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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Literarische Briefe.

An eine deutsche Frau in Paris.
Von Karl Gutzkow.
I.

Sie sehen, liebenswürdige verehrte Frau, es wird in der That Ernst! Nicht nur, daß ich die Briefe über Literatur und allerlei der Literatur Verwandtes, die Sie bei mir, um es kurz zu sagen, bestellt haben, wirklich schreibe; ich umgehe auch die Briefbeförderungsanstalten des kaiserlich französischen Generalpostmeisters Vandal, dessen Name schon allein ein Protest gegen die Lehre vom Schönen ist, und schicke Ihnen meine Antworten auf Ihre dringend von mir erbetenen und Ihrerseits hoffentlich nie ermüdenden Fragen durch – die „Gartenlaube“. Sie sagten mir in Baden-Baden in jener feierlichen Stunde, wo Sie mir gelobten, dem Genius der deutschen Literatur auch in Ihren glänzenden Gemächern auf dem Boulevard Sewastopol treu zu bleiben (eine Flucht wilder Holztauben schoß grade aus dem Tannenwalde bei Ebernsteinburg in’s abendrothverklärte Murgthal hinunter), Sie wollten die Beruhigung gewinnen, nein, „verbesserten“ Sie sich (ich sage, verschlechterten Sie sich mit einem Rückfall in Ihren französischen Cursaal–Esprit), die Schadenfreude genießen, wenn ich Irrthümer lehrte, dann auch recht zahlreiche – Mitgenossinnen Ihres Irrens zu haben.

Zunächst sei auch die Erlaubniß, die Sie mir gewährt haben, beim Wort genommen, die Situation grundiren zu dürfen, der Berliner würde sagen: den Standpunkt klar zu machen, der diese Briefe veranlaßt hat.

Zerknirscht von Scham, seit zehn Jahren, wo Sie dem schönen Berufe leben, in Paris Ihrem Gatten den Schweiß von der Stirn zu wischen, den er täglich von der Börse mitbringt – Schweiß im weitesten Sinne des Worts, Wagen und Pferde, ein Landhaus in Passy, einen Koch, fünf Domestiken – ich sage, zerknirscht von Scham über Ihre gänzliche Verwilderung (ich brauche Ihren eigenen Ausdruck) über die deutschen literarischen Dinge, opferten Sie sich wie der Pelikan und öffneten sogar Ihre eigne Brust, indem Sie also sprachen: „Schildern Sie über die Veranlassung Ihrer Briefe getrost Alles! Wenn Sie wollen, sogar unsern Loulou und unsre Eugenie“ – worunter Sie nicht etwa den kaiserlichen Prinzen oder den Kaiser und die Kaiserin, sondern Ihre eignen Kinder verstanden, die Ihr Gatte, dessen Bruch mit Deutschland seit dem 18. Juli 1866 unwiderruflich geworden zu sein schein! (als ich ihm die martialische Schönheit der an jenem Tage in Frankfurt eingerückten preußischen Kürassiere schilderte, riskirte ich fast den Bruch unsrer alten langjährigen Freundschaft), auf die hohen Schutzheiligen des europäischen Friedens getauft sehen wollte. „Schildern Sie“ – fuhren Sie fort – „wie wir uns, als wir von Kreuznach kamen, in Bingen begegneten, als alte Freunde bis Bieberich zusammen auf dem Dampfboot reisten, wo uns von Frankfurt kommend die Großmama, ebenfalls eine Freundin Ihrer Jugend, begrüßte, um uns die Kinder so lange aufzubewahren, während wir noch nach Baden-Baden etc. etc. Da fahren Sie dann fort –!“

Gut, ich fahre fort. Dies Begrüßen der Großmama, dies Abschiednehmen von den Kindern, diese Verständigungen über das Größere, dies Nichtvergessenkönnen auch des Kleineren – wie es eben bei solchen Trennungen geht – ich bewunderte dabei das internationale Leben unsres Jahrhunderts. Deutsch, französisch, englisch ging die Conversation hin und her. Selbst die Frau Mama war halb eine Madame de Staël und cursalonfähig für Homburg, halb blieb sie frankfurterische „Frau Rath“ oder, wie Sie schlimmes Töchterlein meine schon damals in diesem Sinn gemachte Charakteristik verbessern wollten, halb Frau Speyer von der Schönen Aussicht.

