Wissens in solcher Weise noch nicht gebotenes, ein durchweg frisches und unterhaltendes, in hohem Grade anregendes und interessantes Buch, das uns in seinen achtundzwanzig stattlichen Abhandlungen nicht blos über alle culturgeschichtlichen und volkswirthschaftlichen, sondern auch über alle praktisch-technischen Seiten der betreffenden Frage belehrt und dessen Werth sich bezeichnend in dem Ausspruche charakterisirt: „Seit Jahren stürzt sich Mancher aus Hunger und Verzweiflung in’s Wasser, das ihn und seine Familie reichlich ernährt haben würde, und unzählige Menschen lungern und hungern auf dem Trockenen umher, ohne an die Arbeit und das Brod zu denken, das jenseits der Meeresgestade und Flußufer liegt!“

In fachwissenschaftlicher Hinsicht konnte dem Beta’schen Werke keine wirksamere Empfehlung werden, als durch ein Vorwort des berühmten Brehm, der von ihm sagt, daß es ihn in Form und Inhalt angeheimelt habe und daß namentlich die Lehrer den so reichhaltigen Stoff nicht leicht gesichteter und anschaulicher zusammengestellt finden dürften!

A. Fr.     




Instinct oder Ueberlegung? Wie die Spinne sich durch den Bau einer Brücke von einer Insel rettete, theilte die Gartenlaube mit, ohne zu entscheiden, ob Instinct oder Ueberlegung die Triebfeder war. Vielleicht waren beide thätig, da es keine Seltenheit, daß die Spinne ihre Fäden flattern läßt, um sich derselben, wenn sie sich angeheftet, als Brücken zu bedienen, die zwei entfernte Gebäude oder sonstige Gegenstände verbinden, in deren Mitte sie ihr Netz webt. Aber nicht nur Brücken und solide Hängewerke fertigen die Spinnen, sondern auch Flugapparate. In den ersten Octobertagen des Jahres 1868 ließ ich Kartoffeln ausroden, dabei freute ich mich der herrlichen Beleuchtung, als die siegreiche Sonne den Nebel verscheuchte und Tausende von Herbstfäden, von Millionen kleiner Nebelperlen überzogen, freudig nach kalter Nacht dem warmen Sonnenlichte entgegenglänzten. Auch die schwarz gestreiften Erdspinnen freuten sich des Sonnenscheines und liefen eifrig umher; namentlich schien ihnen ein hell gefärbter gefüllter aufrechtstehender Kartoffelsack besonders zu gefallen, auf dem etwa zwanzig Stück größere und kleinere, bald heller, bald dunkler gefärbte, sich zusammengefunden. Die Gesellschaft war sehr munter, lief hin und her, jedoch ohne besondere Ordnung, indem sie ihre langen Vorderbeine drohend gegeneinander erhoben, wenn sie sich zu nahe kamen. Andere stellten sich ruhig und andächtig hin, wobei sie den Hinterleib auffallend hoch emporstreckten, bis eine der unruhigen Spinnen der Andacht ein Ende machte. Allmählich wurden der Spinnen weniger, ohne daß ich sah, wo sie blieben. Plötzlich waren sie verschwunden. Genauer zusehend bemerkte ich, daß diejenigen Spinnen, welche den Hinterleib emporstreckten, mehrere Fäden entwickelten, die in gleicher aufsteigender Richtung der Sonne zuwehten, wie ich in dem vom Nebel in den höheren Schichten noch theilweise verschleierten Sonnenlichte weithin sehen konnte. Da wurde mir das Verschwinden der Spinnen klar, ich gab noch besser Acht und sah, wie sie mit großer Behendigkeit in dem Augenblicke sich blitzschnell umwendeten und auf den Faden sprangen, wo der Flugapparat stark genug geworden, sie zu entführen; sie bildeten die Gondel des rasch dem Auge entschwindenden Luftschiffes.

