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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Allerdings, mein Freund,“ lächelte sie, „und es waren nicht acht-, sondern zehntausend Franken – ich habe sie aus meiner Tasche bezahlt und da vergißt es sich nicht so leicht. … Uebrigens bin ich sehr erstaunt, daß Du Dir nicht selbst sagst, wie es ein Ding der Unmöglichkeit für mich ist, Anzüge, die speciell für A. bestimmt waren, hier auf dem Lande zu tragen – eine so grenzenlose Geschmacklosigkeit wirst Du mir hoffentlich nicht Zutrauen!“

Während dieser Auseinandersetzung brockte sie sich mit großer Gemüthsruhe ein geröstetes Weißbrodschnittchen in die Chocolade. Ihr Blick schlüpfte einigemal seitwärts nach ihrem Gemahl, aber wenn auch die Lippen lächelten – ihre Augen, sonst so feurig und von wahrhaft dämonischer Gewalt, glitten mit einer eigenthümlichen Starrheit über das Profil und die tiefgesenkten Lider des Mannes. … Da war auch nicht der letzte Abglanz mehr von dem, was die schöne Braut einst in der Schloßcapelle zu A. mit ihrem Ja besiegelt hatte.

„Seit wann aber, liebster Fleury, controlirst Du meine Pariser Sendungen?“ fragte sie scherzhaft weiter. „Das ist Dir ja nie im Leben eingefallen! … Und dazu dies misanthropische Gesicht! … Ich will doch nicht hoffen, daß mit Deinem neulichen Geburtstag die Grämlichkeit eingezogen ist? … O pfui, liebster Mann, nur nicht alt werden!“

Das Alles klang neckend und wurde bezaubernd naiv hingeworfen, aber es enthielt scharfe Dolchstiche für den weit über zwei Decennien älteren Mann, der seiner vergötterten jungen Frau gegenüber um keinen Preis alt werden wollte.

Ueber sein unbewegliches Gesicht flackerte eine fahle Röthe, und ein halbes Lächeln theilte seine bleichen Lippen.

„Ich bin ein wenig verstimmt,“ gab er zu, „aber durchaus nicht über Deine Pariser Lappalien, mein Kind – dort sitzt die Missethäterin!“

Er zeigte auf Gisela.

Diese hob die nachdenklich gesenkten Wimpern und sah ihren Stiefvater befremdet, doch fest und erwartungsvoll an. Sein scharfer Ton würde Alle, die ihn näher kannten, erschreckt haben, auf dem Mädchengesicht aber zeigte sich keine Spur von Besorgniß oder Verlegenheit – und das reizte Seine Excellenz offenbar noch mehr.

„Dein Arzt war eben bei mir und da habe ich schöne Dinge hören müssen,“ sagte er mit schwerer Betonung. „Du widersetzest Dich seinen Anordnungen!“

„Ich bin gesund, seit ich seine Medikamente wegschütte.“

Der Minister fuhr empor – seine Augen öffneten sich weit und funkelten in maßlosem Zorn. „Wie, Du wagst es –“

„Ja, Papa – es ist das eine Art Nothwehr von meiner Seite. Der Mann hat mich zu allen Jahreszeiten im verschlossenen Wagen spazieren fahren lassen – er hat nie geduldet, daß ich auf meinen eigenen Füßen auch nur einmal durch den Schloßgarten gehen durfte – ein Trunk frischen Wassers war mir verboten wie tödtliches Gift. … Als aber Lena vor einem halben Jahr zu kränkeln anfing, da verordnete er ihr vor Allem frisches Wasser, Luft und Bewegung – nun, Papa, nach frischem Wasser, Luft und Bewegung lechzte auch ich – und da der Medicinalrath auf alle meine Bitten nur ein mitleidiges Lächeln hatte, so half ich mir selber!“

„Begreifen Excellenz nun die Schwierigkeit meiner jetzigen Stellung?“ fragte Frau von Herbeck, die während Gisela’s Bekenntnissen ihre Chocolade hatte kalt werden lassen.

Der Minister war längst Herr seiner Aufregung geworden.

„Du hast Dir auch ein Reitpferd angeschafft?“ frug er sehr gelassen, ohne die Bemerkung der Gouvernante zu beachten. Seine Cigarre, die er von allen Seiten betrachtete, schien ihn augenblicklich mehr zu interessiren, als die Antwort seiner Stieftochter.

„Ja wohl, Papa, von meinem Nadelgeld,“ entgegnete das junge Mädchen. „Ich kann nicht gerade sagen, daß ich das Reiten der Damen sehr liebe – allein ich will stark und kräftig werden, und solch’ ein Ritt in der frischen Morgenluft stählt Muskeln und Nerven.“

„Und darf man wissen, weshalb Gräfin Sturm sich à tout prix zur Walkyre ausbilden will?“ examinirte der Minister weiter – das satirische, anziehende Lächeln umspielte seine Lippen.

