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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

nicht gegenseitig in Respect, es würde sicherlich wenigstens zur Zeit der Noth einer den andern stoßen. Ein merklich verletzter wird von einem andern ihn wahrnehmenden gesunden ohne Weiteres getödtet und aufgefressen. Besonders zeichnet sich durch Unternehmungslust das stärkere und das Männchen um fünf Zoll überragende Weibchen aus. Die Ehe, welche mit Freudentönen und neckenden Flügen über den Horst einen friedlichen Anfang und bei keinerlei Mißgeschick eines Familiengliedes auch einen solchen Verlauf nimmt, endet, wenn einer der Gatten z. B. in Folge eines Schrotschusses erkrankt oder lahmt, mit unerbittlichem Morden von Seiten des gesunden.

Von zwei jungen, welche auf dem Horste schon zur stattlichen Größe herangewachsen waren, gelang es, das Weibchen wegzuschießen. Das Männchen, hierdurch scheu gemacht, kehrte nur selten mit Futter zum Horste zurück. Als der Schütze von seiner Bemühung abstand, das alte Männchen ebenfalls zu erlegen, und den Baum nach einigen Tagen besteigen ließ, worauf der Horst mit den Jungen stand, war der ältere junge Habicht nur noch allein am Leben oder vielmehr überhaupt noch vorhanden, der jüngere war ihm zur Beute geworden, wovon noch kaum nennenswerthe Ueberreste Zeugniß ablegten. Aehnliche Beispiele sind von den besten Forschern verbürgt, so daß kein Zweifel darüber waltet, der Habicht achte unter Umständen die Bande des Familienlebens nicht im Geringsten, und wenn man gar seinen Charakter im Gefangenleben kennen gelernt hat, kann man sich des natürlichen Abscheues nicht erwehren, denn da ist nichts als Mord, der an den Genossen fremden und verwandten Geschlechts begangen wird, sobald diese nur bezwingbar sind.

Trotz dieser unumstößlichen Thatsachen haben wir und Andere uns hinlänglich von der großen Anhänglichkeit der Habichte zu ihrer Brut überzeugt. Nie vergessen wir die haarsträubende Scene, wie ein armer Junge, der als guter Kletterer bekannt war und dem es sonst wahrlich an Muth nicht fehlte, am Horste von dem Habichtpaare angegriffen wurde, als er die Jungen ausnehmen wollte. Sie setzten ihm durch Flügelschläge und das Weibchen sogar durch Ankrallen an seine Kleider so zu, daß er beinahe alle besonnene Haltung verlor und in bedauerlichem Zustande mit genauer Noth vom Baume herabkam.

Die Unersättlichkeit der jungen Habichte nimmt die Sorge der Eltern fortwährend in Anspruch. Dadurch werden diese noch verwegener und furchtloser bei ihren Räubereien. Es ist Thatsache, daß die Hühnerhöfe eines bei Alsfeld gelegenen Dorfes während des Vorsommers von Habichten, welche im nächsten Hochwalde ihre Jungen pflegten, in wahrhaft erschreckender Weise geplündert wurden. Dicht vor den Augen der Leute raubten die Dreistgewordenen das Geflügel und fielen sogar in ihrer Frechheit alte Gänse an.

So kennzeichnet sich selbst der mit Recht von Beschützern der nützlichen und herzerfreuenden Thiere gründlich gehaßte Habicht, und bei der geringen Ausdauer und der noch geringeren Geschicklichkeit, mit der ihm nachgestellt wird, treibt er leider sein verheerendes Unwesen in der ausgedehntesten Weise. Zwar nöthigt er durch seine Gewandtheit und Schnelligkeit, durch seine Schlauheit und insbesondere durch seinen zum Schutz der Nachkommenschaft hochsteigenden Muth dem mit diesen Zügen Vertrauten eine gewisse Achtung ab, aber als Mörder, der keine Grenzen einhält und oft Seinesgleichen nicht schont, und als widerwärtiger Nimmersatt, sowie als Feind des geselligen Lebens und Urbild der ausgeprägtesten Selbstsucht verdient er es, ebenso wenig eines Menschen wie eines Vogels Freund zu sein.

Karl Müller.     


Literarische Briefe.

An eine deutsche Frau in Paris.
Von Karl Gutzkow.
III.

