Seite:Die Gartenlaube (1869) 091.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


einem Meeresstrande bis zum andern, Berge sanken zu Thälern ein, Thäler schwollen zu Bergen auf, Seen flutheten an der Stelle verschlungener Ortschaften, und der größte Theil der Nephiten und Lamaniten wurde vernichtet. Die aber, welche diese furchtbare Katastrophe überlebten, wurden mit einer persönlichen Erscheinung Christi, der kurz vorher zu Jerusalem gekreuzigt worden und gen Himmel gefahreu war, begnadigt. Er zeigte ihnen Seitenwunde und Nägelmale, predigte ihnen das Evangelium, setzte die Sacramente ein, heilte Lahme und Blinde, erweckte einen Todten und machte dem Volke alle Dinge bis an das Ende der Tage bekannt.

Nachdem der Erlöser sein Werk in Amerika vollendet, stieg er wieder in den Himmel. Die zwölf Jünger aber, die er gewählt, zogen durch das Land, verkündeten überall die frohe Botschaft, thaten Wunder und bekehrten nicht nur alle bis dahin dem Gesetz Mosis unterthanen Nephiten, sondern auch viele Lamaniten. Der dadurch hervorgerufene gottselige Zustand des amerikanischen Volkes erhielt sich länger als dreihundert Jahre in seiner Reinheit.

Allmählich jedoch rissen wieder Unglauben und Ungerechtigkeit ein, und gegen das Ende des vierten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung hatte die Ruchlosigkeit einen solchen Grad erreicht, daß die Langmuth des Herrn sich in strafenden Zorn verwandelte. Ein schrecklicher Krieg brach zwischen den Lamaniten im Süden und den jetzt nur noch in Nordamerika wohnenden Nephiten aus, und dessen Ausgang war die fast gänzliche Vertilgung der letzteren auf dem Berge Cumorah, wo sich der Rest der Nation in einem meilenlangen Lager verschanzt hatte. Die Wahlstatt dieser ungeheuren Schlacht, welche im Jahre 384 n. Chr. stattfand, war mit nicht weniger als 230,000 Leichen bedeckt.

Unter den Ueberlebenden befanden sich der Prophet Mormon und dessen Sohn Moroni, von denen jener einen Auszug aus den Ueberlieferungen seiner Vorväter gemacht hatte, den er vor seinem Tode dem Sohne zur Vollendung übergab, während jene Traditionen von ihm auf Gottes Geheiß im Berge Cumorah verborgen wurden. Moroni führte die Chronik seines Vaters noch etwa vierzig Jahre fort, und wir erfahren von ihm, daß die unversöhnlichen Lamaniten die wenigen von den Kindern Nephi, welche jener Vertilgungsschlacht entronnen waren, so lange verfolgten, bis das ganze Geschlecht, ihn ausgenommen, vernichtet war. Er berichtet ferner, daß die Lamaniten nach Ausrottung ihrer Gegner unter sich selbst in Streit geriethen und daß ganz Amerika lange Zeit nichts als ein großer Schauplatz von Gewaltthat, Raub und Blutvergießen war. Er schließt endlich seine Geschichte im Jahre 424 nach Christi Geburt, um die Platten, auf die sie geschrieben, ebenfalls in den heiligen Berg zu vergraben.




Fremde Hand im Vaterland?
Eine Antwort dem Rittergutsbesitzer Herrn v. M. im Hannöverischen.

Sie haben es, wie Sie uns schreiben, für Ihre „heilige Pflicht“ gehalten, die „Gartenlaube“ davon in Kenntniß zu setzen, wie stark dieselbe in ihrer Ansicht von der Gesinnung des Kerns der Bevölkerung von Hannover, d. h. der ländlichen, sich täusche, wenn sie glaube, ihre „deutschpatriotischen Umtriebe hätten vermocht, auch hier den Haß gegen das Ausland zu nähren und die Treue gegen den angestammten Fürsten zu untergraben“. Sie versichern uns, daß die Welfentreue dem Adel und dem Landvolk mehr gelte, als all’ das Poetengesinge vom sogenannten deutschen Vaterlande, und daß mit dieser Welfentreue vollkommen im Einklang der Ausspruch stehen könne: „lieber französisch, als preußisch!“

Wir würden Ihren Brief als ein zwar trauriges, aber unschädliches Zeichen der Zeit still bei Seite gelegt haben, wenn Ihre Behauptung blos auf den Adel, nicht auf das gesammte Landvolk Hannovers sich bezöge. Alle Welt weiß jetzt, daß, je kleiner ein Staatswesen, um so kleinlicher das adelige Treiben, je größer und mächtiger ein Staat, um so größer die Aufgaben, um so würdiger die Ziele auch des Adels werden. Ihn wie das Volk hat die Kleinstaaterei nicht gehoben, sondern erniedrigt: ein reußischer, hessischer, nassauischer etc. Adel konnte im persönlichsten höheren Kammerdienerdienst am kleinsten Fürstenhofe noch etwas Bevorzugtes vor allem Volke erkennen, – ein Mann von deutschem Adel niemals!

