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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Es bedurfte am Ende der Verhandlungen kaum der glänzenden Rede des Vertheidigers Dorn und des übersichtlichen objectiven Resumés des Vorsitzenden, um die Geschworenen zu veranlassen, das auch von dem Staatsanwalt beantragte „Nichtschuldig“ über Waldeck auszusprechen. Auch Ohm, der in der öffentlichen Verhandlung aus seiner demokratischen Märtyrerrolle herausgefallen war, mußte freigesprochen werden, wurde aber auf Antrag des Staatsanwalts festgehalten, da sich derselbe vorbehielt, gegen denselben die Anklage wegen einer wissentlich falschen Denunciation zu erheben. Diese Anklage ist freilich niemals erhoben worden.

Während der ganzen Dauer der Verhandlung hat Taddel die Mannhaftigkeit und Unerschrockenheit des alten pflichttreuen Richters auf das Glänzendste bewährt. Bereits nach der Eröffnung der ersten Sitzung nahm Taddel Gelegenheit, der Staatsbehörde gegenüber die Unabhängigkeit des Richters zu erproben. Er führte einen Beschluß des Gerichtshofes herbei, welcher die Forderung der Staatsanwaltschaft zurückwies, durch zwei Personen vertreten zu sein. Zu gleicher Zeit aber legte der Gerichtshof Protest gegen die Art und Weise ein, wie die Staatsanwaltschaft ihr Verlangen geltend gemacht habe.

In der zweiten Sitzung schritt Taddel zur Vernehmung des Polizei-Präsidenten von Hinckeldey, welche vollständiges Licht über das unerklärliche Verschwinden Ohm’s aus der Wohnung des Polizei-Präsidenten verbreitete. Im Vollbewußtsein seiner hohen Stellung trat der damalige Pascha von Berlin vor den Gerichtshof mit der laut und brüsk herausgestoßenen Frage: „Was steht zu Ihren Diensten?“ Ohne im Geringsten seine bisher behauptete ruhige Haltung zu verändern, antwortete Taddel im Tone einfacher Zurückweisung: „Es scheint mir, daß ich als Vorsitzender des Gerichts die Ansprache habe und nicht Sie als Zeuge.“

Der Vorsitzende richtete an den Zeugen die üblichen Generalfragen einzeln, ohne sich mit einer allgemeinen Verneinung derselben zu begnügen. Das scharfe Verhör, die genau zugesetzten Fragen, welche Taddel an die Zeugen richtete und die jede ausweichende Antwort im Voraus abschnitten, setzten den Polizei-Präsidenten in Verlegenheit, die er unter einem übermüthigen Benehmen, durch starke Erhebung seiner Stimme verbergen zu können glaubte. Als er aber, in Eifer geraten, wiederholt auf den Gerichtstisch pochte, da machte ihn der Vorsitzende darauf aufmerksam, daß er vor Gericht stehe und, wenn auch ein hoher Beamter, sich in diesem Augenblicke wie jeder andere Privatmann als Zeuge betragen müsse. Und auf die Entgegnung des Polizei-Präsidenten, daß er das vollkommen anerkenne, fuhr der Vorsitzende des Gerichts in würdevollem Tone fort: „Sie klopfen auf den Tisch und sprechen mit Heftigkeit. Das schickt sich nicht.“ So hatte noch Niemand mit dem gewaltigen Polizei-General-Director zu sprechen gewagt.

Zu dem Triumph der glänzend gerechtfertigten Demokratie gesellte sich der wiederaufgelebte Ruhm der preußischen Justiz, deren Unparteilichkeit und Unbeugsamkeit in der Person Taddel’s einen ausgezeichneten Sieg davongetragen hatte. Am Tage nach der Freisprechung Waldeck’s erschien bei Taddel eine Deputation von Bürgern seines Bezirks, um ihm für sein männliches Verhalten den Dank des Volkes abzustatten. Würdevoll wies der ehrwürdige Greis indessen diesen Dank zurück, indem er folgende Worte an seine Mitbürger richtete. „Ich habe nichts gethan, was nicht jeder preußische Richter an meiner Stelle gethan und hätte thun müssen; ich habe nur meine Pflicht erfüllt. Das aber darf ich Ihnen nicht verhehlen, daß ich seit gestern Vielen, die ich für meine Gegner, die ich für Schwarzseher und böswillige Feinde der Regierung gehalten, bedeutend näher gerückt bin, daß ich eingesehen habe, wie Vieles von dem wahr ist, was mir bisher Verleumdung schien. Ich habe erkannt, daß es eine Partei giebt, die vor keinem Mittel zurückschreckt, um ihren Zweck zu erreichen; ich habe in einen Abgrund geblickt, von dessen Tiefe ich keine Ahnung gehabt habe.“

Von diesem Tage an datirte ein Umschwung in Taddel’s Anschauungen, der um so größer sein mußte, je größer der Irrthum war, in dem er sich bis dahin über die Bestrebungen der freisinnigen Partei befunden hatte. Der Richter Waldeck’s wurde von da sein Freund und Gesinnungsgenosse.

