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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Die Strafe, mit welcher das damals noch geltende Strafgesetz ein solches Verbrechen bedrohte, war der Tod. Die Regierung nahm einen solchen Antheil an dem Fortgange des Processes, daß sie sogar einen stenographischen Bericht über die Verhandlungen aufnehmen ließ. Dieser stenographische Bericht aber sollte sich in ein Ehrendenkmal für den Angeklagten Waldeck, für den altpreußischen Richterstand verwandeln. Freilich, wer die Anklage gelesen hatte, mußte sich von vornherein sagen, daß ihr ganzes Fundament morsch und hinfällig, daß eine Verurtheilung Waldeck’s unmöglich sei. Aber die Beweisaufnahme vor den Geschworenen ergab nicht nur in glänzender Weise die Unschuld Waldeck’s, sondern stellte ihn gleichzeitig als einen der edelsten Männer Deutschlands hin und ließ seine politischen Bestrebungen in dem reinsten Lichte erscheinen. Nicht genug damit: sie enthüllte auch klar und deutlich die Pläne derer, die keine Mittel scheuten, um ihre politischen Gegner zu vernichten; sie enthüllte klar und deutlich, daß die ganze demokratische Partei in seiner Person an den Pranger gestellt werden sollte!

Der Staatsanwalt sah sich am Schlusse der Verhandlung genöthigt, selbst das „Nichtschuldig“ gegen Waldeck zu beantragen und das Zugeständniß auszusprechen, daß die Anklage auf Grund von Schriftstücken erhoben sei, die er als „ein Bubenstück“ bezeichnete, „angefertigt, um einen Mann zu verderben“.

Nur zehn Minuten brauchten die Geschworenen, um den edlen Dulder seiner Familie, seinen Freunden zurück zu geben.

Bis zu dem Augenblicke, wo es bekannt wurde, daß Taddel den Vorsitz in dem Proceß gegen Waldeck führen würde, war er in den weiteren Kreisen der Bevölkerung unbekannt. Seinen Bezirksgenossen galt er für einen Mann von streng conservativer Gesinnung, da er sich bereits im Jahre 1848 einem conservativen Bezirksverein angeschlossen hatte, zu dessen Spitzen der hochconservative Präsident von Kleist gehörte. Taddel theilte zwar nicht die schroffen Anschauungen dieses Mannes, aber er gehörte jenem Kreise von Beamten an, der im absoluten Staate fast allein die freisinnige Richtung vertreten und darum gewissermaßen eine Verfassung ersetzt hatte, welcher indeß die weit über den vormärzlichen Liberalismus hinausgehende, durch die Revolution hervorgerufene Bewegung mißverstand.

Gustav Ferdinand von Taddel, in Küstrin einen Monat nach Friedrich’s des Großen Tode geboren und zum Juristen gebildet, begleitete im Jahre 1809 das Justizcollegium seiner Vaterstadt, die damals von den Franzosen als Pfand für die Kriegscontributionen besetzt gehalten wurde, nach Soldin, wo er im Jahre 1810 die Referendariatsprüfung bestand. An der Zurücklegung des dritten Examens wurde Taddel durch den Ausbruch der Befreiungskriege verhindert, „da er es für eines jeden Preußen Pflicht hielt, sein Privatinteresse der Befreiung des Vaterlandes vom französischen Joch nachzusetzen“. Diese Worte sind einem Privatbriefe des Verstorbenen entnommen. Der vierundzwanzigjährige Jüngling, obgleich gesetzlich vom Militärdienst befreit, trat in das Jägerdetachement des Pommerschen Husarenregiments ein (gegenwärtig Fürst Blücher), wo er von seinen Cameraden sehr bald zum Officier gewählt wurde. Als solcher machte er die Feldzüge von 1813 und 1814 mit. In der Schlacht bei Dennewitz wurde ihm beim Angriff auf ein Quarré ein Pferd unter dem Leibe erschossen. Er stand mit dem Bülow’schen Corps vor Maubeuge, als der Friede geschlossen wurde.

Nach dem letztern in den Civilstand zurückgetreten, wurde Taddel im Jahre 1821 zum Oberlandesgerichtsrath in Frankfurt an der Oder ernannt und nahm noch im selben Jahre als Mitglied des zweiten Senates an dem Erkenntniß Theil, durch welches der in erster Instanz zu dritthalb Jahren Festungsstrafe verurtheilte Turnrath Jahn freigesprochen wurde. Der Beweis des Verbrechens, welches dem alten Manne zur Last gelegt war, bestand in nichts weiter, als in nachgeschriebenen Collegienheften. Die Referenten beantragten vorläufige Freisprechung, aber das Collegium sprach den Angeklagten vollständig frei. Der ehrgeizige Präsident, der den damals erledigten Posten eines Justizministers zu erhalten hoffte, wenn er der Regierung sich gefällig zeigte, drückte nach der Abstimmung unwillig sein Bedauern aus, daß das Collegium das ihm durch Uebertragung des Richterspruches geschenkte Vertrauen nicht gerechtfertigt habe, und reiste mit Courierpferden nach Berlin, um sich bei Friedrich Wilhelm dem Dritten zu rechtfertigen. Er hielt dem König Vortrag und entschuldigte sich wegen des freisprechenden Votums. Der König aber unterbrach ihn mit den schönen Worten: „Dummes Zeug! Die Gerichte müssen ihren Willen haben!“ Die Hoffnung des Präsidenten auf das erledigte Ministerportefeuille ging nicht in Erfüllung, aber freilich auch die Beförderung der Richter, welche das freisprechende Urtheil gefällt, erlitt eine Unterbrechung, die selbstverständlich nicht sowohl dem König, als vielmehr der Umgebung desselben zur Last zu legen ist.

