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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

2. Band, S. 401). In’s Hochdeutsche übersetzt heißt die Stelle folgendermaßen:

‚In demselben Jahre geschah in dem Lande Mark in Westphalen bei dem Städtchen Iserlohn ein gefährliches Abenteuer. Ein Jäger nämlich jagte da zwischen den Bergen und die Windhunde kamen auf die Spur eines Fuchses, der entlief ihnen in die Höhlung eines Berges, vor der ein übergroßer Stein lag; davor standen die Hunde und bellten. Der Jäger kam dazu, stieg vom Pferde und guckte in die kleine Oeffnung, da däuchte ihm, als ob in dem Berge was hauste. Deshalb brachte er wohl vierzig Mann zur Stelle, die mit großer Mühe den Stein von der Oeffnung brachten. Da war der Berg hohl in die Höhe und ebenso in die Länge. Darauf gingen sie hinein mit Fackeln und sahen da Todtengebeine von ungeheurer Größe liegen, Armknochen und Beinknochen, so dick wie der achte Theil einer Tonne, und einen Kopf so groß wie ein Scheffel. Sie konnten aber zu dem Ende der Höhle nicht gelangen, denn, als sie einen kleinen Steinwurf weit darin waren, gingen alle Fackeln und Lichter aus. Da dies der Herzog von Cleve hörte, gebot er bei Geldstrafe, es solle Niemand hineingehen, denn er vermuthete wahrscheinlich, einen Schatz an Geld darin zu finden.‘“

„Da haben wir ja,“ sagte ich, „die ganze Bescheerung, wie sie zusammengehört! Riesige Todtengebeine und Schädel, wahrscheinlich vom Höhlenbären, vom Mammuth und Nashorn, abergläubische Menschen, die das finden und sich davor fürchten, und einen herzoglichen Raubritter, der gleich an vergrabene Schätze und ähnliche Dinge denkt, die natürlich ihm gehören müssen. Aber damit ist unsere neue Höhle noch nicht gefunden – oder ist sie auch von Jägern entdeckt worden?“

„Nein,“ antwortete er, „diese Entdeckung trägt schon mehr den Stempel der Neuzeit. Wir verdanken sie den Eisenbahnarbeiten, von denen man ja fast sagen kann, daß sie durch ihre Einschnitte, Tunnel und Böschungen, durch ihr Bedürfniß nach Steinen, Eisen, Kalk und Beschotterung mehr für die Geologie geleistet haben in zehn Jahren, als alle Fürsten der Welt zusammengenommen seit ihrer Existenz. So hat es denn das gute Glück gewollt, daß die Eisenbahn, welche dem Lenne-Thal folgt und Hagen und Limburg mit Altena und Siegen verbindet, eine Zweigbahn nach dem in jeder Beziehung metallreichen Iserlohn senden mußte, die gezwungen ist, an den steilen Wänden her sich ihren Weg zu suchen. Die Gegend müssen Sie auch besuchen! Schade, daß wir Spätherbst und nicht Sommer haben! Man könnte sie die westphälische Schweiz nennen! Prächtige Felsengruppen, worunter der Mönch und die Nonne bei Letmathe die hervorragendsten, herrliche Wälder auf den Kuppen- und Höhenzügen, saftige Wiesen in den schönen Thälern, durch welche sich die Flüsse und Bäche winden, und überall pocht, hämmert und dampft es, daß es eine wahre Freude ist!“

„Aber die Entdeckung der Höhle, lieber Freund!“

„Nun, das ist es ja eben. Die Eisenbahnarbeiter also sprengen und hämmern und einem derselben fällt der Bickel in ein Loch. Er klettert nach, um ihn zu holen, sieht sich in einer Höhle – man holt Lichter, forscht weiter, folgt den oft verzweifelt engen Gängen und kommt endlich zu dem Bewußtsein, daß man eine weit verzweigte Höhle mit herrlichen Tropfsteingebilden entdeckt hat. Letztere regten denn auch den Vandalismu s an, der in den meisten andern Höhlen unserer Gegend so übel gehaust hat. Einzelne Stücken von Tropfstein waren schon ausgebrochen und verkauft worden, als die Bahngesellschaft, welcher der Grund und Boden und also auch die Höhle gehört, zweckmäßige Anordnungen traf, um der Verwüstung Einhalt zu thun. Die Höhle, deren Eingang in der Nähe der Station Grüne sich befindet, ist verschlossen; es sind, namentlich an Sonn- und Feiertagen, Leute bestellt, welche die Besucher mit Licht versehen und herumführen, und das geringe Eintrittsgeld, welches man bezahlt, fällt in die Vorsichtscasse der Arbeiter und Wärter an der Eisenbahn.“

„Sind denn wirklich solche Vorsichtsmaßregeln nöthig?“ fragte ich erstaunt. „Muß denn nicht Jedem das natürliche Gefühl eingeben, daß ein jeder dieser Tropfsteinzacken ein langjähriges Erzeugniß der still schaffenden Natur ist, das, einmal abgebrochen, nie wieder ersetzt werden kann? Es kann wohl nur rohen Menschen einfallen, Bäume auf öffentlichen Spaziergängen zu beschädigen, und doch kann man Bäume wieder pflanzen und wachsen lassen, aber keine Tropfsteine.“

