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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Hüften des jungen Mädchens und zog sie schmeichelnd an sich heran. Dabei ergriff sie mit der Linken die Hand, die schmal und zart, wie ein durchsichtig weißes Blumenblatt auf dem schwarzen Wollkleide lag, und betrachtete sie mit einer Art von zärtlicher Aufmerksamkeit.

„Es kann mich förmlich unglücklich machen,“ sagte sie mit einem Anflug von Groll in der Stimme, „wenn ich eine meisterhafte Form, wie zum Beispiel diese reizende Hand hier, sehe und mir dabei sagen muß, daß ihre Schönheit unausbleiblich zerstört werden wird durch die Anforderungen einer unangemessenen Lebensstellung. … Diese rosigen Nägel, diese Grübchen voll Küchenschwärze! – pfui, ich mag es gar nicht denken! … Hoffentlich verfährt das Schicksal glimpflich mit Ihnen, Kindchen! … Freilich, ganz und gar diesem Loos entgehen werden Sie doch nicht als Frau Hüttenmeisterin.“

„Theobald hat mir und Mama versprochen, daß er mich wie seinen Augapfel behüten wolle,“ entgegnete das junge Mädchen stockend, mit halberstickter Stimme.

„Ja, ja, liebes Herzchen, das ist Alles recht schön und gut, und der Hüttenmeister auf alle Fälle ein prächtig lieber Mensch, der im Nothfall sein Herzblut für Sie hingiebt – in seinen guten Willen setze ich auch nicht den mindesten Zweifel. Aber, aber, solch’ einem glücklichen Bräutigam fällt es selten ein zu rechnen – das kommt erst nach der Hochzeit. … Und was wollen Sie dann machen, wenn Sie einmal drinstecken? Die Familie wird größer, das Einkommen aber nicht, und wenn dann der Mann die Nähterin oder Flickmamsell nicht mehr bezahlen kann, so hilft der Frau kein Wehren und kein Sträuben – sie muß, wohl oder übel, die groben Strümpfe des Herrn Gemahls über die seine Hand stülpen und – sie flicken.“

Frau von Herbeck hielt inne und sah seitwärts auf Jutta’s Gesicht nieder, das an ihrer Schalter lehnte. Das junge Mädchen schwieg mit fest zusammengepreßten Lippen, während sein Auge unverwandt und finster auf den Boden starrte, als gewänne die häßliche Schilderung der Gouvernante dort bereits Form und Gestalt. … Frau von Herbeck lächelte leise, leise, und der Ausdruck ihrer großen schwimmenden Augen war in diesem Moment sicher nicht jener ehrenfeste, den sie respectablen Charakteren gegenüber anzunehmen wußte. Sie strich mit der Hand sanft über die gerunzelte Stirn der jungen Dame.

„Ach, wer wird denn gleich solch’ ein trübes Gesicht machen!“ sagte sie ebenso einschmeichelnd beschwichtigend, wie sie mit ihrer kleinen Schutzbefohlenen zu reden gewohnt war. „Meine ich Sie denn etwa speciell mit dieser Schilderung? … I, Gott soll mich bewahren! Ich wäre ja mit dem besten Willen nicht einmal im Stande, mir die schöne Jutta von Zweiflingen in einer solchen Lage zu denken, obwohl ich an manchem brillanten, gefeierten Mädchen erfahren habe, wohin solche Neigungsheirathen führen können. … Sehen Sie, da wird Alles, was das Leben schmückt, nach und nach als Ballast über Bord geworfen. … Das geliebte Clavier steht verstaubt und verschlossen in der Ecke, die eleganten Bücher und Stickereien verschwinden vom Nähtisch, dafür liegen schmutzige Abcbücher und Schreibhefte umher, und ein Korb voll zerrissener Wäsche wartet auf neue Flicken – ich kenne das. … Die junge Frau streicht die bewunderten Locken glatt hinter das Ohr, oder unter eine Haube – das sieht häßlich aus – aber was thut’s? Sie braucht nicht mehr schön zu sein, es sieht sie ja Niemand!“ –

Jutta sprang auf, warf wortlos, aber mit einer leidenschaftlichen Geberde die Locken zurück und trat an das Clavier. … Was auch in dieser Brust vorgehen mochte, es war jedenfalls ein heftiger Aufruhr, der sie in fliegenden Athemzügen hob und senkte.

