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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Einzig und allein daher, daß dem Château Lafite noch andere, kostbarere Gattungen von Weinreben zu Gebote stehen, deren Erlangung unserem Geldbeutel versagt ist.

Allerdings kommt auch viel auf die Bodenbeschaffenheit an, denn mit den besten Gewächsen würden Sie auf dem fast nackten Felsgestein von Blaye z. B., das Sie dort in der Ferne am rechten Ufer der Gironde liegen sehen, keine glänzenden Resultate erzielen. Die dort und auf dem Bordeaux gegenüberliegenden Höhenzuge, oder den Côtes, gedeihenden Weine werden immer geringerer Art bleiben und nie mit den Weinen des Medoc rivalisiren können. Indessen ist damit nicht gesagt, daß der Weinbau unseres Departements nicht noch an vielen Orten der Verbesserung fähig wäre; es gehört dazu nur Arbeit, Zeit und Geld. Wenn gewisse Gegenden des Medoc auch im Allgemeinen den Ruf der größeren Vorzüglichkeit ihrer Weine behaupten werden, so giebt es doch noch manche andere Orte, welche recht erfreuliche Resultate zu Tage gefördert haben; ich erinnere Sie nur an die Weine von St. Emilion, sowie an diejenigen von Haut Brion, welche letztere in unmittelbarer Nähe von Bordeaux gedeihen und mit den ersten Gewächsen des Medoc auf gleiche Stufe gestellt werden. Namen wie: Pape Clement und La Mission, gleichfalls Weingüter in der Nähe von Bordeaux haben ebenfalls keinen schlechten Klang. Die liebe Geistlichkeit hat sich eben in der Wahl der Plätze für ihre Anpflanzungen nie getäuscht.“

„Ich muß gestehen,“ sagte ich, „daß ich früher nur eine sehr oberflächliche Vorstellung von dem, was man Medoc nennt, gehabt habe. Im lieben Deutschland bezeichnet man häufig irgend eine beliebige Flasche Rothspohn mit dem Namen Medoc, und die Eingeweihten ausgenommen, giebt sich das große Publicum völlig damit zufrieden. Woher kommt der Name Medoc?“

„Unter Medoc,“ versetzte unser Freund, „begreifen wir den aus sanftem Hügelland bestehenden, nordöstlichen Streifen eines Landstriches, welcher wie ein Dreieck geformt ist, dessen nach Norden gerichteter, kleinster Winkel im Westen vom Ocean, im Nordosten von der Gironde und später von der Garonne gebildet wird, eine geographische Lage, welcher früher wahrscheinlich die ganze Landschaft die Bezeichnung ‚Medoc‘ verdankte, die vom lateinischen medio aquae, d. h. von Wasser umgeben, abzuleiten ist. Die Grenzen des Medoc sind im Süden das Bordeauxer Stadtgebiet und im Südwesten die traurigen Sand- und Haideflächen der sogenannten ‚Landes‘, auf welchen nichts als die Fichte und das Haidekraut fortkommen. Der die Weincultur hauptsächlich interessirende Theil des Medoc erstreckt sich von dem Flecken Blanquefort stromabwärts bis zum Flecken St. Seurin de Cadourne und wird auch Haut Medoc genannt; der Bas Medoc, welcher von dem letztgenannten Orte beginnt, endigt in der sogenannten Pointe de Grave, welche den Scheitelpunkt des erwähnten, vom Meer und der Gironde hervorgerufenen spitzen Winkels bildet.

Die Weine des Bas Medoc sind nur von geringerer Güte. Alle renommirten Gewächse des Haut Medoc werden dagegen in folgenden, von Bordeaux aus der Reihenfolge nach nordwestlich gelegenen sechs Gemeinden: Cantenac, Margaux, St. Julien, St. Laurent, Pouillac und St. Estèphe gezogen. Um einige Ordnung in dieses Chaos mehr oder minder berühmter Gewächse und Namen zu bringen, hat die Bordeauxer Handelskammer eine Classeneintheilung bewerkstelligt, welche der Güte der Weine möglichst entspricht, wenngleich sich diesem Systeme nicht immer Unfehlbarkeit nachsagen läßt, da man dem geheimnißvollen Walten der Naturkräfte keine Fesseln anzulegen vermag. – Diese Eintheilung unterscheidet zunächst fünf Classen gleichsam geadelter Gewächse (crûs classés), an deren Spitze Lafite, Latour und Margaux stehen. Hieran schließt sich eine Reihe mehr oder minder vortrefflicher Gewächse, welche man Bourgeois (Bürger) nennt, und das Gros bilden die Vins de Paysans oder Bauernweine.“

Der Weincultur sind im Departement der Gironde ungefähr 15000 Hectaren, das heißt, ein Siebentel der ganzen Bodenfläche gewidmet, welche einen jährlichen Durchschnittsertrag von über drei Millionen Hectolitern Wein liefern. Von diesem Quantum verbraucht der inländische Bedarf ungefähr ein Drittel, während zwei Drittel der Ausfuhr nach dem Auslande verbleiben. Die jährliche Durchschnittsernte des Medoc speciell beträgt ungefähr 50,000 Faß oder 200,000 Oxhoft, das Faß zu je vier Oxhoft, von je 225 Litres Inhalt gerechnet. Von dieser großen Quantität liefern indessen die erwähnten fünf Classen feiner Weine nur 5000 Faß oder 20,000 Oxhoft, und eine gleiche Masse die classificirten Bürgerweine. Auf die Feinschmecker des ganzen Erdenrundes vertheilt, ist diese Masse immerhin nur sehr beschränkt, und es liegt auf der Hand, daß der Inhalt so mancher Flasche mit hochtrabender Etiquette die Kehle des gläubigen Trinkers hinabgleitet, ohne auch nur das Geringste mit dem Göttertranke gemein zu haben, dessen Namen er sich anmaßt.“ –

