Seite:Die Gartenlaube (1869) 066.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

nicht ein Wort von dem Geplauder der beiden Damen, die hinter ihr auf dem Sopha saßen.

Frau von Herbeck hatte den Arm um Jutta’s feine Taille gelegt. Die Dame war, trotz ihrer ziemlich vorgeschrittenen Jahre, noch sehr hübsch, das ließ sich gerade in diesem Augenblick feststellen, wo sie sich neben der unvergleichlichen Schönheit des jungen Mädchens recht gut behauptete. Für den feinen Kenner weiblicher Reize waren wohl diese Körperformen zu kolossal und üppig, und manches feinfühlige, reine, weibliche Gemüth mochte sich instinctmäßig von dem oft eigentümlich lächelnden und zugleich schwimmenden Blick abwenden; allein jene Körperfülle erschien so kerngesund und rosig frisch, und die großen, ein wenige vorstehenden Augen konnten in geeigneten Momenten auch wieder so ernsthaft und ehrenfest dreinblicken, daß das öffentliche Urtheil diese Frau einstimmig schön, respectabel und sehr liebenswürdig nannte. … Sie war die kinderlose Wittwe eines armen altadeligen Officiers und hatte bereits zu Lebzeiten der Gräfin Völdern als Gisela’s Erzieherin im Hause des Ministers fungirt. Stets unbedingt und gewandt auf die Intentionen der Großmutter bezüglich des zu erziehenden Kindes eingehend, war, sie von der Ersteren noch auf dem Sterbebette als diejenige bezeichnet worden, welche als „vollkommen passend“ die Führung und Ausbildung der Kinderseele in der Hand behalten solle.

Nun saß sie da im eleganten, dunklen Seidenkleid, das schöne, volle Haar von geschickten Kammerjungferhänden modern und geschmackvoll geordnet, und erzählte Episoden aus dem Leben und Treiben der großen Welt, und von dem jungen Geschöpf, das sich weich und hingebend an die stattliche Frau schmiegte, war das starre Gepräge der „tiefen, wortlosen Trauer“ spurlos weggewischt. Das war wieder die Lebenslust athmende Gestalt, die wir im Brautkleid der Mutter, mit den Tazetten im Haar, vor dem Spiegel gesehen haben – unverwandt und sprühend hingen die dunklen Augen an dem rothen, leichtgeschwellten Mund der Erzählerin, die ein farbenreiches, verlockendes Bild nach dem andern aufrollte. Die junge Dame war der Wirklichkeit, dem engen Stübchen so gut entrückt, wie das denkende Kind am Fenster, nur dann und wann fuhr sie empor und warf einen zornigen Blick nach der Thür. Da draußen lag die alte Rosamunde, die qualmende Küchenlampe neben sich, auf den Dielen und scheuerte mit wahrer Inbrunst Vorsaal und Treppe, als letzten Rest ihrer Weihnachtsarbeiten – sie kannte die Füßchen der „kleinen Panduren“ viel zu gut, um nicht zu wissen, daß sie am liebsten schnurstracks aus Pfützen und Straßenschmutz über den frischgescheuerten Fußboden liefen, und deshalb warf sie auf jede neugewaschene Stelle mit unglaublicher Vehemenz ganze Salven schützender Sandbrocken.

Da kamen rasche Schritte über den Vorsaal, und die Pfarrerin trat in das Zimmer. In der Linken trug sie ein brennendes Licht und auf dem rechten Arme ihren in ein dickes, wollenes Tuch gewickelten jüngsten Knaben. Die ganze große, kräftige Frau mit den glühenden Wangen und energischen Bewegungen war das Bild angestrengter Thätigkeit. Sie bot einen freundlichen guten Abend und stellte das Licht auf das Clavier, da beide Damen die Hand über die geblendeten Augen hielten.

„Heute geht’s scharf her in der alten Pfarre, nicht wahr, Fräulein Jutta?“ meinte sie lächelnd, wobei zwei Reihen kerngesunder, fest zusammengefügter Zähne sichtbar wurden. „Nun, morgen sollen Sie dafür einen recht stillen Feiertag, ein ruhiges, leeres Haus haben. Mein Mann hält die Filialpredigt in Greinsfeld, und meine kleine wilde Gesellschaft drunten geht auch mit ’nüber – die alte Muhme Röder hat sie zum Kaffee eingeladen. … Fräulein Jutta, ich möchte ihnen gern für eine halbe Stunde mein Herzblättchen da lassen – Rosamunde scheuert noch drauf und drein und wird gern brummig, wenn man sie von der Arbeit abruft, und mit den Kindern ist heute absolut nichts anzufangen; sie laufen von einem Schlüsselloch zum andern, gucken nach dem Himmel, ob er nicht bald dunkel wird, und darüber kann der kleine Schelm da, der gern an den Stühlen aufsteht, zehnmal auf die Nase fallen. Mir aber wären heute zehn Hände nicht zu viel – die Kinder horchen schon auf die Klingel, und es liegt noch nicht ein einziges Stück auf dem Weihnachtstisch.“