Gisela’s schöne braune Augen sprühten auf.

„Weshalb?“ wiederholte sie. „Weil gesund sein ,leben’ heißt – weil es mich beleidigt und verletzt, ewig der Gegenstand des allgemeinen Mitleids zu sein – weil ich die letzte Sturm bin! Ich will nicht, daß dies hohe Geschlecht in einem elenden, gebrechlichen Geschöpf endet. … Wenn ich in die Welt eintrete –“

Die Baronin hatte bis dahin Frage und Antwort spöttisch lächelnd, doch vollkommen ruhig mit angehört – in diesem Augenblick aber überflammte eine Scharlachröthe ihr Gesicht.

„Ah – Du willst zu Hofe gehen?“ unterbrach sie das junge Mädchen.

„Sicher, Mama,“ antwortete Gisela ohne Zögern. „Ich muß ja, schon um der Großmama willen – sie ist ja auch zu Hofe gegangen. … Ich sehe sie noch, wenn sie, mit Brillanten bedeckt, Abends in mein Zimmer kam, um mir Adieu zu sagen. … Aber ich habe auch einmal gesehen, wie ihr das Diadem einen tiefen, rothen Streifen in die Stirne gedrückt hatte – ich habe einen wahren Abscheu vor den kalten, schweren Steinen, und es macht mir Angst, zu denken, meine Stellung könnte mich einmal zwingen, Großmama’s Brillanten zu tragen.“

Sie fuhr wie unwillkürlich mit beiden Händen nach dem warmen, weißen Halse, als fühle sie dort bereits das eiskalte, gleißende Diamantencollier.

So sehr auch der Minister seine Züge in der Gewalt hatte, über ein fahles Erbleichen, das bei Erwähnung der Brillanten seine Wangen bedeckte, vermochte er doch nicht zu gebieten. Er schleuderte seine Cigarre als unbrauchbar weit hin über die Wiese und beschäftigte sich angelegentlich damit, eine bessere in seinem Etui zu suchen.

Das schöne Gesicht seiner Gemahlin aber versteinte förmlich in dem Ausdruck finsteren Nachsinnens. Sie rührte unablässig mit dem Löffel in der Chocolade – diese strahlenden Augen senkten sich sonst nie – innere Beschaulichkeit war nicht Sache Ihrer Excellenz – jetzt aber breiteten sich die langen Wimpern wie ein unheimlicher Schatten über die weißen Wangen.

Als ob er nicht eine Silbe von dem Wortwechsel der beiden Damen gehört, sagte der Minister nach einer Pause ganz in dem gütig nachgiebigen Tone, den er früher dem kranken Kinde gegenüber stets festgehalten hatte:

„Ich sehe schon, daß ich unserem guten alten Medicinalrath werde den Laufpaß geben müssen – er imponirt seiner kleinen, eigensinnigen Patientin nicht mehr – und Dich zu irgend etwas zwingen zu wollen, kann mir nicht einfallen, Gisela. … Vielleicht convenirt Dir Doctor Arndt in A. – ich werde ihn kommen lassen, denn, Kind – so himmelstürmende Begriffe Du auch von Deinem Gesundheitszustand hast – Du bist noch lange nicht hergestellt – im Gegentheil, der Medicinalrath prophezeit für die allernächste Zeit einen um so heftigeren Ausbruch Deiner Anfälle, als –“

Er hielt inne und blickte mit gerunzelter Stirne nach der entgegengesetzten Seite des Waldes.

„Gehen Sie doch einmal dort hinüber – ich glaube, es kommen Leute,“ sagte er zu einem herbeigerufenen Lakai.

„Excellenz, der nächste Fußweg nach Greinsfeld geht hier vorüber,“ wagte der Mann vorzustellen.

„Sehr weise bemerkt, lieber Braun – so viel weiß ich auch – will aber nicht, daß die Leute vorbeigehen, wenn ich da bin – es führen noch andere Wege nach Greinsfeld,“ sagte der Minister scharf.


14.

Währenddem war das Menschenkind, dessen Gewand hell durch das Dickicht schimmerte, auf die Wiese herausgetreten – es war das Töchterchen des Neuenfelder Pfarrers.

Gisela sah das Kind daher kommen – einen Moment überschlich sie dasselbe Gefühl, infolge dessen sie vorgestern, wenn auch nur während der Dauer eines Pulsschlags, überlegt hatte, wie sie wohl die Kinder im Kahn beseitigen könne: die Scheu, im Verkehr mit Niedrigerstehenden von Standesgenossen betroffen und von ihnen verurtheilt zu werden – eine feige, erbärmliche Empfindung, welche die Menschenseele entwürdigt und die, seit die menschliche Gesellschaft durch selbsterfundene Schranken sich trennt und zersplittert, zahllose Thränen schwergekränkter und beleidigter Herzen verschuldet hat. …

Aber auch jetzt siegte die ursprüngliche Charakteranlage über

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_195.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2016)