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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und erheiternd. Mein ernstes Streben, die Leute von der schönsten Seite zu erfassen und sie in ihrer würdigsten Gestalt auf dem Papiere zu verklären, schien hier den Bewohnern eben so klar und einleuchtend, als es den Elsässern dunkel und unverständlich geblieben war. So weit ging aber hier der Eifer mir entgegenzukommen, daß mich zu Schapberch die Gemeinde nicht mehr fortlassen wollte, ehe ich sie in ihrem höchsten Staate gesehen. Gerührt von solcher Werthschätzung blieb ich auch bis über den nächsten Sonntag und hatte da die Hände voll Arbeit, um alle jene Verehrer und Verehrerinnen, welche einen Werth darauf legten, säuberlich in meinem Skizzenbuche unterzubringen. Dort sind sie noch verwahrt – vielleicht wird auch für sie der Tag der Urstände kommen!

Wenn der Wanderer von Hausach gegen Mittag zieht, so gelangt er in das Thal der Gutach, eine wegen ihrer Trachten und anderer Eigenthümlichkeiten berühmte Gegend. Zu meinem Glück mußte hier, als ich eben ankam, ein Kind geboren und getauft werden, was ich als eine freundliche Fügung des Himmels dankbar hinnahm. Der Zug entfaltete sich mit Würde und in alterthümlicher Pracht. ich betrachtete ihn als gute Beute und bringe ihn hier neidlos vor das liebe Publicum. In der Mitte schritt züchtiglich die junge Gevatterin, eine wohlgestaltete Jungfrau, welche den neuen Weltbürger zur Kirche trug. Dieser entzog sich allerdings meinen pyhsiognomischen Wahrnehmungen, weil er, in weichem Pfühle liegend, mit seinem, geblümtem Tüll überdeckt war. Auf dem Haupte der Jungfrau prangte das ehrwürdige, vorzeitliche Schäpele, ein Kopfputz, der aus Sammet, Seide, Glasperlen und Flittergold kunstreich zusammengesetzt ist. Ihn trugen bei solchen und anderen festlichen Gelegenheiten schon Chriemhilde, Isolde und alle Heldinnen der mittelhochdeutschen Dichtung. Die Halskrause und das goldene Mieder, mit rothen Nesteln geschnürt, sprechen für sich selbst, ebenso der kurze, schwarze Rock, die weißen Strümpfe und die zierlichen Schühlein. Neben der Gevatterin geht eine andere Verwandte, die wohl schon ihren Mann und eigenen Heerd gefunden hat. Darauf deuten die schwarzen Wollrosen hin, die sich oben auf dem Strohhut lagern, denn wäre sie noch unvermählt, so müßten die Rosen von rother Farbe sein, wie bei der schöngezopften Dirne, die links am Zaun steht und nachzurechnen scheint, wie lange es noch dauern möchte, bis auch sie einmal freudigen Anlaß zu einem Taufzuge geben würde.

Weibliche Leser genehmigen wohl die Bemerkung, daß die schwarze Jacke der Gutacherinnen einwärts roth gefüttert ist. Die prunklose Anständigkeit der männlichen Landleute wird man auch nicht übersehen. Sie tragen den sogenannten Rübeles-Kittel, einen gerippten Sammtrock, ebenfalls mit rothem Flanell gefüttert. Der eine der Wäldler, der vorne auf dem Baumstamme sitzt, scheint bedächtig zu erwägen, was aus dem Kind, das man vorüberträgt, wohl Alles werden könnte; der andere erinnert durch seine Ausstattung fast an den letzten der ehemaligen Könige von Frankreich. Auch die Bauart der hölzernen Häuser stellt sich dar und der glänzende Schuppenpanzer, der sie kleidet.

Diese angenehme Berggegend hat übrigens allerlei Vorzüge, welche gerühmt zu werden verdienen. in der schönen Tracht stecken liebenswürdige Menschen, der Boden ist fruchtbar, die Bäche bieten ausgezeichnete Forellen und aus der reichen Kirschenernte weiß man ein vortreffliches Wasser zu brennen. Auch ein Posthalter ist da zu finden, der dem müden Wanderer eine liebreiche, erquickende Herberge gewährt.

Und abermals eine gute Stande weiter drinnen in den Bergen liegt Hornberg, ein treffliches Städtlein. Ob hier oder anderswo das bekannte Hornberger Schießen stattgefunden, wollte ich nicht erforschen, da man mit solchen Fragen an Ort und Stelle wenig Ehre einzulegen pflegt. Nach einer ehrwürdigen Ueberlieferung soll nämlich beim Hornberger Schießen die Scheibe in’s Wasser gefallen sein und dieses dadurch ein unerwartet schnelles Ende erreicht haben. So ferne daher große Unternehmungen „von des Gedankens Blässe angekränkelt“ unscheinbar in den Sand verlaufen, pflegt man in Süddeutschland noch immer zu sagen. Das geht aus wie’s Hornberger Schießen – aber wo dieses Spruches Ursprung, das ist wohl nur Wenigen und mir z. B. gar nicht bekannt.

