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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

viel zu thun, wenn ich meine Maßregeln den Betreffenden stets in eigener Person erschöpfend motiviren wollte. … So viel will ich Ihnen aber sagen, daß die gerühmte Pflichterfüllung sehr, sehr viel zu wünschen übrig gelassen hat. Wir haben Alles gethan, den Mann aus seinem alten Schlendrian aufzurütteln – es war verlorene Mühe. Er hat sich jeder heilsamen Reform auf kirchlichem Gebiet mit konsequentem Starrsinn widersetzt – jetzt ist es freilich offenbar geworden, weshalb: das Observiren des Sternenhimmels war ihm interessanter, als das gewissenhafte Studium der alten Kirchenväter – wir können aber keinen Pfarrer brauchen, der ein solches Steckenpferd reitet, liebe Frau –“

„Und der Pfarrer in Bodenbach, der von seinem Bienenstand weggeholt werden muß, wenn er predigen soll?“ warf die Pfarrerin fragend ein, und ihr durchdringendes, kluges blaues Auge wich nicht von dem Marmorgesicht Seiner Excellenz.

Er stand auf und klopfte die Frau mit einem impertinenten Lächeln auf die Schulter.

„Ei, meine liebe Frau Pfarrerin,“ sagte er, „der Pfarrer von Bodenbach hat stündlich das Bild der Kirche in seinem Bienenstand vor Augen – die einmal gegebenen Satzungen werden herrschen, so lange es eben Bienen giebt, und Königin wie Arbeiter unterwerfen sich widerspruchslos allen ihren Forderungen … Ich kann Ihnen versichern, der Pfarrer von Bodenbach ist der wackerste Seelsorger weit und breit, er bleibt – bei seinem Leisten!“

„O du grundgütiger Gott, also ist’s doch wahr!“ rief die Pfarrerin und schlug die Hände zusammen. „Weil es da droben in den Sternen nicht ganz so aussieht, wie es die heilige Schrift besagt, so sollen nun auch die Menschen nicht mehr hinaufsehen! Sie sollen denken, der große allmächtige Gott mache sich die Kurzweil, am Abend bunte Lichterchen am Himmel lediglich für seine kleinen Erdenwürmer anzuzünden! Sie sollen sich auf einmal einbläuen, weiß sei schwarz und zweimal zwei fünf! … Und wenn sie dies Alles thun wollten, hat es etwas zu schaffen mit der Lehre unseres Herrn und Heilandes? Schlagen sie die Lehre von Gottes Allmacht und Weisheit nicht selbst in’s Gesicht, wenn sie seine Werke verkleinern und mangelhaft machen, nur um des Buchstabenglaubens willen?“

Sie schöpfte tief Athem, dann fuhr sie fort:

„Wird die Bibel nicht der lebendige Quell des Trostes und Segens für alle Zeiten bleiben, wenn ihr auch hie und da menschliche Irrthümer ankleben? … Wer auch nur ein einziges Mal im Kummer nach ihr gegriffen hat, der weiß, daß sie ewig ist. Die also um des angefochtenen Buchstabens willen für sie zittern, die kennen ihren Geist nicht! … Excellenz, ich bin eine schlichte Frau, aber so viel hab’ ich stets begriffen, daß sich das Gleichniß vom Hirten und der Heerde nur auf die Zusammengehörigkeit in der christlichen Liebe bezieht – niemals aber auf den Stock des Hirten und auf den Pferch, in welchem die Schafe zusammengehalten werden sollen. … Und in dem Sinne steht mein Mann auf der Kanzel und in seiner Gemeinde, und sie haben ihn Alle herzlich lieb; die Kirche ist immer gefüllt, und wenn er auf Gottes Wunderwerke zu reden kommt, die er selbst erforscht in der tiefen, stillen Nacht, da kann man eine Stecknadel fallen hören in der ganzen, weiten Kirche –“

Bis dahin hatten Alle die Frau schweigend gewähren lassen, jetzt aber lachte Frau von Herbeck laut auf.

„Und bei diesen Forschungen in der tiefen, stillen Nacht secundirt ihm der alte Knasterbart, der Freigeist, der Soldat Sievert! Schöne Gesellschaft für einen Diener des Herrn!“ rief sie mit einer Art von wildem Triumph. „Excellenz, die Frau hat sich selbst gerichtet – sie ist Rationalistin durch und durch!“

„Den alten Sievert dürfen Sie mir nicht antasten, gnädige Frau!“ entgegnete die Pfarrerin stirnrunzelnd und hob protestirend die Hand gegen die Dame – den boshaften Angriff auf sie selbst ignorirte sie völlig. „Das ist ein braver Mann, der sich sein Leben lang aufgeopfert hat für Andere – er hat somit mehr Religion im Herzen, als Manche, die sie auf der Stirn und auf den Lippen tragen! … Kennt ihn Eines, so bin ich’s – er hat in meinem Hause gelebt, seit der wackere Hüttenmeister verunglückt ist. Damals kam er wie wahnsinnig vor Schmerz und suchte und fand Trost in der Pfarre. Und jetzt noch, nach elf Jahren, wo Niemand mehr an das schreckliche Unglück denkt –“

Das Gesicht der Baronin überflog eine momentane Blässe, und der Löffel, mit welchem ihre Hand mechanisch gespielt hatte, fiel klirrend auf die Tasse zurück – die schwarzen, funkelnden Augen aber hefteten sich drohend auf die Sprecherin – der Minister kam ihr zu Hülfe.