Ja, da haben wir nun ein schönes Unglück –! Ihr nun rege gewordener Eifer für die vaterländische Literatur will meinen Briefen und Anleitungen schon zuvorkommen, Ihr Gatte unterstützt denselben, bringt ein Convolut Zeitungen aus seinem Casino mit, Ihr Auge fällt auf eine glänzende Empfehlung des neuen Romans „Hermann Stark. Deutsches Leben von Oscar von Redwitz. Drei Bände (Stuttgart, Cotta)“, die in der Allgemeinen Zeitung gestanden hat, Sie schicken in eine der deutschen Buchhandlungen, deren sich Paris mehrer zu erfreuen hat, lassen sich die drei kolossalen, geschmackvoll ausgestatteten Großoctavbände kommen, lesen und – schreiben mir: „Ist es denn aber erhört, daß man noch den Deutschen ein solches Buch anbieten kann! es sogar anempfiehlt! in einer der ersten Zeitungen Europa’s! Im ersten Capitel wohnt in einer langweiligen kleinen Stadt (die Langeweile wird beschrieben) ein Advocat in der Nähe des ‚Storchenthurms‘ mit seinem Ehegespons und hat jahrelang eine kinderlose Ehe zu beklagen. Im zweiten Capitel kommt endlich ein Spätling, wird getauft und sowohl die ‚nudeldicke Hebamme‘ wie die Pathen werden beschrieben auch wird der Grund für die Wahl des Namens Hermann erörtert. Im dritten Capitel sieht man den jungen Helden in den Windeln, im Einschlag, und allmählich wächst er in die Hosen. Im vierten spielt er mit bleiernen Soldaten und weckt so günstige Hoffnungen, daß der Vater vor Freude manchmal ‚einen Schoppen mehr aus dem Wirthshause kommen läßt als gewöhnlich‘. Im fünften (wir sind schon auf Seite 44) verwildert das Hermännchen, hat Prügeleien mit Nachbarkindern und nimmt, ein rechter ‚Ruinirjunge‘, Nester aus, wobei die Hosen draufgehen. Im sechsten findet sich eine große dramatische Scene, wie sich die Metzgersfrau beklagt, deren Söhnchen ‚des Stark’s Hermann‘ ich glaube den Rock zerrissen hat. Zur Strafe dafür soll er fasten, trotzdem daß es Schweinebraten giebt, wohingegen eine mitleidige Köchin durch heimlich zugesteckten Pfannenkuchen dem Verhungern abhilft. Damit stehen wir schon auf Seite 81! Nein, das ist denn doch wahrlich zu kindisch! Solche Sachen schreibt man jetzt in Deutschland?! Und erste Classikerbuchhandlungen verlegen sie?! Und erste Zeitungen, die Allgemeine in Augsburg, verkündigen sie als neue Eroberungen des guten Geschmacks und der deutschen Poesie?!“

Ich bin beschämt, meine erzürnte Freundin! Denn ich habe gegen Ihre Entrüstung nicht ein Wort der Widerlegung aufzubringen. Ich bin so starr wie Sie über diese drei Volumina, die ich weiter gelesen habe. Der Held kommt auf die Schule, macht in einem Städtchen Frankens alle üblichen Schülerschwänke und Leiden eines Gymnasiasten durch, bezieht die Universität, paukt sich, trinkt Bier, singt die üblichen deutschen Commerslieder und der erste Band von 424 Großoctavseiten ist zu Ende. Der zweite Band von 372 Seiten führt uns den Helden als Rechtspraktikanten, Advocaten, glücklichen Vertheidiger verschiedener Angeklagten, Bräutigam, jungen Ehemann vor. Der dritte Band von 497 Seiten läßt ihn Deputirter werden, er bringt es beinahe bis zum Minister, entwickelt in einer Posa-Scene vor Seiner Durchlaucht dem Herzog seine Ansichten über Welt und Zeit (jedes dritte Wort lautet dabei: „Halten zu Gnaden, Durchlaucht“), verdient als Advocat viel Geld, wendet es aber thöricht an, indem er einen altgräflichen Grundbesitz kauft, der sich nicht rentirt, er fallirt, hebt sich jedoch wieder empor; er wird wieder Advocat, aber, ach! – sein Vater ist gestorben und später auch seine Mutter. Und die alte Dorothea, die ihm damals den Eierkuchen zugesteckt, als es Schweinebraten gab und er fasten mußte, ist auch todt. Doch seine Kinder versprechen sich zu entwickeln. Schluß.

Bei einer solchen geradezu unglaublichen Verirrung eines Schriftstellers von Ruf möchte man sagen: Ihr habt es ja nicht anders gewollt! Ihr schwärmtet für „Amaranth“ (auch Sie werden das zierliche Goldschnittbuch als erste Grundlage einer selbstständigen Jungfrauenbibliothek über Ihr epheuumwundenes Schreibpult gestellt haben!), und so demaskirt sich der „Idealismus“, wenn er einmal die bunten Gewänder schöner Phrasen abgelegt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_231.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2022)