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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


konnte ich nicht einsehen, da ich aber erwog, daß ich nie zu solchen Handlungen geneigt gewesen, so fing ich an zu denken, daß ich vielleicht nur träume. Da ich nun von dieser beunruhigenden und quälenden Vorstellung befreit zu werden wünschte, stürzte ich mich hinab, in der Erwartung, durch diesen Fall meine Sinne wieder zu erlangen, was auch geschah.“ Bei diesem Beispiel ging der Traum dem Erwachen kurz vorher; es hatte also offenbar die Sauerstoffaufspeicherung schon eine solche Höhe erreicht, daß die Organe der freien Denkthätigkeit in beschränkter Weise functioniren konnten, während aber doch theilweise noch die traumhafte Ideenassociation fortdauerte.

Ganz dasselbe findet bei der gewiß Jedem bekannten Erscheinung statt, wo wir kurz vor dem völligen Erwachen einen angenehmen Traum aus freier Willkür fortzuspinnen suchen. Auch hier ist unser Denkorgan schon völlig functionsfähig, wir sind aber noch im Stande, es eine kurze Zeit lang auszuschalten und die im wirklichen Traume begonnene phantastische Ideenassociation weiter wirken zu lassen. Hat aber einmal erst die freie Denkthätigkeit in dies Spiel der Phantasie willkürlich eingegriffen, dann ist’s auch mit dem Traume vorbei und wir sind unwiderruflich erwacht.

Das Erwachen tritt ein, erstlich, wenn die Sauerstoffaufspeicherung ihren höchsten Grad erreicht hat und der Stoffwechsel dadurch wieder in vollen Gang kommt. Aber auch vorher ist ein Erwachen, wie ja allbekannt, durch äußere Einwirkungen möglich. Starke Reize, die unsere Nerven entweder des Gehörs, des Gefühls oder auch des Gesichts treffen, versetzen durch Fortpflanzung der Erregung das Gehirn in einen Reizungszustand, welcher ein stärkeres Zuströmen von Blut und in Folge dessen eine Vermehrung des Stoffwechsels im Gehirn bewirkt, die nach Erreichung eines gewissen Grades das völlige Erwachen zu Stande bringt. Der Schlaf erfordert, wie schon oben angedeutet, eine nur geringe Füllung der arteriellen Blutgefäße. Alles, was eine stärkere Blutzuströmung zu dem Gehirn zur Folge hat, stört den Schlaf und verhindert auch das Einschlafen. Daher verscheuchen alle Leidenschaften und Gemüthsbewegungen, vieles Nachdenken, körperliche und geistige Aufregungen und überhaupt alle Mittel, die das Blut nach dem Kopfe treiben (uns einen heißen Kopf machen), den Schlaf, während umgekehrt Alles, was das Blut aus dem Gehirn treibt oder die Blutgefäße in demselben verengert, Schlaf hervorbringt. So wirken kalte Umschläge auf die Stirn in dieser Beziehung günstig: denn die Kälte verursacht eine Zusammenziehung der Blutgefäße.

Ebenso muß man sich auch die Wirkungskreise der sogenannten schlafmachenden Arzneimittel, d. h. besonders des Opiums und seiner Alkaloide (unter denen das Morphium und Narcein den ersten Rang einnehmen), denken. Durch Experimente ist man mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Schluß gekommen, daß das Opium eine zusammenziehende Wirkung auf die Gehirngefäße äußert, also das Blut aus dem Gehirn heraustreibt. Durch alle dergleichen Mittel kann man aber nur bewirken, daß weniger Sauerstoff im Gehirn verbraucht wird, nicht aber, daß auch gleichzeitig mehr Sauerstoff aufgenommmen und ist den Blutkörperchen aufgespeichert wird. Indeß gerade in den Zuständen, wo man seine Zuflucht zu jenen Schlafmitteln nehmen muß, ist, wie Pettenkofer’s Versuche für einzelne Krankheiten festgestellt haben, die Fähigkeit der Blutkörperchen, Sauerstoff in sich aufzuspeichern, verringert. Und daher kommt es, daß ein durch Opiate erzielter Schlaf unter den genannten Bedingungen nie so erquickend und kräftigend ist. Unter gewöhnlichen gesunden Verhältnissen reicht aber schon die Abhaltung der oben genannten Schädlichkeiten hin, um den Schlaf herbeizuführen. Und zwar spielt dabei die Gewohnheit eine große Rolle. Wir warten für gewöhnlich nicht die äußerste Sauerstofferschöpfung des Organismus ab, sondern verfallen schon früher, dann, wenn dieselbe eine gewisse, durch Gewohnheit bestimmte Grenze erreicht hat, in Schlaf. Darum sind wir auch fähig, jeden Augenblick aus dem Schlafe erweckt zu werden. Es ist immer noch ein Reservefond von Sauerstoff da, der dann das Erwachen ermöglicht. In den Fällen, wo durch Ueberwachung der Sauerstoffmangel bis zu seiner äußersten Grenze gesteigert ist, wird der Schlaf ein so tiefer, daß wir erst nach einer gewissen Zeit aus demselben wieder erweckt werden können.