Sie heucheln einen kosmopolitischen Standpunkt, um nur desto ungenirter in Welfendienstwonne zu schwärmen; das mag man Ihrer eigenen Verantwortung überlassen, – aber Sie unterstehen sich, im Namen „des Kerns“ Ihres Volkes zu reden, und das zwingt uns, Sie bei Seite stehen zu lassen und uns an dieses Volk selbst zu wenden.

Unsere Leser wissen, wie häßlich erlogen es ist, daß die Gartenlaube Haß gegen das Ausland und Untreue gegen die heimischen Fürsten lehre, und zwar Alles unter dem Mantel der Vaterlandsliebe. Allerdings freuen wir uns, ja, wir sind stolz darauf, daß der Begriff „Vaterland“ mehr zu Ehren gekommen ist. Wie tief er gesunken war, davon hat das Volk der Gegenwart keine Ahnung. „Hm, was ist Vaterland? Der Topf ist Vaterland!“ So sprach noch der alte Voß. Schiller verstand noch 1782 unter Vaterland das Herzogthum Würtemberg und wohnte zu Jena „im Auslande“. Erst die Befreiungskriege weckten den ganz entschlafenen Gedanken an ein „deutsches Vaterland“ wieder auf, und weder der heiligen Allianz noch dem deutschen Bunde gelang es, ihn wieder auszurotten. Wie aber soll treue Liebe zum gemeinsamen Vaterland die Treue gegen die Fürsten schmälern, wenn diese selbst jene treue Liebe mit hegen? Muß die gemeinsame Liebe zum großen Ganzen nicht Volk und Fürst erst recht innig verbinden? Haben wir dafür etwa keine Beispiele in der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts? – Ebenso wird derjenige, welcher der Begeisterung für sein eigenes Volk und Land fähig ist, auch der rechte Mann sein, das Ausland nach seinen Vorzügen zu würdigen, ohne Neid und ohne Haß, wenn dieses Ausland sich zu gleicher gerechter Würdigung versteht.

Aber – „lieber französisch, als preußisch!“? Wahrlich, der Graf von Paris mag Recht haben, wenn er in seinem bekannten Briefe über Deutschland sagt: „Der preußische Hochmuth im Benehmen, der den Deutschen selbst unerträglich ist, wenn sie ihn zu ertragen haben, schmeichelt ihrem Stolze, wenn sie ihn gegen das Ausland gerichtet sehen,“ – dieser Hochmuth mag schwer wiegen: nur den Männern Niedersachsens, den Enkeln der französischen Unterthanen des Königreichs Westphalen und der Departements der Ems, der Weser und der Niederelbe des französischen Kaiserreichs, den Enkeln der Truppen des Rheinbundes in Napoleon’s Hand, den Enkeln der Helden von Waterloo – ihnen sollte sein und ist sicherlich eine solche Parole unmöglich!

Völker haben ein kurzes Gedächtniß für die Missethaten der Gewaltigen, nur darum, um den Deutschen die Augen offen zu erhalten über die Glückseligkeiten, die ihnen unter französischer Herrschaft geworden, haben wir eine Reihe von Bildern und Artikeln aus den „Zeiten unserer schweren Noth“ gebracht, und ebendeshalb schreiben wir auch die folgenden Zeilen. Ist es denn ganz vergessen, wie die Karte von Deutschland in den Jahren 1809 bis 1813 aussah? War es eine Zeit deutschen Fürstenruhms und Volksglücks, als Oesterreich, vom deutschen Reiche ausgeschieden, ohnmächtig im Südosten, wie Preußen, auf 2800 Quadratmeilen zusammengeschmolzen, machtlos im Nordosten der Staaten eines Rheinbundes lag, dessen fünfzehn Millionen Deutsche dem französischen Kriegsherrn ein Heer von mehr als 120,000 Mann zur Verfügung stellen mußten? Und liegen die Leiden dieser Rheinbundstruppen, liegt die massenhafte Hinopferung derselhen in Tirol, Spanien und Rußland so weit hinter uns? Und wie wurde den tapferen Deutschen ihr französischer Heldenmuth gelohnt! Gleich Strafsoldaten galten sie nur als Kanonenfutter! Es ging hoch her! Als das Regiment der Herzoge von Sachsen, das erst in Tirol geblutet, bei Barcelona sich abermals ausgezeichnet, erhielt der Mann fünfzehn Groschen, um an Napoleons Geburtstag auf des Kaisers Wohl zu trinken! – Und wie hoch ehrte er sie, seine Vasallentruppen! Als vor dem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_091.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)