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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Lectüre der Vedas vertieften Herrn den Turban und kletterte damit auf’s Dach hinauf, und einmal sogar, als Dhruva und der Hausherr sich anschickten, zu ihren Abwaschungen geweihtes Gangeswasser aus der Messingtonne zu schöpfen, welche der Sonderling, wohl versiegelt und mit dem Echtheitszeugniß eines Brahmanen versehen, aus Indien hatte bringen lassen, fanden sie den Affen darin, ein Morgenbad nehmend.

Schapenham las indeß tagtäglich mit seinem Lehrer in der besonders als Brahmanenwohnung erbauten Pagode die heiligen Bücher, brachte Wischnu die vier vorgeschriebenen Opfer dar und vollzog die gebotenen Abwaschungen. Dies einförmige Leben hätte wohl immerfort gedauert, wäre nicht eines Tages ein Gast in der Villa Schapenham zugelassen worden. Dies war Marius Deepenblad, Doctor der Philosophie und Neffe des Herrn Pastors in Broek. Der jugendliche Schlaukopf brachte ein glattes, blondlockiges Milchgesicht und eine angeblich unwiderstehliche Monomanie für die asiatischen Religionen mit, die ihm rasch die Zuneigung des Brahmanen erwarb, während Schapenham selbst, binnen Kurzem die Unwissenheit des verkappten Orientalisten und dessen minder verkappte Absichten auf Diava durchblickend, den Doctor bald mit sichtlicher Kälte behandelte. Deepenblad, der allsogleich Dhruva’s Einfluß im Hause erkannt hatte, bat den Brahmanen ihn in den heiligen Büchern zu unterweisen. Bald erschien der speculative Novize tagtäglich im „Brahmanenhause“. Diava bekam viel zu lachen über die wunderlichen Verstöße und Uebertretungen des angehenden Brahmanenjünglings, den sie im Uebrigen als neues Element in ihrem orientalischen Einerlei leidlich gerne sah. Dhruva hielt große Stücke auf seinen neuen Schüler, welcher dem auf seine Manie und den Umgang des Brahmanen eifersüchtigen Schapenham als Nebenbuhler von Herzen zuwider war. So standen die Dinge, als plötzlich ein Fremder im „Brahmanenhause“ erschien. Es war ein stattlicher Mann von etwa vierzig Jahren mit einem interessanten Kopfe und vornehmen Manieren. Der Fremdling, der einen Empfehlungsbrief von Lord Chelsea vorzeigte, hatte kaum seinen Namen genannt, als Dirk in seine Arme stürzte.

„Elisha Tavor, mein Lebensretter!“

„Sie erinnern sich noch meiner, Sir?“ rief der Fremde, „es sind wohl siebenzehn Jahre her …“

„Als Sie mich auf meiner Reise nach Maissur aus den Würgerhänden einer Thugbande, jener furchtbaren Mörder,[1] retteten, die mich schon halb erdrosselt hatten.“

„Ich war damals ein blutjunger Offieier,“ lächelte der Brite …

Tavor installierte sich auf ein paar Tage in der Villa. Bei Tisch wurde er dem Brahmanen vorgestellt. Seltsam! Als Tavor, der als Anglo-Indier seinen brahmanischen Höflichkeitscodex von Grund aus weg hatte, den heiligen Mann mit dem Brahmanen gegenüber üblichen Gruße: „Mögest Du lange leben, o würdiger Mann“, begrüßte, verlor Dhruva sichtlich die Fassung und blieb dem Gaste die Antwort schuldig.

Während der Mahlzeit, welche die beiden Fanatiker der Vorschrift gemäß schweigend und gegen Morgen gekehrt hinabschlangen, beobachtete Tavor den Brahmanen so aufmerksam, daß er sich dadurch mehrere ironische Bemerkungen Diava’s zuzog. Am Abende, als sich der Brite auf Diava’s Bitten anschickte, die Geschichte von der wunderbaren Rettung ihres Vaters aus den Krallen der Thugs zu erzählen, zog sich der Brahmane in seine Pagode zurück. Niemand, außer Tavor, achtete auf diesen Umstand.

Warum doch verflossen drei Mouate, ohne daß Tavor daran dachte dem „Brahmanenhause“ Lebewohl zu sagen? … Diava fragte sich selbst, warum, und das Kinderlachen erstarb auf ihren Lippen … Tage lang saß sie träumend … Welch’ neue Welt erblühte doch in ihrer Brust! … Der glattwangige Liebling Dhruva’s erkennend, daß Diava nicht von ihm träumte, hatte dem Unterricht seines Brahmanenlehrers, seiner hoffnungslosen Speculation auf das Millionärskind und der ganzen „Narrenvilla“, wie er sich ausdrückte, bald den Rücken gekehrt.

Schapenham war glücklich, seinen Lebensretter bei sich zu haben, und bemerkte insbesondere mit Vergnügen, daß Diava im dunkelblauen Auge des Anglo-Indiers mehr Geheimnisse zu lesen schien, als alle heiligen Bücher Indiens enthalten. Dhruva allein, von seinem Freunde und Diava etwas vernachlässigt, grollte dem Fremdling und entzog sich soviel als möglich dessen forschenden Blicken.