Nur allzurasch war uns der Tag bei den lieben Leuten verstrichen. Am Abend leerten wir noch die versprochene 1858er, mit der Morgensonne des nächsten Tages aber traten wir, von den Grüßen unserer freundlichen Wirthe begleitet, den Rückweg an.

Wieder in Bordeaux angelangt, könnte ich mich eigentlich vom Leser verabschieden, aber da ich es einmal unternommen habe, ihm ein Führer durch das Bordeauxer Weinland zu sein, so möge er noch einen Augenblick Geduld haben und mir nach jenem Wunderschlosse, dem „Château Yquem“, folgen, dessen getreuem Abbild mein Freund Rudolph Sprenger aus Rostock, ein hier ansässiger junger Lithograph, einen Ehrenplatz auf seiner in der vorigen Nummer beigefügten Zeichnung einräumen zu müssen glaubt. Wir nehmen daher die Eisenbahn, welche parallel mit dem linken Stromufer läuft, verlassen in Preignac den Zug und befinden uns jetzt so zu sagen in „dem Medoc der Bordeauxer Weißweine“. Wiederum ist’s die Zeit der Weinlese, leider aber sind sämmtliche Rebpflanzungen, bei welchen uns der Weg vorüberführt, mit dicken, hohen Steinmauern umgeben, so daß uns nur selten ein Einblick in den reichen Segen gestattet ist. Nach einer stundenlangen langweiligen Fahrt öffnet sich endlich die Gegend. Zu beiden Seiten des Weges liegen jetzt die Weingärten offen und unabsehbar da, und wir können die gelblichen, saftreichen und zuckersüßen Trauben prüfen, wonach wir in der brennenden Hitze so lange geschmachtet.

Unfern von uns sind Winzer mit einer eigenthümlichem Arbeit beschäftigt. Anstatt die schönen, goldenen Trauben, nach welchen uns der Sinn stand, zu schneiden und zu sammeln, suchen sie mühsam nach den einzelnen, röthlichen, eingeschrumpft und selbst verschimmelt aussehenden Beeren, welche sie mit der Scheere lösen. Dies Verfahren ist zu auffällig, als daß wir uns nicht nach seinem Zweck erkundigen sollten, und da erfahren wir denn eine befremdende Thatsache. Aus diesen von uns verschmähten Beeren, der ersten Auslese, wird der köstlichste, feinste und theuerste Weißwein, die crême (Sahne) gewonnen, eine zweite Auslese liefert die tête (Kopf), eine dritte das centre (Mitte), und endlich eine vierte die queue (Ende). Die Ernte wird durch dies Verfahren auf höchstens zwei Drittel des eigentlichen Ertrages zurückgeführt, und dieser Umstand, sowie die Langwierigkeit der Weinlese, welche auf diese Art betrieben Monate lang währen kann, erklären uns die hohen Preise der feinen Bordeauxer Weißweine.

Von den vier berühmten Weißwein-Districten, welche eine bedeutend beschränktere Bodenfläche, als die der Rothweine einnehmen, liegen Preignac und Barsac, von der Garonne begrenzt, hinter uns. Rechts vom Wege befindet sich die Gemeinde Bommes, links Sauternes. Noch wenige Minuten dann, und Château Yquem, der stattliche Herrschersitz des Königs der Weißweine, liegt links auf einer sanft ansteigenden Anhöhe vor uns. Die Weinfelder der Besitzung sind alle in der vortrefflichsten Ordnung, die Trauben vorzüglich, und es lüstet uns nicht wenig, in den Schloßkeller hinabzusteigen und uns ein Gläschen von dem köstlichen Jahrgange zu erbitten, von welchem einst der Großfürst Constantin, der Bruder des Kaisers Nikolaus von Rußland, ein Faß oder neunhundert Litres zu dem enormen Preise von zwanzigtausend Franken oder fünftausend dreihundertdreiunddreißig preußischen Thalern erstand. Leider haben wir jedoch vergessen, uns bei dem Marquis von Lur-Saluces, dem Besitzer dieser wahren Goldgrube, einführen zu lassen, und die Stunde ist bereits vorgerückt. Es gilt nicht zu säumen, unten im Städtchen Langon den Bahnzug zu erreichen, der uns bei dunkler Nacht in zwei Stunden nach Bordeaux heimführt.

Also gute Nacht und Lebewohl, aber hoffentlich auf Wiedersehen! Und wenn dem freundlichen Leser einmal eine Flasche echten Château Lafite’s oder gar ein Gläschen herrlichen 1847er Château Yquem’s, des Götterlabsals, unter die Hände kommt, so genieße er sein Glück mit Bedacht und gedenke dabei freundlich seiner Landsleute am Garonnestrande, die sich ja auch zum Besten seiner Kehle mühen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_088.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)