Die junge Dame schlug den Deckel des Instruments zurück, und in den Sessel niedergleitend, begann sie eine wildaufbrausende ungarische Volksweise kraftvoll und energisch mit denselben Händen, die vorhin zu „schwach und angegriffen“ gewesen waren, das Kind der Pfarrerin auch nur einen Augenblick zu halten. … Wie Perlenschnüre rollten die kühnen Passagen; es war ein Gewoge von Tönen, aus denen die Grundmelodie immer wieder auftauchte, und mit ihr wilde Zigeunergesichter, glühend angestrahlt vom Lagerfeuer, nächtliche, über die weite Pußta hinfliegende Reiter, umtobt von mähneflatternden Roßheerden, sterbende Helden und kühne Räubergestalten – und diese fremdartigen Gebilde, in denen ein heißes Blut pulsirte, rauschten durch die kleinen Eckfenster hinaus in das keusche, feierliche Schweigen der herabsinkenden heiligen Nacht. Das Gebirge reckte seine dunklen Glieder auswärts, und der goldflimmernde Himmel spannte sich von einem Bergscheitel zu dem anderen, Kluft und Tiefen ausgleichend, wie der große Versöhnungsgedanke des Gekreuzigten sich breitet über jenes zerklüftete Schöpfungswerk, das wir „die Menschheit“ nennen … Und diese Menschheit? Sie schärft seine wilden Worte zu Schwertern, mit denen sie sich selbst zerfleischt. Der Baalsglaube macht jenen Stern des Heils, den einst die Hirten über der kleinen Erde aufgehen sahen, zum stummen Götzen und verfolgt den lebendigen Geist, der von ihm ausgeflossen mit blindem Vandaleneifer – umsonst, er leuchtet! Und mit seinem mächtigen Wort: „Es werde Licht!“ hat Gott selbst gewollt, daß die Nacht nie mehr „die Herrschende“ werde! –

(Fortsetzung folgt.)




Könige von Gottes Gnaden.

Eine Rothweinskizze von Paul Wendt.

Château Lafite ist verkauft; das berühmte Château Lafite, auf dessen Gebiete der edelste, der hinreißendste, der unwiderstehlichste aller Girondisten, das Kleinod der Bordeauxweine, das echte Medocvollblut zu seinem weltbegeisternden und weltentzückenden Dasein erwächst, hat einen neuen Herrn gefunden – das haben vor wenigen Monaten alle Zeitungen berichtet, indem sie mittheilten, daß am 8. August dieses Jahres die Domäne des Schlosses Lafite aus den Händen der Erben des verstorbenen Ministers Duchâtel in die des Barons James von Rothschild, der freilich des Besitzes nicht lange genießen sollte, um das hübsche Sümmchen von vier Millionen einhundertundvierzigtausend Franken übergegangen ist.

Wo ist der Böotier, welcher solche Kunde gleichgültig hingenommen? Wer ist Stoiker genug, um den glücklichen Millionär nicht zu beneiden, der sich dies Cabinetsgärtchen zu seinen übrigen „Gütern“ zulegen konnte? Und dennoch sind es unter den Hunderttausenden von Lesern der Gartenlaube wohl nur wenige, welchen dieses gesegnete Fleckchen Erde mehr ist als ein Name. Wir geben uns darum der Hoffnung hin, daß sie einen deutschen Landsmann, der seit Jahren an den Ufern der Garonne sich eine zweite Heimath gegründet, jetzt, wo jener verheißungsvolle Name auch seine tagesgeschichtliche Bedeutung in Anspruch nehmen darf, mit um so größerem Interesse auf einer kleinen Herbstwanderung nach dem gelobten Lande begleiten werden, das da Medoc heißt und als dessen unbestrittene Krone Château Lafite nah und fern bekannt ist.

Es war ein herrlicher Septemberabend, als wir – ein paar Freunde hatten sich mir angeschlossen – am Quai de Bacalan von Bordeaux zu Schiffe gingen, um einem deutschen Capitän, der nach Buenos Ayres segelte, bis Pouillac das Geleite zu geben. Hier, an dem eigentlichen Haupt- und Stapelplatz des Medoc, wollten wir nächtigen, um andern Tages bei Zeiten zu Fuße unsern eigentlichen Marsch in’s Weinland zu beginnen. Der Morgen war prachtvoll wie der gestrige Abend und so recht zu einem tüchtigen Spaziergange geschaffen. Am Himmel war kein Wölkchen zu erblicken, und die Wirkung der Sonne, welche mittlerweile höher heraufgekommen war und eine tüchtige Hitze versprach, wurde durch eine frische Brise gemildert, die von der weiten Wasserfläche der Gironde herüberwehte.

Seit unserem letzten Besuche des Medoc hatte sich der äußere Charakter der Landschaft nicht unwesentlich verändert. Damals – es war Pfingsten – stand der Weinstock in voller Frühlingspracht, die Blätter erglänzten im frischen Grün, und das feine Aroma der Blüthen zog wie der Odem Gottes durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_068.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2022)