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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Außer der großen Höhle an der Grüne hat die Eisenbahn an manchen Stellen Reihen von kleinen Grotten entblößt, die fast wie Arcaden nebeneinander stehen und ihre Oeffnungen dem Schienenwege zukehren, und in jedem Orte, der auf oder an dem Kalksteinzuge liegt, hört man von Gängen und Löchern erzählen, in welche die Schulknaben hineinschlüpfen und manchmal gefährliche Abenteuer bestehen. „Wer sucht, der findet“ ist ein altes, wahres Wort. In denselben Gegenden Belgiens, die man seit Schmerling’s Untersuchungen in den zwanziger Jahren vollständig ausgebeutet glaubte, hat Dupont in kurzer Zeit mehr als hundert Höhlen und Grotten entdeckt und untersucht und daraus in Brüssel ein Museum zusammengestellt, welches seines Gleichen in der Welt nicht hat. Freilich hat die Regierung dieses kleinen, nach der heutigen Staatentheorie „nicht lebensfähigen“ Landes die nöthigen Mittel bewilligt, damit der junge Forscher sich ganz dieser Untersuchung und nur ihr allein widmen und tüchtige Arbeiter heranziehen konnte, die mit dem Gegenstande und den Vorsichtsmaßregeln solcher Untersuchungen innig vertraut sind. Es wäre wahrlich an der Zeit, etwas Aehnliches für die Untersuchung der westphälischen Höhlen in’s Leben zu rufen, und mir würde es am geeignetsten erscheinen, wenn dort ein Verein sich bildete, der die nöthigen Mittel zusammenbrächte, durch einen mit dem Gegenstande so vertrauten Mann, wie Dupont, einen jungen Gelehrten und einige Arbeiter anlernen ließe und auf diese Weise Gleiches für Westphalen leistete, wie es in Belgien mit Staatsmitteln geleistet worden ist und noch geleistet wird. Die Bestrebungen einzelner Forscher und Sammler, welche nur nebenbei, in ihren wenigen Mußestunden, solche Untersuchungen betreiben, können unmöglich zu so umfassenden und genauen Resultaten führen, wie die heutige Wissenschaft sie verlangt.

Welches sind denn die Fragen, deren Lösung man anstrebt? wird man hier fragen, und ich halte es für nöthig, darüber einige Andeutungen an der Hand der Thatsachen zu geben.

In fast allen Höhlen und zwar in denen, welche Tropfsteinbildungen zeigen, unter dem Tropfsteinboden, finden sich oft ungemein mächtige Ablagerungen einer Art von Erde oder Lehm, den man den Knochenlehm genannt hat. Meist von gelblicher oder röthlicher Farbe zeigt sich dieser Lehm oft so von Kalksinter durchzogen und zusammengebacken, daß er eine feste Masse darstellt, die man sogar, ihrer Härte wegen, mit Pulver aufsprengen muß. In den westphälischen Höhlen ist er eine erdige Substanz, die eine große Menge phosphorsauren Kalkes, bis zu einem Viertel der Masse sogar, enthält und demnach offenbar großenteils aus der Verwesung thierischer Stoffe hervorgegangen ist. Diese phosphorreichen Erdmassen liefern ein vortreffliches Düngemittel, wie man in Balve nur zu gut weiß, denn dort wird, wie ich mir habe sagen lassen, die Höhle förmlich auf Gewinnnug der Erde ausgebeutet. Auch andere Erfahrungen bestätigen dies. In den Höhlen von Sundvig hört man stellenweise unterirdische Wasser rauschen. „Sie waschen ganz gewiß uns noch unbekannte, mit Knochenlehm gefüllte Spalten aus,“ sagte mir der freundliche Besitzer, Hr. von der Becke, „denn wo diese Wasser zu Tage treten, entwickelt sich eine weit üppigere Vegetation, als in der Nähe anderer Quellen, und der gelbliche Lehm, den diese Wasser ablagern, so wie die Einstürze der Tropfsteinböden, welche hie und da eintreten, zeugen für die Unterwaschung und Fortführung des Lehmes.“ Daß der Gehalt an phosphorsaurer Kalkerde aus der Zersetzung von Excrementen, Fleisch, Knorpeln und Knochen hervorgegangen sei, wird aber endgültig bewiesen durch die ungeheure Menge von Knochen, welche sich darin finden und die zum Theil riesigen Thieren angehören.

Hier kommt die erste Frage: Welches waren diese Thiere und zu welcher Zeit lebten sie?

Die Vergleichung mit den Knochen jetzt wild lebender Thiere zeigt bald, daß diese Knochen zum Theil ausgestorbenen, zum Theil aus unseren Klimaten ausgewanderten, zum Theil jetzt noch bei uns lebenden Thieren angehören – daß ferner unter diesen Thieren solche sind, die heute noch in Höhlen leben, andere dagegen, welche nicht durch sich selbst, sondern durch fremde Kraft in die Höhle gebracht worden sein müssen. Der Vielfraß, der Dachs und der Fuchs, der riesige Höhlenbär, die Höhlenhyäne, der Höhlenlöwe haben ganz gewiß Höhlen bewohnt und ihren Jungen dorthin ganze Thiere oder Stücke derselben zur Mahlzeit gebracht. Aber der Elephant der Schwemmzeit, das Mammuth, das ebenso wie sein steter Begleiter, das Nashorn mit knöcherner Nasenscheidewand, mit einem Wollpelze zum Ertragen kälterer Klimate ausgerüstet war, das Nilpferd, der Urstier, welcher der Stammvater der friesischen Hornviehrace geworden ist, der Bison, der jetzt noch in den lithauischen Wäldern lebt, der Riesenhirsch, den man unter den Torfmooren Irlands so häufig gefunden hat, unser jetziger Edelhirsch, das in den Norden ausgewanderte Rennthier, das wilde Pferd und der wilde Eber, diese haben gewiß nicht in Höhlen gelebt, sondern ihre Knochen sind auf andere Weise dort hinein gebracht worden.

