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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wenden. Ich kann sein Herz durch keine einschmeichelnde Stimme, sein Auge durch keine glänzende Gestalt bestechen, um es über eine innere Unwahrheit meiner Darstellung hinwegzutäuschen, darum will ich Verstand, Herz und Auge mit der Macht der Wahrheit zu gewinnen suchen. Hand in Hand mit ihr hoffe ich den Kampf mit Hindernissen glücklich durchzufechten und endlich auch den Gesetzen der Schönheit gerecht zu werden.“

Als Statist, als der Unbedeutendste des Burgtheaters, erkannte und verehrte er zunächst Anschütz und Fichtner als Götter des Hauses und wurde ihr zu gelehriger Schüler, wie er selbst gesteht. Jung, ohne Führer, einzig und allein auf sich beschränkt, tappte er mehr nach der Schatten- als der Lichtseite seiner Vorbilder. Anschütz war für ihn der singende Baum des Märchens, den er belauschte und studirte, und so wurde auch seine Sprache Gesang, so oft ihn die Schönheit des Verses dazu verleitete. Er sang, ohne daß ihm der Gesang gegeben, und dennoch war es gerade diese sogenannte schöne Declamation, welcher er in den Provinzen seine ersten Erfolge verdankte.

In den Provinzen war es, wo er mit männlichem Ernst seine Studien fortsetzte und mit unermüdetem Fleiße alle Quellen durchforschte, um sich mit dem Kämpfen und Ringen der bedeutendsten deutschen Schauspieler der letzten hundert Jahre vertraut zu machen. Er durchlebte im Geiste die Kunstschulen Weimars und Hamburgs, dort, wo Goethe die Schönheit, hier, wo Schröder die Wahrheit lehrte, und diese Königin des Lichtes war es, deren Farbe der junge Mann mit begeisterter Hingebung trug.

Heinrich Marr, einer der begabtesten Zöglinge der Hamburger Schule, dessen flüchtige Bekanntschaft er in Brünn machte, war der Erste, der in dem kleinen Mann den David erkannte, der berufen war, so manchen Goliath zu schlagen, und rief ihm mit collegialer Herzlichkeit ein ehrliches „Glück auf!“ zu. Nachdem er, wie Seydelmann, gekämpft und gerungen, hatte auch er in seinem kurzen Wanderleben, mit Hülfe der Alliirten Geist, Verstand und Gedanke, so ziemlich glücklich die Barricaden der Schwierigkeiten abgetragen und kehrte auf gebahntem Wege im Frühjahre 1858 mit den ersten Lerchen fröhlich und wohlgemuth in seine Vaterstadt zurück. Rasch entschlossen, besuchte er Dr. Laube, den energischen und unersetzlichen Director des Burgtheaters, und erbot sich, vor ihm Probe spielen zu dürfen.

Der kleine Mann machte sich nicht groß, indem er bat, – im Gegentheil, er sprach sich mehr ab als zu, – aber gerade diese strenge und kalte Selbstkritik war es, mit der er den berühmten Dramaturgen mit dem Falkenblick für sich gewann. Nach kurzem Frage- und Antwortspiel wählte Laube drei Acte aus den Stücken „die Räuber“, „Donna Diana“ und „Clavigo“, in welchen Lewinsky als „Franz Moor“, „Perin“ und „Carlos“ vor Direction und Regisseuren am Abend des 10. April, nach der Vorstellung, Probe spielen sollte.

Selten hat wohl ein Probespiel die Regisseure des Burgtheaters zu so einstimmiger Acclamation hingerissen, wie das des ehemaligen Aushülfs-Statisten Joseph Lewinsky. Alle beglückwünschten ihn, – Fichtner bot ihm herzlichst die Hand, und selbst der alte gebeugte Löwe rief mit Caspar dem Freischützen: „Er hat mir warm gemacht!“

Laube aber fixirte den jungen Mann noch einmal vom Kopf bis zur Zehe nach der Probe und sagte lächelnd in seiner deutschen derben Weise: „Na! Es ist ja gegangen, – und zweiundzwanzig Jahre ist der Kerl alt!“

In seinem „Burgtheater“ schildert Laube selbst das erste Begegnen mit Lewinsky folgendermaßen: „Im Sommer 1858 stellte sich mir ein junger Mensch vor, mit der Bitte, ihm ein Probespiel zu gewähren. ‚Wozu?‘ fragte ich, und betrachtete das dürftig aussehende Menschenkind im engen schwarzen Frack, mit blassem Antlitze. Nichts erschien voll an ihm, als das dunkelblonde Haupthaar, welches dicht und üppig das Gesicht beschattete. ‚Wozu?‘ – ‚Ich möchte nach Deutschland hinaus an eine mittlere Bühne, und ein Zeugniß von Ihnen über dies Probespiel würde mir nützen.‘ – Das wurde anspruchslos und verständig gesprochen, und ich bot ihm zunächst einen Sessel, nach seiner offenbar kurzen Vergangenheit fragend. Der junge Mann kam vom Theater in Brünn und hatte Charakter-Rollen buntester Mischung gespielt. – ‚Auch humoristische?‘ – ‚Mit dem Humor steht es wohl zweifelhaft,‘ erwiderte er mit dem Lächeln einer Liebhaberin, die Abschied nimmt von den verführerischen Rollen. Diese Resignation, so selten bei den Künstlern, interessirte mich, und ich sprach nun länger, sprach wohl eine Stunde mit ihm. Diese Stunde entschied. Die kleine Gestalt war mir in den Hintergrund getreten, das ganze Wesen sprach mich an, flößte mir Zutrauen ein, ich bewilligte ihm ein Probespiel und bestimmte dazu, gemäß dem Eindrucke, welchen er mir gemacht, die Rolle des Carlos im ‚Clavigo‘.