Da eines Tages belauschte Diava ein Gespräch zwischen Dhruva und ihrem Vater in der Pagode. Es war von ihrer Verbindung mit Elisha Tavor die Rede. Der Brahmane zeigte sich als der erbittertste Gegner dieser Heiralh und beschwor seinen Freund und Schüler auf den Knieen, Diava nicht einem Manne, den er haßte, zum Weibe zu geben. Das Mädchen konnte das außerordentliche Interesse, welches der Brahmane an ihrer Verheirathung zu nehmen schien, durchaus nicht begreifen.

Von dieser Stunde aber zeigte sie sich kälter gegen den Brahmanen, dem diese Aenderung tiefen Kummer zu verursachen schien. Die Scene in der Pagode hatte Diava dem Mann ihres Herzens mitgetheilt. Kurze Zeit darauf, des Nachts, lag Dhruva in tiefem Schlafe, da flüsterte ihm eine Stimme in´s Ohr: „Sarpa!“ Der Brahmane fuhr auf … Tavor stand vor ihm. Der Brite deutete stumm auf die nackte Brust des Indiers, wo eine blaue Schlange gemalt stand. „Sarpa“ heißt „Schlange“. Dhruva schloß blitzschnell sein Kleid, das Tavor ihm während des Schlafes geöffnet hatte, um ein geheimnißvolles Zeichen zu finden, welches seine Vermuthungen über die Person des Brahmanen bestätigen sollte. Dies Zeichen hatte er nun gefunden.

„Dhruva,“ sprach er langsam, „furchtbarer Würgengel, Haupt der Thugs, Deine Stunde ist gekommen!“

Der Brahmane starrte den Briten mit wilden Blicken an.

Tavor fuhr fort.

„Du hast längst den Sipoyofficier erkannt, der Deine Bande an den Ufern des Kaveri vernichtet. Du allein entkamst damals, heute bin ich da, um Dich den Schergen meines Königs zu übergeben.“ …

„Das heilige Gesetz verbietet Deinem Könige einen Brahmanen zu tödten,“ sprach Dhruva dumpf …

Der Engländer stieß ein spöttisches Lachen aus. „Hast Du vergessen, daß General Moore an einem Tage fünf gefangene Brahmanen aus einer Thugbande zu Seringapatam hinrichten ließ?“

Dhruva sank auf sein Lager zurück.

„Der Wille Brahma’s geschehe!“

„Nimm dies Gold hier, verlasse dies Haus, schwöre mir auf die heilige Welle des Ganges, nie mehr wiederzukehren, und Du bist frei!“

„Dies Haus verlassen?“ schrie der Brahmane in wildem Schmerze; „niemals!“

„Schwöre!“ drohte Tavor.

Der Brahmane umfaßte schluchzend die Kniee des Briten:

„Stoße mich nicht von dieser Schwelle, tödte mich lieber!“

„Ich gebe Dir Bedenkzeit bis morgen früh,“ schloß Tavor, die Pagode verlassend, indeß der Indier sich wie ein zerhauener Wurm auf seinem Lager wand.

Welch’ geheimnisvolle Bande mochten den früheren Thughäuptling an dies Haus fesseln? Das war das Geheimniß des Brahmanen, der trotzdem am kommenden Morgen verschwunden war. –

Von dem räthselhaften Verschwinden Dhruva’s, worüber sich alle Bewohner der Villa, Schapenham insbesondere, vergeblich den Kopf zerbrachen, datirte ein neues Leben für das indische Haus, aus dessen Mauern mit dem Brahmanen der fremdartige Geist entwichen schien. Mynheer Dirk wurde zugänglicher für seine Landsleute und legte in Gesellschaft selbst sein Brahmanengewand ab. Diava’s Glück verjüngte den sonderbaren alten Mann. Die Hochzeit beider Liebenden wurde auf den Geburtstag der Braut in sechs Mouaten festgesetzt, da der Bräutigam sich wichtige Familienpapiere aus Calcutta zu verschaffen hatte. Diava fand zwar die Zeit unendlich lange, indeß am Ende kam doch der Tag des „Beglückwünschungsfestes“, der in Holland jeder Heirath um eine Woche voranzugehen pflegt.

Tavor hatte Abends vorher ein Kistchen erhalten, welches den Poststempel „Madras“ trug. Er fand darin ein wundervolles Bouquet von den seltensten, farbenprächtigsten Blumen Indiens. Obwohl dem duftigen Geschenke nicht die geringste Angabe über

den Spender beigegeben war, so zweifelte er dennoch keinen Augenblick daran, daß die Blumen ein Hochzeitsselam seines in Madras

  1. Die Thugs sind bekanntlich eine seit jahrhunderten in Ostindien verbreitete furchtbare Secte, deren Cultus der Raubmord ist, den sie durch Erdrosselung ihres erkorenen Opfers zu vollziehen pflegen. Sie weihen ihrem Gotte Menschen, etwa wie der Priester der Gottheit ein Thier zum Opfer schlachtet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_122.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)