Seit 1833 am Kammergerichte in Berlin angestellt, hatte Taddel soeben das dreiundsechzigste Jahr erreicht, als ihm der Vorsitz in dem Schwurgericht übertragen wurde, vor welchem der gegen Waldeck eingeleitete Hochverrathsproceß verhandelt werden sollte. Nur mit Widerstreben nahm er den ihm ertheilten Auftrag an und erklärte sofort, er werde den Proceß nicht als einen politischen, sondern als einen gewöhnlichen Criminalproceß behandeln. Diesen Grundsatz befolgte der Vorsitzende des Schwurgerichts während des ganzen Laufes der Verhandlungen, und dieser strengen Befolgung ist es zu danken, daß das schändliche Bubenstück entlarvt wurde und daß auch die Staatsbehörde sich gezwungen sah, ihre Verfolgung gegen den hochgeachteten Führer der demokratischen Partei aufzugeben. Es kann nicht die Aufgabe dieses Aufsatzes sein, ein detaillirtes Bild des Waldecks’chen Processes aufzurollen, der allerdings noch seines getreuen Berichterstatters harrt. Für den Zweck dieses Charakterbildes wird es genügen, die Hauptzüge desselben in’s Gedächtniß zurückzurufen um darzuthun, welch’ hohe Verdienste der Vorsitzende des Schwurgerichts durch seine klare und lichtvolle Leitung der Verhandlungen, durch seine mannhafte und unerschrockene Haltung um die Enthüllung der Wahrheit und um den Triumph des Rechts sich erworben hat. Wir verweisen übrigens auf den stenographischen Bericht, der unter dem Titel „Der Waldeck’sche Proceß“ in Berlin erschienen ist.

Die Anklage baute, um gegen Waldeck den Beweis der Mitwisserschaft eines hochverrätherischen Unternehmens zu führen, auf den Ereignissen des Jahres 1848 und den Aufständen, welche die Ablehnung der Kaiserkrone im darauf folgenden Jahre in den verschiedenen Gegenden Deutschlands herbeigeführt hatte, einen revolutionären Hintergrund auf, der in Verbindung mit der parlamentarischen Thätigkeit Waldeck’s zunächst darthun sollte, daß ein hochverrätherisches Unternehmen in dem Sinne der Anklage existire, daß der Abgeordnete D’Ester an demselben beteiligt gewesen sei und daß Waldeck’s politische Thätigkeit ihn als einen solchen Mann darstelle, der von diesem hochverrätherischen Unternehmen wohl Kenntniß gehabt haben könnte. Den speciellen Beweis für das Verbrechen sollte ein angeblicher Brief liefern, welcher von D’Ester an den Handlungsdiener Ohm gerichtet und bei demselben unter verdächtigen Umständen bei seiner Verhaftung am 16. Mai 1849 gefunden sein sollte. Ohm war am Tage seiner Verhaftung zu dem Polizei-Präsidenten von Hinckeldey geführt worden und dort mit dem Postsecretär a. D. Gödsche zusammengekommen. Durch eine Hinterthür in der Wohnung des Polizei-Präsidenten war Ohm auf eine unerklärliche Weise entwichen und nach Hamburg geflohen. Auf Requisition des Untersuchungsrichters wurde Ohm später verhaftet und, da er sich im Gefängniß auf’s Leugnen verlegte, die Anklage des Hochverraths auch gegen ihn erhoben. Die Beweise für eine Anklage gegen Waldeck waren indeß so schwach, daß er nicht einmal, wie die Kreuzzeitung gefordert, vor das Kriegsgericht gestellt werden konnte, welches am 15. März eingesetzt worden war. Der Verlauf der Beweisaufnahme ergab folgende Hauptresultate, die wir kurz registriren wollen:

Daß ein hochverrätherisches Unternehmen zur gewaltsamen Einführung der Republik in Deutschland überhaupt nicht bestanden hat; daß Waldeck’s politische Wirksamkeit lediglich auf Herstellung einer aufrichtig gehandhabten, demokratisch-constitutionellen Monarchie gerichtet war; daß der Angeklagte Ohm ein Spion sei, der sich in demokratische Kreise geschlichen, um gewisse reactionäre Blätter mit Enthüllungen über angebliche Umsturzpläne der europäischen Revolutionspartei zu versorgen; daß dieselben Enthüllungen dem Polizeipräsidenten von Hinckeldey und dem Minister von Manteuffel übermittelt wurden und sogar dazu gedient hatten, in der aufgelösten Zweiten Kammer das rothe Gespenst an die Wand zu malen, um den über Berlin verhängten Belagerungszustand zu rechtfertigen; daß endlich das Hauptfundament der Anklage, der bei Ohm gefundene Brief D’Ester’s, gefälscht, und zwar durch Ohm gefälscht war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_102.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)