Er spielte sie allerdings noch mangelhaft, aber ich glaubte zu sehen, daß hier nur Nachhülfe nöthig wäre, um ihn rasch auf eine gewisse Höhe zu bringen. Um mich dessen zu versichern, ging ich die Rolle privatim mit ihm durch und fand meine günstige Meinung bestätigt. Ich beschloß, ihn zu engagiren. Einer Zustimmung meiner Behörde, die mir allerdings kopfschüttelnd zusah, bedurfte ich hierzu nicht und die Frage war nur: wie den jungen Mann einführen? Ich war einmal eingenommen für ihn und meinte, man könne großes Spiel wagen mit der jungen Kraft – ich nahm die Rolle des Franz Moor mit ihm durch und es wurde mir zweifellos, daß die Fähigkeit für ein erstes Fach vorhanden war. Ich kündigte ihm an: ‚Sie sollen als Franz Moor auftreten im Burgtheater!‘

Lärm und Vorwurf überflutheten mich, als das bekannt wurde. Entweihung, thörichtes, unerlaubtes Experimentiren mit einem kleinen Provinzschauspieler und solcher Anklagen mehr flogen wie Hagel rings um mich nieder. Sehr behaglich war mir auch nicht zu Muthe, aber der junge Franz Moor zeigte Courage ohne Uebermuth, ich fühlte mich berechtigt zu dem Wagniß, wir blieben Beide fest, und der Tag kam. Der junge Mann war auch ein Wiener Kind; das werden ja doch, dachte ich, die Wiener zu schätzen wissen, wenn ohne Ahnenbriefe und ohne Ansehen der Person dem jungen Talente die Bahn geöffnet wird.

Und sie wußten es zu schätzen. Das Haus bis zum Giebel füllend waren sie gekommen und horchten in Todtenstille, und als der junge Franz seine erste große Scene gespielt – war Alles entschieden. Einstimmiger Beifall überschüttete den jungen Schauspieler, und eine erste Kraft im Charakterfache wurde getauft an diesem Abende mit dem Namen Joseph Lewinsky.“

Einen noch größeren Triumph feierte er in seinem zweiten Debut als Carlos in „Clavigo“, – ein Charakter, den er, wie er selbst bemerkt, in seinem Herzblut erwärmte. So war aus dem Statisten plötzlich ein Hofschauspieler ersten Ranges geworden.

Man vergaß, daß der Mann klein war, denn den Körper trug der Geist auf seinen Schwingen. Die Kunst ersetzte ihm zehnfach, was ihm die Natur versagte. Er hielt sich fern von jeder Nachahmung, gab sich hin, wie er sich selbst geschaffen, und wenn er hin und wieder noch das Glöcklein klingen ließ, das er einst von Anschütz, dem singenden Baum, erhaschte, trat ihm Laube schroff entgegen, der kein Versgeklimper duldete und alle alten Angewohnheiten mit der Wurzel auszurotten verstand.

Nach den genannten Debutrollen erschien Lewinsky im Laufe des Jahrzehnts als: Wurm, Cassius, Marinelli, Herzog Carl, Philipp der Zweite, Thorane, Lorenzo, Wilhelm von Oranien, Attinghausen, Michel Perrin, Eugen von Savoyen, Jago, Mephistopheles, Oliver Cromwell, Menenius Agrippa, Muley Hassan, Shylock, Richard der Dritte, Harpagon, Hamlet, Nathan der Weise, Narr (Lear), Gringoire, Lord Chatham, Warren Hastings etc., und alle diese heterogenen Charaktere zeichnet er mit dem Griffel der bescheidenen Natur, und die schlichte Einfachheit und reale Wahrheit sind es vorzugsweise, die seinen Gebilden eine geniale Bedeutung geben und in seinen Vorlesungen und Declamationen das Auditorium bis zum Enthusiasmus begeistern.

Mit dem Künstler sind wir fertig, – lassen wir aber auch den Menschen gelten, der mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit jedem Bedrängten die warme Bruderhand bietet und so manches schöne Blatt seines jungen grünen Kranzes auf den Altar der Barmherzigkeit legt. Ein Lied davon weiß noch immer das alte Mütterchen zu singen, in dessen Kammer wir den kaiserlich königlichen Aushülfs-Statisten den „Anschütz studiren“ hörten.

Ich fand die alte Frau vor Kurzem unter dem Burgthor wieder, wo sie mit verklärten Blicken das Personale oder vielmehr den Namen ihres Lieblings auf dem Theaterzettel las, der für den Abend Schiller’s „Räuber“ ankündigte.

„Ja, ja,“ murmelte sie vor sich hin, „er muß wohl ein großer Künstler sein, weil er mit einem so guten edlen Herzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_150.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)