Daß alle diese Thiere zu einer gewissen Zeit auf der rothen Erde zusammenlebten, das beweist nicht nur das Vorkommen der Knochen in denselben Ablagerungen, sondern auch namentlich der Umstand, daß viele Knochen der Pflanzenfresser unstreitig von den Fleischfressern benagt worden sind. Man sieht die Spuren der Zähne an den schwammigen Theilen, die Eindrücke und Rillen, in welche die nagenden Zahnkronen passen – man findet im Allgemeinen nur diejenigen Knochen der Pflanzenfresser, welche nicht zerkaut, zerknackt und verschlungen werden konnten, und die Zähne alter Bären und Hyänen, namentlich der letzteren, sind abgenutzt bis an die Wurzel, so daß von der Krone oft kaum noch ein Stumpf übrig ist. Wie heute noch hatten die Fleischfresser ihre gesonderten Standorte – Sundvig bewohnten vorzugsweise die Bären, Rösenbeck bei Brilon die Hyänen –; zuweilen auch mögen die Bewohner im Laufe der Zeiten gewechselt haben – Dupont hat wenigstens in einigen belgischen Höhlen verschiedene Schichten gefunden, wo in der einen nur Bären, in der andern nur Hyänen vorkamen. So mögen auch die Pflanzenfresser ihre besonderen Stationen gehabt haben. Die Mammuthzähne, welche man in den westphälischen Sammlungen sieht, stammen, wenn sie nicht aus Geschieben und Flußbetten herrühren, meist aus der Höhle von Balve, die mit ihrem weitgewölbten, domartigen Eingang vielleicht ein Zufluchtsort dieser Thiere bei schlechtem Wetter gewesen sein mag. Die genaue Vergleichung des Inhalts der einzelnen Höhlen untereinander und mit denen anderer Länder würde gewiß in Hinsicht auf die Vertheilung und die Lieblingsstationen der einzelnen Thiere des Schwemmlandes interessante Resultate zu Tage fördern.

Doch dies ist nicht genug. Unsere Thierwelt hat im Laufe der Zeiten nach und nach sich verändert. Die gewaltigen Fleischfresser sind verschwunden, die großen Pflanzenfresser sind zu Grunde gegangen. Wo früher Mammuthe und Nashörner in Ueberzahl auftraten, begegnen wir jetzt Heerden von wilden Rennthieren, Pferden und Ochsen. Diesen Veränderungen entsprechen in vielen Höhlen verschiedene Absätze von Knochenlehm, welche häufig durch Tropfsteinböden von einander getrennt sind. Was Dupont für Belgien nachgewiesen, kann auch für manche Vorkommnisse in Westphalen Geltung haben. Wir haben aufmerksam die verschiedenen Versuchsgräben betrachtet, welche in der neuen Höhle angelegt waren. In keinem war man noch auf den festen Felsgrund gekommen, obgleich man mannstief eingedrungen war – in jedem ließen sich mehrere, zwei bis drei, Tropfsteinböden erkennen, welche verschiedene Schichten von Knochenlehm trennten. Hier ist es nun Aufgabe des Forschers, die Einschlüsse der verschiedenen Schichten gesondert zu halten, jedes Knöchelchen, jeden Splitter sorgsam zu trennen von denen der anderen Schicht, um dann die Einschlüsse mit einander vergleichen und die relative Häufigkeit der einen und anderen Art constatiren zu können. Denn die Veränderungen in der Thierwelt, die hier lebte, sind langsam und allmählich vor sich gegangen – die eine Art wurde seltener und seltener, bis sie endlich gänzlich vom Schauplatze verschwand und ebenso durch eine nach und nach häufiger werdende ersetzt wurde.

Zu diesem Zwecke muß, wenn ein Versuchsgraben senkrecht bis in die Tiefe des Lagers durchgeschlagen ist und die einzelnen Schichten dadurch nachgewiesen sind, eine jede dieser Schichten in horizontaler Ausbreitung verfolgt und abgeräumt und das so in einer Kammer gewonnene Resultat mit den Ergebnissen aus den anderen Kammern derselben Höhle und endlich mit denen der benachbarten Höhlen verglichen werden. Weitläufige, zeitraubende Untersuchungen, die mit der größten Sorgfalt und Genauigkeit unter den Augen desjenigen, der die Arbeiten leitet, durchgeführt werden müssen, über die an Ort und Stelle ein laufendes Register hergestellt werden muß, während jedes Stückchen eine Etikette

erhält, die mit deutlichen Zeichen den Ort und die Schicht angiebt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_156.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)