„Gute Frau, Sie haben vorhin gesprochen wie ein Buch!“ unterbrach er, als habe er gar kein Verständniß für ihre letzten Worte, mit beißender Ironie die Pfarrerin. Er zuckte die Achseln. „Es thut mir leid um die verlorene Mühe,“ fuhr er fort, „aber ich kann gar nichts thun und muß der Sache ihren Lauf lassen!“

„Ich verlange auch nichts, Excellenz, gar nichts!“ antwortete sie, indem sie das Händchen ihres Kindes wieder fest in die ihre nahm. „Es wird uns Allen zwar sehr schwer ankommen, den Stab weiter zu setzen und fortzugehen aus dem Neuenfelder Thal, wo wir einundzwanzig Jahre lang Glück und Unglück, Freud und Leid mit vielen guten Menschen redlich getragen haben –“

„Nein, Sie sollen nicht fortgehen!“ rief Gisela und trat neben die Frau. Ihre braunen Augen brannten – sie erschienen in diesem Moment fast dunkler, als die schönen, schwarzen der Stiefmutter, die sich in wortlosem Grimm starr auf ihr Gesicht hefteten – „Kommen Sie zu mir nach Greinsfeld!“ sagte sie fest.

„Gräfin!“ rief Frau von Herbeck und sank, die Hände zusammenschlagend, an die Stuhllehne zurück.

„Seien Sie ohne Sorge, gnädige Frau,“ sagte die Pfarrerin mildlächelnd zu der entsetzten Gouvernante, während sie Gisela’s dargebotene Hand herzlich drückte. „Ich nehm’ es nicht an, schon um der Gräfin selbst willen nicht! … Gott segne ihr gutes Herz! Sie soll nie eine trübe Stunde haben, am allerwenigsten aber um meinetwillen! … Aber Ihnen, Frau von Herbeck, sage ich noch Eines,“ fügte sie tiefernst hinzu und hob fast feierlich den Zeigefinger. „Der Mann geht, den Sie ,wie eine Natter zertreten’ haben. Sein Beruf ist ihm genommen worden, und das trifft ihn tausendmal härter, als wenn er Mangel leiden müßte. … Es ist eben eine Zeit, wo Sie Alles wagen können, denn Sie werden beschützt! … Aber glauben Sie ja nicht, weil Sie jetzt die Wahrheit unter den Füßen haben, daß es auch so bleibt! … Sehen Sie sich Neuenfeld an! Da wächst der Geist, den Sie niedertreten wollen, mit jeder Stunde! Und wenn Sie mit Keulen d’rauf schlagen, Sie bringen ihn nicht unter, er verschlingt Sie doch zuletzt, denn er hat das ewige Leben – er geht ja mit der Liebe zusammen, die das Christenthum zu allererst predigt. … Setzen Sie immerhin den alten Teufel mit seiner Hölle wieder ein, stellen Sie ihn vermessen dem lieben Gott gegenüber, bauen Sie ihm einen Thron, höher als den, auf welchem der Allmächtige sitzt – es hilft Ihnen Alles nichts – Sie machen eine Leiche nicht wieder lebendig!“

Sie verbeugte sich gegen den Minister und die junge Gräfin und ging.

Seine Excellenz sah ihr sprachlos nach – diese Kühnheit überstieg alle Grenzen; und er hatte nicht einmal Gelegenheit, die Frau zu strafen – er konnte ihren Mann doch nicht zweimal pensioniren. … Das sah einer Niederlage sehr ähnlich – in solchen Fällen aber hatte Seine Excellenz nie anders gewollt. Er setzte sich demnach sehr gelassen nieder und zündete seine erloschene Cigarre aufs Neue an.

Frau von Herbeck, deren bleichgewordene Lippen im tiefsten Zorn bebten, warf ihm einen heimlichen Blick voll Gift und Galle zu – in diesem Augenblick war doch die berühmte diplomatische Ruhe wahrhaftig nicht am Platze!

„Ein unverschämtes Weib!“ stieß die Baronin heftig hervor. „Und das wirst Du ungestraft hingehen lassen, Fleury?“

„Ei was – laß sie laufen!“ entgegnete er verächtlich.

Er lehnte sich behaglich zurück und ließ einige blaue Duftringel seinen Lippen entschweben, während er mit einem sarkastischen Blick seine Stieftochter von Kopf bis zu Füßen musterte – sie stand noch mit allen Zeichen tiefster Erregung vor ihm.

„Nun, meine Tochter,“ sagte er ironisch lächelnd, „Du warst ja eben im Begriff, Dein altes Greinsfelder Patronatsrecht zum Besten des fortgeschickten Pfarrers aufzufrischen! … Toleranz ist eine schöne Sache, aber neu und pikant wäre es doch, wenn sich die katholische Gräfin Sturm von einem protestantischen Geistlichen die Messe lesen ließe!“

Gisela hielt die gefalteten Hände fest gegen die Brust gedrückt, als wolle sie das Klopfen ihres Herzens beschwichtigen.

„Das ist mir nicht eingefallen, Papa!“ entgegnete sie mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_210.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2018)