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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Wagen ginge über uns hinweg, oder eine schwarze gespenstige Gestalt, ein wüster Kobold löse sich von der Zimmerdecke ab und senke sich uns langsam auf die Brust. Häufig wird auch an Stelle dessen eine große Angst oder ein plötzlicher Schreck vom Traume fingirt, weil uns derartige Alterationen ebenfalls den Athem zu versetzen pflegen. Wir träumen dann zum Beispiel, wir würden von Räubern angegriffen und wollten uns durch Entfliehen retten, allein die Füße versagen uns den Dienst – wir bleiben wie angewurzelt an dem Boden fest haften. Wir wollen, von größter Angst gefoltert, um Hülfe rufen, aber wir können zu unserem Entsetzen keinen Laut hervorbringen – bis dann endlich nach langer vergeblicher Anstrengung sich der bestehende Krampf der Athmungsmuskeln löst und wir oft mit einem Schrei erwachen.

In ähnlicher Weise erklärt sich der wohl Jedem bekannte Traum des Herabfallens aus großer Höhe. Er kommt hauptsächlich während des Einschlafens vor und beruht darauf, daß die beim Einschlafen allmählich erschlaffenden Muskeln durch einen momentan entstandenen Reiz sich plötzlich wieder zusammenziehen und in Folge dessen ein Zusammenrucken des Körpers veranlassen, wie solches etwa bei einem Falle aus großer Höhe vorkommt. Etwas verschieden davon ist der ebenfalls häufige Traum des Fliegens. Er beruht nach Scherner auf einem zum Bewußtsein kommenden Gefühle unserer Lungenthätigkeit. Das Auf- und Niederbewegen der Lungenflügel beim Athmen soll die genannte Empfindung erzeugen. So giebt es noch eine große Reihe von körperlichen Zuständen, die, wenn sie im Schlafe uns halb zum Bewußtsein kommen, nach den Gesetzen der Ideenassociation ganz bestimmte Traumvorstellungen in uns erwecken. Auch den Gemüthsbewegungen schreibt man einen bestimmenden Eindruck auf die Art unserer Träume zu. „Große Freude erzeugt andere Träume als schweres Leiden, leidenschaftliche Liebe andere als Haß, heftige Reue und Gewissensbisse.“

Wenn man sich daran gewöhnt, auf seine Träume aufmerksam zu achten, so findet man leicht die Bestätigung der eben ausgesprochenen Gesetze. Man wird dabei aber auch bemerken, daß es äußerst schwierig ist, einen Traum richtig und unverfälscht im Gedächtniß zu reproduciren. Das hat seinen doppelten Grund. Endlich sind die Traumbilder in den bei Weitem häufigsten Fällen so unklar und blaß und in ihren Einzelheiten so unbestimmt, daß wir unwillkürlich bei dem Bestreben, sie in unser Gedächtniß zurückzurufen, den Farbenkasten unserer wachen Vorstellungskraft zu Hülfe nehmen und damit den Bildern bestimmtere Färbung und Umrisse geben. Der zweite Grund beruht in dem dem menschlichen Geist innewohnenden Bestreben, Alles im logischen Zusammenhange zu erblicken. Da nun unsere Träume aus einer Reihe von Bildern bestehen, die nur durch das oft sehr lockere Bindemittel der Ideenassociation zusammenhängen, so bringen wir bei der Reproduction derselben im wachen Zustande meist ganz unwillkürlich erst einen logischen und dem realen Leben entsprechenden Zusammenhang hinein, der ursprünglich gar nicht darin war.

Während der Zeit des tiefsten Schlafes ist die Function des Gehirns eine so schwache, daß wir davon gar keine Erinnerung behalten und deshalb den festen Schlaf einen traumlosen nennen. Zuweilen wissen wir wohl, daß wir geträumt haben, aber wir können uns trotz aller Anstrengung auch nicht die Spur des gehabten Traumes in’s Gedächtniß zurückrufen. Erst kurz vor dem Erwachen, wo der in den Blutkörperchen aufgespeicherte Sauerstoff wieder anfängt, den Stoffwechsel im Gehirn energischer in Gang zu bringen, werden die Träume lebhafter und zusammenhängender und haften deshalb auch leichter im Gedächtniß. Sehr selten sind die Fälle, in denen die Lebhaftigkeit des Traumes eine so große ist, daß wir ihn nach dem Erwachen von wirklich Erlebtem nicht zu unterscheiden vermögen. Einer unserer berühmtesten, noch lebenden Irrenärzte, Professor Jessen in Hornheim bei Kiel, erzählt mit folgenden Worten ein dazugehöriges Beispiel:

„An einem Wintermorgen zwischen fünf und sechs Uhr wurde ich, wie ich glaubte, durch den Oberwärter geweckt, welcher mir meldete, daß Leute da seien, um einen Kranken abzuholen, indem er zugleich vorfragte, ob dabei etwas zu erinnern sei. Ich antwortete, daß er den Kranken nur abreisen lassen könne, und legte mich nach seinem Weggehen wieder zurecht, um fortzuschlafen. Mit einem Male fiel mir aber ein, daß ich von der Abholung dieses Kranken vorher gar nichts erfahren, sondern daß mir die bevorstehende Abholung einer Frau desselben Namens angezeigt worden sei. Ich war also genöthigt, mich nach den Umständen näher zu erkundigen, zündete ein Licht an, stand auf, kleidete mich an und ging nach der Wohnung des Oberwärters. Diesen fand ich zu meinem Erstaunen erst halb angekleidet, und auf meine Frage, wo die Leute seien, die den Kranken holen wollten, antwortete er mit verwunderter Miene: ‚er wisse davon nichts, er komme eben erst aus dem Bette, und bei ihm sei Niemand gewesen.‘ Diese Antwort brachte mich nicht zur Besinnung, sondern ich erwiderte, dann müsse der Oekonom bei mir gewesen sein und ich wolle zu ihm gehen, um Erkundigungen einzuziehen. Als ich in der Mitte des Corridors, welcher zu der Wohnung des Oekonomen führte, einige Stufen hinabstieg, fiel mir mit einem Male ein, daß ich die Sache nur geträumt, an deren Wirklichkeit ich bis zu demselben Augenblick nicht im Mindesten gezweifelt hatte.“

Dieses Beispiel ist besonders dadurch auffällig, daß längere Zeit nach dem Erwachen, nachdem der Träumende sich durch das Ankleiden und den Gang zum Oberwärter doch vollständig ermuntert hatte, doch noch die Täuschung, welche das Traumbild für Wirklichkeit hielt, andauerte und dann plötzlich ohne besondere Veranlassung verschwand.

Verhältnißmäßig häufiger sind die Fälle, wo das Erwachen kein vollständiges ist, aber doch hinreicht, um auf das für Wirklichkeit genommene Traumbild in entsprechender Weise zu reagiren. Es werden Beispiele erzählt, wo Leute im halbwachen Zustande, durch ein erschreckendes Traumbild getäuscht, Gewaltthätigkeiten verübt haben, für die sie natürlich nicht verantwortlich waren.

Ein interessantes Beispiel von einem während der Schlaftrunkenheit begangenen Vergehen gegen die Subordination theilt Büchner in Henke’s Zeitschrift für gerichtliche Medicin mit.

„Christian Jünger, Gardist, zweiundzwanzig Jahr alt, seit drei Jahren Soldat, von der besten Aufführung und stillem ruhigen Charakter, schlief auf einer Pritsche in der Wachtstube, Mittags vor zwölf Uhr, als der Corporal ihn zu erwecken versuchte, um ihn die Stube kehren zu lassen. Jünger erhob sich, packte den Corporal, ohne etwas zu sprechen, an der Brust, zog seinen Säbel und hieb auf ihn ein, doch gelang es diesem, mit dem seinigen den Hieb zu pariren. Da Jünger fortfuhr um sich zu hauen, wurde er von den anwesenden Soldaten entwaffnet und arretirt. Er setzte sich lautlos und ruhig auf die Pritsche. Jünger hatte am vorausgehenden Tage und am Morgen der That bei kalter Witterung Posten gestanden, die Nacht durch Karten gespielt, nur wenig getrunken und war Morgens vor Müdigkeit in der heißen Wachtstube eingeschlafen. Bei der Untersuchung ergab sich, daß er geträumt hatte, er stehe auf Posten, ein Kerl packe ihn am Haar und nehme ihm sein Gewehr, worauf er seinen Säbel gezogen und auf ihn eingehauen habe. Von dem, was wirklich passirt war, wußte er nichts. Er konnte nicht begreifen, daß er, der auf Subordination so streng hielt, so etwas gegen seinen Vorgesetzten sich habe zu Schulden kommen lassen. Das ärztliche Gutachten nahm einen Zustand der Schlaftrunkenheit an, worauf die Freisprechung erfolgte.“

Zur Erklärung derartiger Fälle ließe sich etwa Folgendes sagen. Durch Strapazen irgend welcher Art, wie hier durch Postenstehen und darauf folgende Uebermüdung, ist der Sauerstoffmangel des Organismus bis zu einer abnormen Höhe gekommen und das in dem kurzen Schlafe aufgenommene Quantum reicht noch nicht hin, um das Gehirn zu seiner vollen Thätigkeit zu vermögen. Der überschüssige Sauerstoff wird zu der weniger verbrauchenden, gewissermaßen niedrigeren Thätigkeit des Willenimpulses gebraucht, so daß die freie Ueberlegung und das willkürliche Denken noch nicht erwachen können. Wir sehen das ja auch oft bestätigt, wenn wir Jemand aus tiefem Schlafe zu erwecken suchen. Noch ehe wir ihn völlig zum Bewußtsein kommen sehen, wirft er sich im Bett umher, streckt die Arme und Glieder etc., bis endlich das freie Denken wieder die Herrschaft über das Gehirn gewinnt und somit das volle Bewußtsein zurückkehrt.

Aber auch die umgekehrte Erscheinung sehen wir bisweilen auftreten, indem wir, wie schon Aristoteles bemerkt, manchmal im Stande sind, während des Schlafes den Traum als Traum anzuerkennen. Eine interessante Selbstbeobachtung der Art theilt der Engländer Beattie in folgenden Worten mit: „Mir träumte einst, daß ich auf der Brustwehr

einer sehr hohen Brücke umherginge. Weshalb ich dahin gekommen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_138.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)