Ich fahre aber fort im Abstecken des Terrains. Loulou und Eugenie waren geschmackvoll gekleidet, ganz im Geist ihrer Mutter. Doch ringsum die Jugend auf dem Dampfer, die in Bieberich ausstieg oder noch neu dort hinzukam! Ausgeputzt war sie, nicht blos nach dem regelmäßigen Cancangeschmack des Modejournals, nein, sogar nach den Phantasieen der Carnevalszeit oder – der Affenbude. Rothe Blousen, Spazierstöckchen, türkischer Fez bei den Jungen – bei den Mädchen auf dem Rücken chinesische Schleifen, die fast noch größer waren als die Kinder selbst. Und die Conversation! Fast Alles waren es halbe Franzosen, halbe Engländer und selbst in Ihrem Kreise wurde die Frage über die berühmten, auf der Taunuseisenbahn bei Höchst regelmäßig den Passagieren angebotenen und „Bubenschenkel“ genannten Bretzeln so erledigt: Loulou: „Maman, quand reviendrez-vous de Bade-Bade?“ Sie: „In fünfzehn Tagen!“ (Ein Gallicism, Madame, da Schiller und Goethe gesagt haben würden: „In vierzehn Tagen!“) Eugenie: „Grand’mere, j’ai tant faim! Quand est-ce que nous serons à Höchst pour trouver ces petits gâteaux: Les Bubenschenkel?“ Großmama: „What do they know of Bubenschenkel?“ Edgar, Ihr Gatte: „Quels gâteaux?“ Großmama: „Fi, Eugénie, une jeune dame ne parle pas des jambes d’un garcon!

Nicht wahr, das ist die Goethe’sche „Weltliteratur“! Das ist Arminius, von Rom nach Deutschland zurückgekehrt und in Mußestunden den Horaz lesend! Thusnelda, ab und zu ein Liedchen von Anakreon summend! Luther, eine Controverse gegen Heinrich VIII. in englischer Sprache schreibend, so daß sie Herr von Tauchnitz sogleich in seine Collection of german Authors aufnehmen kann! Und Shakespeare – ein regelmäßiger Tantiemenbezieher vom Burgtheater!

Wir dampften bereits, schon von Bieberich bis Mainz in die vollen Rechte unsrer alten Freundschaft und auf dem Bahnhof sogleich in ein Nichtrauchcoupé eingetreten, nach Worms, wo der Nibelungenhort im Rheine begraben liegt und im Rosengarten einst die Burgundenfürstinnen lustwandelten und verwitterte Synagogentrümmer von alten gräßlichen Zeiten erzählen, wo man Anlehen, die man bei den Juden gemacht hatte, einfach durch Mord und Todtschlag der Gläubiger amortisirte. Das Lutherdenkmal gab endlich Veranlassung, Ihnen, schöne Frau, und selbst Ihrem Gemahl einige Almosen der Wiederanerkennung Deutschlands abzugewinnen. Es war (von der letzten Ausstellung in Paris) Ihre Phantasie zwar noch durchaus erfüllt von Ihren Madonnen und Phrynen, von Ihren Magdalenen und Laïs (denn so berühren sich ja in Frankreich die Extreme); da mußte Ihnen aber doch die Kraft, die Weihe, der heilige Ernst dieser ehernen Gestaltengruppe überwältigend erscheinen. Ja Sie erhoben sich bereits, mit jener schönen, in der Regel nur bei den Frauen anzutreffenden Parteilichkeit, gegen einige Rügen, die der kaustische Witz Ihres Gatten, denn doch nicht ganz hatte unterdrücken können. Er tadelte an den Gestalten zuviel – „Rückengegend“.

„Doctor!“ hieß es dann von Ihren beiderseitigen Lippen als Aufforderung, daß ich, ein Studirter, der „im Schönen machte“, über diese „Rückenprofile“ meine Ansicht sagen sollte. Beim Herumklettern über die Erdhaufen, die dem großen Werke erst eine Umgebung schaffen sollen, murmelte ich etwas von einem andern Platz, den man erwartet hätte, von einer gewissen hartnäckigen Frau, die sich in einem ihrer Gartengrundstücke nicht hatte wollen stören lassen, von einem Platz, der in der Stadt selbst am geeignetsten gewesen wäre, wenn nicht leider die dicht daranstoßende Kirche eine katholische gewesen. Weiter kam damals die Debatte nicht. Ich will aber gern das damals verschwiegen Gebliebene hier nachholen. In der That, ich glaube, Ihr Gatte hatte Recht, liebe Freundin! Vor fast zehn Jahren stellte Rietschel auf der Brühl’schen Terrasse in Dresden das erste Modell seines Lutherdenkmals auf. Als ich mich unter die Bewundernden mischte, wagte ich, den Meister, der in solchen oppositionellen Dingen zart, artig, sinnpflanzenartig behandelt werden mußte, auf die Monotonie aufmerksam zu machen, die in dem Blicken fast aller seiner Figuren nach Einer Richtung läge. Das Unschöne von nichts als flachen Rücken blieb dabei nicht verschwiegen. Ich rieth dem Meister, die Gestalten mit dem Rücken nach dem Innern hin umzuwenden, und behauptete, daß ein Hinausblicken der Gruppe in alle Lande auch diejenigen Gestalten, die jetzt nur zu Luther wie bloße Supplemente seiner Person herauskämen, dann wie Wächter für ihn, wie selbstständige Vor- und Mitarbeiter erscheinen lassen würde. Ich wurde jedoch ab- und auf eine zu erhoffende architektonische Anlehnung verwiesen. Rietschel ist gestorben. Jene Anlehnung blieb aus. Es ist denn auch der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 072. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_072.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)