Ich hatte das Vergnügen, sämmtliche Spinnen, die noch auf den Säcken geblieben, abreisen zu sehen, indeß nicht ohne daß ich ihre Abfahrt mehrmals verzögerte und nachdem ich beobachtete, daß sie sich gegenseitig bemühten, die bereits gesponnenen Fäden Anderer zu den ihrigen zu fügen, um auf diese Weise einen Vorsprung zu gewinnen. Jetzt waren mir Entstehung und Zweck der Herbstfäden deutlich. Sie dienen den Spinnen dazu, ihren Sommeraufenthalt zu verlassen und geschützte Winterquartiere zu beziehen. Ob der Instinct, oder Ueberlegung, oder Erfahrung sie leitet? Sie ziehen fort, indem sie die höchsten sie umgebenden Gegenstände erklimmen, um von dort aus ihre Fäden treiben zu lassen, bis sie stark genug sind, sie zu tragen.

Während der Luftfahrt webt die Spinne weiter, indem sie an ihren Luftschiffen auf und ab klettert. Der Lufthauch wirbelt das dünne Gewebe stellenweise unregelmäßig zusammen, oder mehrere Aeronauten machen, durch den Zufall begünstigt, eine gemeinschaftliche Reise, bis die Feuchtigkeit der Luft sie zwingt, niederzusteigen. Manche Herbstfäden tragen ihre Spinnen noch, auf vielen trifft man sie nicht mehr an; aber an solchen Tagen, wo der Faden häufig fliegt, findet man viele Erdspinnen an Hecken und an Sträuchern, wo sonst keine zu entdecken, und dabei sind manche Wanderlustige, die, mit dem Anhaltspunkte nicht zufrieden, sich ein neues Luftschiff fertigen und hoffnungsvoll der unbekannten Zukunft zueilen.

Nur einige Tage dauert die Reisezeit der Erdspinnen, später fliegen nur solche Herbstfäden umher, die, zeitweilig befestigt, vom Winde losgerissen wurden, bis auch diese und mit ihnen das Erinnerungszeichen an die Davongeflogenen verschwindet, die vermuthlich im nächsten Frühjahr, von Kälte und Vögeln decimirt, zum Acker zurückfliegen, bis dahin jedoch unbeachtet bleiben. Oder verschwinden sie für immer, und sind die Tausende von winzigen kleinen Erdspinnen, welche an sonnigen Decembertagen die Herbstsaaten und angrenzenden Aecker mit ihren im Sonnenlichte funkelnden, nahe am Boden liegenden Gespinnst überweben, bestimmt, den Winter zu überdauern, zu wachsen und im nächsten Jahre erst zu wandern?




Nochmalige nothgedrungene Erklärung. Uns noch fortwährend zugehende Anfragen veranlassen uns auf’s Neue zu erklären, daß ein Literat, der sich Heribert von Malten nennt, uns völlig unbekannt ist. Derselbe hat niemals zu den Mitarbeitern unseres Blattes gehört und ist folglich auch niemals als „Reisecorrespondent der Gartenlaube“, als welcher er sich (in gewinnsüchtiger Absicht) auszugeben scheint, thätig gewesen.

Die Redaction.     



Kleiner Briefkasten.


Frl. W. C. in G. Wir haben uns wohl gedacht, daß Sie gleich so vielen anderen Lesern und namentlich Leserinnen den Gedanken freudig begrüßen würden, und können Ihnen mittheilen, daß schon in der nächsten Nummer (5) der erste der Gutzkow’schen Literaturbriefe enthalten sein wird.

Herrn F. Würth in Omalca, Nebrasca. Ihre Mittheilung „Aus Nordamerika“ muß, aus Räumlichkeitsrücksichten, zu Ihrer anderweitigen Verfügung gestellt werden.


Inhalt: Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Der Berliner Omnibus. Skizze aus dem Verkehrsleben von Robert Springer. Mit Abbildung. – Die neue Lehre. Gedicht von J. G. Fischer. – Die sieben Mädchen von Verdun. Eine Episode aus der französischen Revolution. Von L. S. Lungershausen. – „Ora pro nobis!“ – Charakterköpfe aus dem Schwurgerichte. Von Oberländer. Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Die Pariser Marionettentheater. – Unsere unbebauten Felder. – Instinct oder Ueberlegung? – Nochmahlige nothgedrungene Erklärung. – Kleiner Briefkasten.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 064. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_064.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)