Die Abhaltung der Schädlichkeiten, die den Schlaf verhindern, liegt nicht immer in unserer Macht, da wir vor allen Dingen nur selten vollständig Herr unserer Aufregungen und Gemüthsbewegungen werden können. Es gehört dazu entweder eine gute Portion Phlegma oder auch ein ungewöhnlich starker Wille und enorme Selbstbeherrschung. So erzählt man besonders von Napoleon dem Ersten, daß er zu jeder Zeit schlafen konnte, wenn er wollte, selbst sogar während der Schlacht bei Leipzig. Er hatte also die Gabe, nicht nur seine Gefühle stets niederzukämpfen, sondern auch nach freiem Belieben mit Denken aufzuhören. Daß gerade auch das Letztere nicht so leicht ist, davon wird sich wohl jeder einmal überzeugt haben. Wenn uns ein Gedanke, ein Plan lebhaft beschäftigt, können wir nicht einschlafen, wir müssen dann unsere Gedanken abzulenken suchen, wir müssen an Dinge denken, die in keiner Weise unser Interesse erregen, wobei also unser Denken kein intensives und mithin der Stoffwechsel im Gehirn kein lebhafter sein kann. Mit einem Worte, wir müsten versuchen, uns zu langweilen. Es werden dazu die verschiedensten künstlichen Mittel angewendet. Da es aber nicht in meiner Absicht liegt, die Zahl derselben mit diesem Aufsatze zu vermehren, will ich hiermit abschließen in der Hoffnung, bei dem geneigten Leser einiges Interesse und Verständniß für die Erscheinungen des Schlaf- und Traumlebens erweckt zu haben.




Ein Tag in den Höhlen Westphalens.
Von Prof. Karl Vogt.

„Die neue Höhle an der Grüne bei Iserlohn müssen Sie sehen,“ sagte unser alter Freund, Professor Fuhlrott in Elberfeld, als wir in traulichem Gespäche mit ihm seine neu erworbenen Schätze musterten, denn die schon früher in seinem Besitz befindlichen, worunter der berühmte Schädel des wilden Urmenschen aus der Grotte des Neanderthals, waren uns schon seit früherer Zeit bekannt. „Sie wissen, wie reich unsere Gegend an Höhlen, Grotten und Spalten ist und welche Schätze schon daraus zu Tage gefördert worden sind – aber diese neue Höhle übertrifft an Schönheit der Tropfsteingebilde, an Zahl der Kammern und gewölbten Säle Alles, was bis jetzt noch entdeckt wurde, und darf sich in dieser Beziehung den bekanntesten und besuchtesten kühn an die Seite stellen. Die wunderbaren Formen der Tropfsteine, in welchen sogar eine kalte Phantasie alle erdenklichen Formen von Orgeln, Säulen, Sarkophagen, Vorhängen, und was weiß ich noch Alles finden kann, verdienen allein eine Reise dorthin und ich bin überzeugt, daß diese Höhle mit ihren ineinandergeschlungenen Gängen, Nischen und gewölbten Prachträumen bald ebenso ein Ziel der Touristen werden wird, wie die Adelsberger Grotten in Krain oder die Höhlen am Harz – um so mehr als ihre Befahrung durch die bergisch-märkische Eisenbahngesellschaft, der sie als Eigenthum angehört, durchaus gefahrlos gemacht worden ist und nirgends jene unangenehme Feuchtigkeit des Bodens oder jenes durchtropfende Wassergerinnsel sich zeigt, das den Besuch anderer Höhlen oft so lästig macht.“

„Sie ist neu entdeckt, sagen Sie? Auf welche Weise?“

„Wie eben Höhlen entdeckt werden,“ antwortete er, „die einen durch Jäger, denen ein Fuchs, Dachs oder ein Kaninchen entschlüpft, die anderen durch Buben, welche die Schule schwänzen und Beeren suchen, oder durch Arbeiter, die Steine sprengen. Alle diese Entdeckungsarten haben wir in unserem höhlenreichen Kalkzuge, der fast ununterbrochen sich von Erckrath bis über Iserlohn und Balve hinaus fortsetzt. Ich beschäftige mich eben mit einer Zusammenstellung unserer sämmtlichen Höhlen, Grotten und Spalten, der Geschichte ihrer Entdeckung, Erhaltung und leider auch Verwüstung und einer Beschreibung der sehenswürdigsten, mit ihrem Inhalte von Knochen und thierischen Resten, der oft an das Unglaubliche grenzt. Die älteste Nachricht von einer solchen Entdeckung in unserem Lande findet sich in der Lübeck’schen Chronik von Detmar aus dem Jahre 1477 (Ausgabe von Grautoff,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_139.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)