Sie wickelte den Kleinen aus dem Tuch und setzte ihn auf den Schooß der jungen Dame. „So, da haben Sie ihn!“ sagte sie und strich mit der großen, kräftigen Hand glättend über die weißlichen Flaumhaare des Köpfchens, die sich unter dem Tuch zu lauter Löckchen gekrümmt hatten. „Er kommt eben aus dem Bade und ist so weiß und frisch wie ein Nußkernchen. Viel incommodiren wird er Sie nicht – er ist mein frömmstes Kind.“

Voll von der unerschütterlichen Zuversicht der Mutterliebe, die ihr Kind unwiderstehlich findet, war es ihr nicht eingefallen, auch nur einen forschenden Blick auf Jutta’s Gesicht zu werfen; ihr Auge hing vielmehr unverwandt mit zärtlichem Stolz an dem kugelrunden Geschöpfchen, das gutwillig auf dem Schooß der jungen Dame sitzen blieb und mit seinen vier nagelneuen Zähnchen tapfer in den Zwieback biß, den die Mutter in die kleine Hand gedrückt hatte.

Die Pfarrerin schritt hurtig nach der Thür zurück, allein diese zwei blauen, lustigen Augen besaßen einen wahren Feldherrnblick im Hauswesen; sie fahndeten selbst in der größten Eile auf jede Gesetzwidrigkeit, und so blieb die Frau plötzlich stehen und ergriff einen der Immergrünzweige, die sich nach Frau von Zweiflingen’s Bild emporrankten und vom Kerzenlicht hell bestrahlt wurden – die jungen Triebe hingen matt und halbverdurstet am Stengel.

„O weh, ihr armen Dinger!“ rief sie mitleidig, während sie nach einer gefüllten Wasserflasche griff und die steinharte Erde in den Töpfen begoß. „Fräulein Jutta,“ wandte sie sich freundlichernst an die junge Dame, „das Immergrün da müssen Sie mir mehr in Ehren halten! … Als ich meinen ersten Geburtstag als junge Frau hier in der Pfarre feierte, da ging es knapp genug bei uns zu – der Storch war dagewesen, und da war der Geldbeutel schmal geworden – mein Mann hatte keinen Groschen mehr in der Tasche, aber da kam er in aller Frühe aus dem Walde und stellte mir die Töpfe auf’s Fensterbret, und ich sah zum ersten Male in meinem Leben, daß er geweint hatte. … Ich hab’ sie nicht mit leichtem Herzen da heraufgegeben,“ fuhr sie aufrichtig fort, indem ihre flinken Hände die niederhängenden Ranken wieder an den Schnüren befestigten, die an der Wand hinliefen; „aber mit Tapeten sieht’s windig bei uns aus, die kann weder mein Mann, noch die Gemeinde bezahlen, und die kahlen, weißen Wände waren mir denn doch zu despectirlich für meinen lieben Gast.“

Ihr Gesicht hatte bei den letzten Worten wieder den Ausdruck unverkümmerter Heiterkeit angenommen. Sie setzte das Licht auf den Sophatisch, nickte ihrem Knaben zu und verließ rasch das Zimmer.

Als die Thür hinter ihr in das Schloß gefallen war, sah Frau von Herbeck einen Moment wie sprachlos vor Erstaunen in Jutta’s Gesicht, dann brach sie in ein helles, spöttisches Lachen aus.

„Nun, das muß ich sagen, das ist eine Naivetät, die ihres Gleichen sucht!“ rief sie und sank, die Hände zusammenschlagend, an das schwellende Polster der Sophalehne zurück. „Himmel, was Sie für ein classisches Gesicht machen, Herzchen! Und wie gottvoll Sie sich anstellen als Kindermuhme! … Ich könnte mich todtlachen!“

Jutta hatte noch nie ein Kind auf dem Schooße gehabt und selbst als kleines Mädchen nur wenig mit Altersgenossen verkehren dürfen. Als die Zwistigkeiten zwischen ihren Eltern ausbrachen war sie – kaum zwei Jahre alt – einer in klösterlicher Einsamkeit lebenden Geheimrathswittwe übergeben worden; sie sollte nicht durch die schrecklichen Verhältnisse im elterlichen Hause berührt werden. Erst kurz vor dem Tode ihres Vaters durfte sie zu der Mutter zurückkehren und hatte somit den größten Theil ihrer Kindheit fast ausschließlich im Umgang mit der alten Dame verbracht, deren Aufgabe es ja gewesen war, sie einzig und allein für ein zurückgezogenes, anspruchsloses Leben zu erziehen.

Uebrigens mußte dieser jungen Mädchenseele der Instinct versagt sein, der das echte Weib unwiderstehlich zu der Kinderwelt hinzieht und dasselbe sofort, ohne irgend welche Anleitung, zur Pflegerin geschickt macht, denn sie sah, den Oberkörper ängstlich zurückgebogen und die Arme steif an den Seiten niederhaltend, mit einer Art von Entsetzen auf den kleinen, aufgedrungenen Schützling nieder; aber sie war auch innerlich erbittert über die Zumuthung, die ihr gemacht worden – sie runzelte finster die Brauen, und die feinen, bläulichweißen Zähne gruben sich tief in die Unterlippe.

„Ach, und wie vortrefflich ihnen die ehrliche Landpomeranze

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_066.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2016)