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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Der langgepflegte Wandertrieb übte aber seine Herrschaft auch noch über den Alten aus. Es zog ihn wieder in sein geliebtes Oesterreich, er wanderte vom Hofe des Herzogs Leopold zu dem seines Oheims Heinrich und von diesem zum Patriarchen von Aquileja aus dem Grafenhause Andechs, und rühmt es laut, so lange er diese drei Fürsten wisse, brauche er nicht um Herberge fern zu streichen, sein Wein sei gelesen und seine Pfanne sause. Auch die fränkische Heimath besuchte er wieder, aber ihr Anblick erfüllte ihn nur mit Trauer über die Hinfälligkeit alles Irdischen. Schon hochbetagt folgte er endlich seinem Kaiser 1228 in das heilige Land, wohl zu spät, um für seine ermattende Leier viel Ausbeute zu finden, denn bald nach seiner Heimkehr sagte er „Frau Welt“ Ade. Er starb wahrscheinlich als Kanoniker am Stifte Neumünster zu Würzburg.

Daß seine Bestattung eine des Ruhms seines Namens würdige gewesen, dafür sprechen schon die Huldigungen, die er von den Zeitgenossen aller Stände im Leben genossen, ferner aber auch der stattliche Grabstein, welcher einen Pfeiler vom Kreuzgange des Stiftes schmückte, die Inschrift desselben:

Pascua qui volucrum vivus, Walthere, fuisti,
Qui flos eloquii, qui Palladis os, obiisti.
Ergo quod aureolam probitas tua possit habere,
Qui legit, hic dicat: Deus istius misere.

zu Deutsch etwa:

Der Du der Vogel Weide, o Walther, gewesen im Leben,
Mußtest, Blume der Rede und Pallas’ Mund, uns entschweben.
Daß nun Deine Tugend erringe die himmlische Krone,
Wünsche, wer Dieses liest, daß Gottes Gnade ihm lohne.

und die Ausführung jenes Vermächtnisses, welches seinen Namen zur Wahrheit machte. Neben der Stiftskirche befand sich in der Mitte des von vier Seiten von Arcaden mit byzantinischen Säulen umgebenen Lusam-(Lust-)Gartens unter einer Linde eine Art steinernen Altars mit vielen Höhlungen auf der Deckfläche, und diese Höhlungen sollten täglich mit Körnern als Futter für seine gefiederten Lieblinge angefüllt werden. Diese Vogelweide war Walther’s Vermächtniß, und es ward befolgt, bis es den Collegiatherren bequemer erschien, diese Körner zu einer Spende von weißem Brode für sich selber zu verwenden. Bei der Säkularisation des Stifts ging zwar der alte Grabstein Walther’s, aber für die Stiftsherren auch diese Schnabelweide verloren, und sie ward, ihrem Zweck wenigstens wieder näher rückend, zu eitler jährlichen Erfreuung der Schuljugend mit sogenannten Michelswecken umgewandelt. Der Platz dieses Lusamgartens und der Vogelweide ist noch jetzt vorhanden, selbst von den Arcaden steht noch eine Seite; ob aber der vor sieben Jahren von einem patriotischen Künstler in der Illustrirten Zeitung (1862, Nr. 988) angeregte Gedanke, diese denkwürdige Stätte von ihrer unwürdigen Umgebung zu befreien und ihrer ursprünglichen rührenden Bestimmung zurückzugeben, später noch zur Ausführung gekommen, ist uns unbekannt. Jede Stadt, die im Besitz eines solchen Andenkens an einen der größten Dichter und erhabensten Männer der Nation ist, sollte in demselben einen Theil ihrer eigenen Ehre erkennen und es danach behandeln.

König Maximilian der Zweite von Baiern ging darin seinem Volke mit edlem Beispiel voraus. Als er seinen Baiern die Schicksale und Thaten ihrer Vorfahren in einer Galerie von einhundertdreiundvierzig in Lebensgröße der Gefeierten ausgeführten Bildern, die den Prachtbau eines besondern „baierischen Nationalmuseums[1] schmücken, darstellen ließ, gedachte er bei den fränkischen Ehren vor Allen Walther’s von der Vogelweide und ließ von dem tüchtigen Künstler Echter Walther’s Leichenbegängniß in stereochromischer Manier ausführen. Sinniger konnte „die letzte Ehre“ für den großen Dichter jeder edlen Liebe nicht erfunden werden. Offen ruht der greise Sänger, den Lorbeer im Haar und die Harfe noch an das todte Herz drückend, im Sarge, welchen Eichengewinde und Rosenkränze schmücken; Minnesänger, den Eichenzweig um das Haupt und die Harfe zur Hand, tragen, Kreuzritter geleiten ihn und ihnen folgt alles Volk, trauernde Frauen und Jungfrauen voran. Und diesen Zug sehen wir in demselben Kreuzgang dahinschreiten, dessen Arcaden den Lusamgarten umgrenzen, und da kommen seine kleinen Lieblinge, die er im Leben so oft geätzet, sie erkennen ihren Wohlthäter, sie folgen dem Zuge und so geben auch sie, seine nächsten Erben, ihm die letzte Ehre. Da dieses Meisterwerk unter dem Münchener Klima bereits stark nachzudunkeln beginnt und seinem Untergang in seiner jetzigen Gestalt entgegengeht, so wird um so mehr eine Mittheilung desselben in der Gartenlaube willkommen genannt werden dürfen.