Uebrigens ist das Thal sehr eng und grün und malerisch; auch mit einem steilen Berg geziert, auf welchem das alte Schloß Hornberg kauert. Man fühlt hier übrigens schon sehr vernehmlich, daß man in die frische, spornende Luft des Schwarzwaldes gerathen ist. Es finden sich in dem kleinen, abgelegenen Städtchen schon einige bedeutende Wahrzeichen hohen Gewerbfleißes. So der Herren Gebrüder Horn große Steingutfabrik, welche gegen vierhundert Arbeiter beschäftigt. Auch Uhrenschilder und Musiksaiten werden gefertigt. In den angenehmen Gasthäusern macht sich hier zu Lande nicht ein unwissendes, verkommenes Philisterium breit, sondern man trifft allenthalben weit gereiste, gebildete Männer, mit welchen zu verkehren ein großes Vergnügen ist.

Immer weiter in das Gebirge eindringend, geräth der Wanderer wieder in eine enge, tiefe Schlucht, welche der schon beschriebenen Hölle sehr ähnlich ist, diese aber an romantischer Wildheit noch übertrifft. Die Straße ist theilweise aus dem Felsen gesprengt und läuft oft an wilden Abgründen hin. Unten wüthet der Bach, von oben winkt das Gestein bedenklich herunter. Nachdem sich die Schlucht geöffnet, bietet sich aber die Amtsstadt Triberg dar. Sie besteht aus zwei Häuserreihen, welche nach einem Brande, der vor vierzig Jahren gewüthet, schmuck und reinlich wieder aufgeführt wurden. Auch hier sind die Leute ungemein fleißig. Meine Beschäftigung fand ich zwar nicht vertreten, aber die Uhrenfabrikation wird von zahlreichen Firmen mit ungemeinem Nachdruck betrieben. in der Nähe spielt auch der Triberger Wasserfall, welcher der schönste im Schwarzwalde und schon vielfach besungen sein soll. Ich würde ihn gern beschreiben, wenn ich das Talent dazu hätte. Um Triberg herum ist überhaupt die Landschaft besonders schön, und da auch die Wirthshäuser besonders gut sind, so eignet sich das Städtchen vortrefflich zu einer Ruhestelle für den braven Wanderer, der sich einerseits selbst nicht vergessen, andererseits den Duft von Gottes schöner Welt im Schwarzwalde gemüthlich einschlürfen will.

Außer Trachten, Forellen, Kirschwasser, Uhren und liebenswürdigen Leuten hat der Schwarzwald auch noch vortreffliche Straßen. Hier sind dem Wanderer alle Berge geebnet und alle Thäler ausgefüllt. Durch die engste Schlucht, durch die wildeste Klamm führen die herrlichsten Fahrwege, bald aus dem Felsen gesprengt, bald aus dem Bache heraufgebaut, bald Beides. Hierin ist das Großherzogthum Baden meinem bairischen Vaterlande mit Siebenmeilenstiefeln vorausgerannt. In unserm Gebirge kann man z. B. nicht einmal von Tegernsee nach Schliersee fahren, obgleich kein Berg, keine Schlucht, kein Wildwasser dazwischen. Wir sorgen immer mehr für die unsichtbaren Pfade, die unserm geistigen Fortschritt dienen sollen, als für die sichtbaren, welche Handel und Verkehr beleben könnten. Man sollte glauben, wie weit wir auf jenen schon gekommen sind!

Eine solche prächtige Kunststraße führt auch von Triberg nach St. Georgen hinauf. Dieser Marktflecken liegt fast dreitausend Fuß hoch über dem Meere, in einer Gegend, die etwas winterlich ist, aber sich einer gesunden Luft erfreut. Ehemals stand da ein Benedictinerstift, aus dem sich noch ein kostbarer alter Holzaltar gerettet hat; jetzt floriren dagegen zahlreiche Fabriken. Der Gewerbfleiß verlegt sich auch hier namentlich auf die Uhren, und die meisten jener Zeitmesser, welche die Stunden durch einen hellen Kukuksruf ankündigen, werden in St. Georgen gefertigt. Auch hält man da lustige Jahrmärkte ab. Leider war der Flecken kurz vorher abgebrannt und die Ruinen standen noch grauslich umher. Doch intelligent und energisch, wie die Leute sind, werden sie sich wohl bald wieder erholen und es wird mich immer freuen, wenn’s ihnen recht gut geht.




Ein Schwingfest im Berner Oberland.

Von Max Wirth.

Mag der Ringkampf, den die Jünglinge Griechenlands bei den olympischen Spielen aufführten, in Anmuth und Grazie der Bewegungen nicht mehr erreicht worden sein, – was Ausdauer, List, Gewandtheit und reckenartige Kraft anbelangt, so stehen, meiner Ueberzeugung nach, die Schweizer Schwinger vom Entlibuch, Unterwalden, Berner Oberland und Emmenthal unerreicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_166.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)