Nur wenige Tage senkte die damalige Reactionspartei beschämt ihr Haupt. Bald aber erhob sie es wieder, maßloser als früher und spritzte ihren Geifer aus gegen Waldeck, gegen die Demokratie, gegen den Gerichtshof, gegen die Geschworenen. Wohl hätte sie es gern gesehen, wenn Taddel zur Verantwortung gezogen worden wäre, aber noch war die Zeit nicht gekommen, wo man Richter wegen der gewissenhaften Erfüllung ihrer Pflicht bestrafen konnte. Der Justizminister begnügte sich damit, Taddel wegen seines Conflicts mit der Staatsanwaltschaft Vorhaltungen machen zu lassen, auf welche jener einfach erwiderte, man möge ihn zur Disciplinaruntersuchung ziehen, wenn man glaube, daß er seine Pflicht verletzt habe. 1858 wurde Taddel in der Priegnitz in das neue Abgeordnetenhaus gewählt, wo er sich der unter Georg von Vincke organisirten liberalen Fraction anschloß. Es ist bemerkenswerth und bezeichnend für den Mann, daß Taddel zum ersten Mal das Wort ergriff, um für die Unabhängigkeit des Richterstandes ein- und dem gefährlichen ministeriellen Belieben entgegenzutreten, einen nach Ansicht des Justizministers dienstwidrigen Verhaltens schuldigen Richter, anstatt denselben vor das Disciplinargericht zu stellen, durch einen Gehaltverlust zu strafen. Sonst trat der hochbetagte Mann wenig in den Vordergrund des parlamentarischen Lebens; wenn er aber die Tribüne bestieg, dann sprach er klar und schlicht seine Meinung aus.

Eine Zurücksetzung erfuhr der siebenzigjährige Greis, als er am 24. April 1857 sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum beging. Es ist in Preußen üblich, daß bei dieser Gelegenheit der Jubilar von Seiten der Staatsregierung eine Auszeichnung erhält, die in diesem Falle einen der Würdigsten getroffen hätte. Auf einen sehr charakteristischen Bericht des Präsidenten des Kammergerichts an den Justizminister unterblieb jedoch diese Auszeichnung, obgleich in dem Berichte selbst anerkannt ist, daß Taddel „ein rechtschaffener Mann sei, der jederzeit nur Recht und Wahrheit zur Geltung zu bringen gesucht habe.“ Als Motiv für die Vorenthaltung der Auszeichnung wird sein „schroffes, mitunter rücksichtsloses und abstoßendes Wesen“ angeführt. Wer aber Taddel genau gekannt hat, wird wissen, daß der liebenswürdige Greis in den Kreisen seiner Genossen und Freunde an Beliebtheit sich mit Jedem messen konnte und daß er bereit war, jedem seiner Mitbürger zu jeder Zeit Dienste zu leisten.

Der damalige Justizminister nahm von dem Ehrentage keine Notiz, welchen der älteste Rath des Kammergerichts im Schooße seiner Familie beging. Taddel hatte jedes von seinen Kollegen ihm etwa zugedachte Ehrengeschenk im Voraus abgelehnt, und die Mitglieder des Kammergerichts mußten sich daher begnügen, ihm durch ein Schreiben ihre Wünsche darzubringen. Auch viele Rechtsanwalte des Stadt- und Kammergerichts sprachen in einer Zuschrift dem Jubilar ihre Theilnahme aus, um dadurch die Freundlichkeit und Mühe zu würdigen, mit welcher er als Vorsitzender des Civilsenats ihren Wünschen in Anordnung der Termine und sonst in jeder Weise entgegenzukommen pflegte.

Im Jahre 1861 kam Taddel, der inzwischen das fünfundsiebenzigste Lebensjahr erreicht hatte, um seine Pensionirung ein, die ihm jetzt unter Verleihung des Rothen Adler-Ordens zweiter Classe gewährt wurde. Mit dem stolzen und erhebenden Bewußtsein, vierundfünfzig Jahre dem Dienste des Staates und des Volkes in treuester Pflichterfüllung gewidmet zu haben, zog sich Taddel in das Privatleben zurück und starb, im dreiundachtzigsten Jahre, am 20. November des letzten Jahres.

Wir können unsere Skizze nicht besser schließen, als mit den schönen, warm empfundenen Worten, mit denen bei der neulichen Gedächtnißfeier für Taddel Schulze-Delitzsch seine Rede beendet hat: „Die Dinge gehen rasch in unseren Tagen, und es sind Viele unter uns, welche die Erfüllung dessen schauen mögen, um das der Vollendete mit uns kämpfte. Dann wird die Zeit gekommen sein, wo ein dankbares Volk in anderer Weise seiner gedenkt. Wir aber, denen es noch vergönnt ist, die Hand am Werke zu haben, wir mögen dem Verstorbenen kein schöneres Denkmal bauen, als durch rastloses Fortarbeiten an dem preußischen Verfassungs- und Rechtsstaate.“




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_103.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)