„Die Erfahrung hat uns anderes belehrt,“ antwortete mein Zwischenredner kopfschüttelnd. „Sie werden noch andere Höhlen in hiesiger Gegend besuchen, wie die von Sundvig, aus welchen der Besitzer, Herr von Becke, so schöne Stücke urweltlicher Thiere zu Tage gefördert hat. Sehen Sie sich in diesen Höhlen um – man hat sie förmlich ausgeraubt! Sie waren voll der herrlichsten Tropfsteinbildungen – heute sehen Sie nur noch die unförmlichen Massen, welche den Boden decken, und die Beraubung würde bis zum letzten Stück fortgesetzt worden sein, wenn nicht der Besitzer die Höhlen ebenfalls unter Schloß und Riegel gelegt hätte. Können Sie glauben, daß es Leute genug giebt, welche bei dem Besuche einer solchen Höhle nicht umhin können, einige Zapfen abzubrechen und in die Tasche zu stecken – etwa in ähnlicher Weise, wie Engländer den Statuen Finger und Zehen abschlagen, um sie als Beweis ihrer gründlichen Betrachtung des Kunstwerkes zu Hause als Curiosität aufzbewahren? – Wir müssen also die Direction der Eisenbahn benachrichtigen, die uns gewiß gern behülflich sein wird, unseren Besuch der Höhle so fruchtbringend wie möglich für weitere wissenschaftliche Forschungen zu machen – einige Freunde wollen sich gewiß Ihnen und mir anschließen, und so werden wir einen Tag zwischen Ihren Vorlesungen vortrefflich ausnützen können.“

So geschah es denn auch. Freund Fuhlrott hatte es übernommen, das wissenschaftliche Programm des Tages zu entwerfen, und nach der Versicherung aller Bewohner des märkischen Landes durfte den Freunden aus Iserlohn das Recht nicht bestritten werden, für die leiblichen Bedürfnisse des Tages zu sorgen. Von allen Seiten her meldeten sich Theilnehmer – in Hagen trafen Künstler von Düsseldorf, Dichter von Barmen, Aerzte und Naturforscher von Elberfeld, Dortmund, Hörde, Industrielle von dort, von Köln und Witten zusammen, und an dem kleinen Bahnhofe von Letmathe fanden wir eine stattliche Wagenreihe von Iserlohn, die uns nach der Grüne und später nach Iserlohn selbst führen sollte. Hoff hatte seine Mappe, ein Doctor, eifriger Käfersammler, seine Blendlaterne mitgebracht, um in den Ecken und Winkeln nach blinden Käferchen zu suchen, die er freilich nicht fand, und riesige Pakete von Lichtern, Fackeln und Magnesiumdraht waren schon in der Höhle abgelagert worden, wo man einstweilen einige Versuchsstollen in den Boden getrieben hatte, um die verborgenen Schätze unter dem Tropfsteinboden hervor zu Tage zu fördern. Auch Apotheker Schmitz in Letmathe, der eifrige Sammler, hatte sich uns zugesellt – einige Tage vorher hatte er die Güte gehabt, seine an interessanten, in den Höhlen der Umgegend gesammelten Stücken außerordentlich reiche Sammlung mir zu zeigen und zu meinen Vorlesungen zur Disposition zu stellen.

Für Alles war demnach auf’s Beste gesorgt, und wenn die Eisenbahndirection dem wissenschaftlichen Programm freundliche Fürsorge zu Theil werden ließ und den lebhaftesten Antheil an der Durchführung desselben nahm, so zeigte die Folge, daß auch die Freunde in Iserlohn der ihnen gewordenen Aufgabe würdig zu entsprechen gewußt hatten. Hatte bis dahin schon die heiterste Stimmung unter den Teilnehmern geherrscht, so wurde dieselbe jetzt noch erhöht, als die Wagen uns aufnahmen und wir, von hellem Sonnenschein begünstigt, die Fahrt nach den Höhlen antraten.

In unmitelbarer Nähe von Letmathe, wo eine große Zinkhütte ihre in allen Farben des Regenbogens spielenden Flammen speit, schließt sich das malerische Lenne-Thal auf das Engste zusammen, und hohe, senkrecht abfallende Kalksteinfelsen zwingen den Fluß, von seinem nördlichen Laufe nach Westen umzubiegen. Zwei dieser mächtigen Felskuppen, nahe zusammengerückt auf dem rechten Ufer, heißen der Mönch und die Nonne – der erstere ist eine steile, ununterbrochene Felswand; an der Nonne aber gähnt über einer steilen Schutt- und Lehmhalde die Oeffnung der Grürmann’s-Höhle, die einst gänzlich mit Ablagerungen erfüllt war, jetzt aber zum Theil ausgeräumt ist und in welcher noch immer nach vorweltlichen Knochen gegraben wird. Die Beherzteren unter der Gesellschaft verlassen am Fuße der Halde die Wagen und klettern, knietief im erweichten Lehme watend, nach der Oeffnung empor. Böte der nackte Fels nicht hie und da einen Anhaltspunkt, man käme jetzt, wo tagelanger Regen den Boden erweicht hat, nicht hinauf!

Man kann wohl wie im Faust (freilich mit einiger Veränderung) sagen: Du mußt des Felsens alte Risse packen! denn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_142.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)