Deutsche Cavaliere.
Moderne Ballade.


Ein deutscher Fürst zog nach Paris
Zum Kaiser der Franzosen.
Die Welt lag in politicis
Nicht eben sehr auf Rosen.
Der Krieg entbrannte in der Krim,
Es stand für alle Lande schlimm
Vom Rhein zum Oriente.

Der Fürst also – er wollte, klug,
Sich auch wohl „orientiren“ –
Macht in Paris bei Hof Besuch
Mit dreien Cavalieren;
Der eine war aus Frankenland,
Der andere vom märk’schen Sand,
Der dritt’ aus Niedersachsen.

Ein deutscher Herr, der legitim,
Und beim Napoleoniden?
Der Höfe viel verdachten’s ihm,
Der Kaiser war’s zufrieden;
Czar Nikolaus war kürzlich’ grob
Und fühlte seinen Zorn darob,
Der deutsche Fürst die Gnade.

Der Kaiser führt ihn selbst hinab
Zur Asche seines Ohmes –
Die ruht im reichen Marmorgrab
Des Invalidendomes;
Und von dem todten führt er ihn
Dann zum lebend’gen Oheim hin,
Zum König von Westphalen.

Es thronte im Palais-Royal
Der graue alte Sünder,
Den einst verjagt der bloße Schall
Der Vierundzwanzigpfünder –
Denn als der Schall von Leipzig klang,
Da fuhr er gleich den Rhein entlang,
Der „Vater seines Sohnes“.

Der Kaiser aber wünscht es sehr,
Daß man ihn respectire,
Damit an kaiserlicher Ehr’
Er selber nicht verliere,
Und giebt dem Fürsten an die Hand,
Von seinem Orden Stern und Band
Dem Oheim zu verleihen.

Und als der Fürst mit seinen Herr’n
Zum König eingeladen,
Nimmt er – gewiß nicht allzu gern –
Den Stern von Gottes Gnaden;
Das wurmt die Cavaliere schon,
Den Franken und den Altmarksohn
Und gar den Niedersachsen:

„O schwere Noth, noch Dankbarkeit,
Wie Kinder für die Ruthe?
Haus Braunschweig dankt’ ihm seiner Zeit
Die ‚schwere Noth‘ mit Blute!“
So flucht der laut, und zwischendurch
Der Märker noch: „Für Magdeburg
Wüßt’ ich ihm auch ’nen Orden!“

Was hilft es? Sieh, das hohe Paar
Ist zum Empfang gekommen!
Der Fürst reicht ihm den Orden dar…
Jetzt hat er ihn genommen –
Nun dankt er wohl? … Nein, vornehm-kühl
Läßt er, als wär’s ein Pappenstiel,
Den Stern im Vorsaal liegen.

  1. Nicht weniger, als dieses schönste Vermächtniß Maximilian’s an sein Volk, diese Wandbilder des bairischen Nationalmuseums selbst, verdient allgemeinste Achtung die „historische Erläuterung“, welche denselben ein dem König und der Wissenschaft gleich nahe stehender Mann gewidmet hat. Herr Dr. Karl von Spruner, Generaladjutant des Königs und ordentliches Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften, hat mit diesem Werke nicht etwa eine trockene Bildererklärung, sondern eine wahrhafte Culturgeschichte Baierns geliefert, die furcht- und rücksichtslos mit der Leuchte des für Wahrheit und Recht begeisterten Mannes keinen Schlupfwinkel unerhellt läßt, aus welchem je Pfaffentrug und Aberglaube gegen Humanität, Aufklärung und Sittlichkeit hervorgebrochen sind. Auch wer weder in München die Originale noch die trefflichen Nachbildungen des Photographen Albert je zu Gesicht bekommt, gewinnt an diesem Spruner’schen Buche einen historischen Hausschatz und damit den freudigen Trost, daß auch in der Umgebung der Könige noch so tüchtige, wahrheitsmuthige Männer möglich sind. – Ueber Walther von der Vogelweide insbesondere hat bekanntlich auch Uhland ein Schriftchen veröffentlicht.
    H. v. C.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_079.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)