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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

gelernt,“ sagte Caspar Förster. „Fühlt Ihr die Kraft dazu in Euch, dann will ich Euer Lehrmeister werden. Aber versteht wohl, von Weibern lasse ich kein Wort hineinreden in meinen Unterricht. Wenn Ihr den Muth habt, Euch in meine Hände zu geben, so bedenkt, daß ich Euch ganz allein haben will.“

„Ich habe nichts mehr zu bedenken,“ lautete die Antwort, „ich verschreibe mich Euch mit Leib und Seele.“

Und so geschah es. Noch in derselben Stunde verfügte sich Franciscus zu seiner bezaubernden Lehrmeisterin und gestand ihr, daß er sich fortan einem Mächtigern ergeben. Heimlich fürchtete er einen Ausbruch zärtlicher Bitten und Beschwörungen und fragte sich zagend, wie er denen wohl widerstehen solle. Aber sie bat nicht, die schöne Pariserin, sie gerieth vielmehr in den heftigsten Zorn und machte dem hübschen Pagen das Scheiden leichter, als er zu hoffen gewagt. Die lockenden Lippen sprudelten über von den bittersten Reden, sie überhäuften abwechselnd le monstre von Capellmeister und den ehemaligen Liebling mit Schmähungen, die niedlichen Hände zerrissen verschiedene Spitzentücher und endlich wies die Sängerin dem Erschrockenen in aller Form die Thür – für immer – wie sie ihm noch nachrief. Zwar sandte sie am nächsten Morgen schon einen Boten zu ihrem ehemaligen Schüler mit dem Befehl, sich sofort zu ihr zu begeben, dem Franciscus aber nicht nachkam, und später fand eine Art Versöhnung statt, allein die Sing- und Plauderstunden hatten ein Ende, und der junge Sänger mühte sich in der That, mit aller Energie zu vergessen, was er bis zur Stunde gelernt. Und nun – wie bitter traurig war’s jetzt noch hören zu müssen: „Mein Sohn, es wird nichts aus Euch!“

Franciscus de Minde zerbrach sich seit jenen Worten seines gestrengen Lehrmeisters vergebens den hübschen Kopf, wie wohl das Leben zu ändern sei, das er in Kopenhagen nun schon seit Jahren führte, und das ihm halb unbewußt zur süßen Gewohnheit geworden war. Sein königlicher Schützer lachte ihn aus, als er ihm von den Befürchtungen des Capellmeisters redete, und die schönen Frauen, Angelique la Barre an der Spitze, verdoppelten ihre verführerische Freundlichkeit gegen ihn, um den „Weiberfeind“, der sich durch keinen schmachtenden Augenaufschlag, durch kein Lächeln blenden, durch kein süßes Schmeichelwort fangen ließ, zu kränken. Zudem brauchte der hohe Herr die Gesellschaft seines Lieblings jetzt nöthiger als je, er bedurfte der Zerstreuung. Das Heranrücken seiner Feinde, der Schweden, machte ihm schwere Sorgen. Die Nachrichten aus dem Lager lauteten täglich bedrohlicher. Immer neue Truppen, die besten Söhne des dänischen Landes, rückten den Schweden entgegen und immer neue Kämpfer verlangte man. Man redete nur vom Kriege und sah rings umher angstvolle Gesichter.

Eines Abends saß Caspar Förster einsam in seinem Arbeitszimmer, in alte Notenheften blätternd und dann und wann eine Stelle leise vor sich hin summend. Es sah nicht eben behaglich aus in diesem Asyl des berühmten Sängers und Capellmeisters, eine ordnende Frauenhand war in dies Heiligthum nie gedrungen. Fingerdick lag der Staub auf den Büchern und Notenheften, das kleine Spinett ächzte unter der Last von Musikalien und Kleidungsstücken, die darauf ihren Platz gefunden und gewöhnlich mit einem Ruck herabgeschleudert wurden, wenn Caspar Förster den Deckel aufschlug. Ein paar Stiefeln dienten einer Laute als Unterlage, und auf einer gewaltigen Baßgeige hing die etwas desolate Perrücke des Sängers. Die Reste eines frugalen Mahles hatten unter dem großen Sessel ihren Platz gefunden. Da klopfte es leise an die Thür, und auf den rauhen Zuruf erschien die zierliche Gestalt des hübschen Pagen auf der Schwelle, aber er trat nicht mit der gewöhnten liebenswürdigen Freundlichkeit seinem Lehrmeister entgegen, bleich und unruhig sah er aus, und eine ungewöhnliche Erregung leuchtete aus seinen Augen.

„Was wollt Ihr hier zu dieser Stunde?“ fragte Förster erstaunt.

„Still, still! Heimlich Abschied nehmen!“

„Abschied? Will Euch etwa die la Barre nach Frankreich entführen als ihren Schleppenträger?“

Helle Gluth stieg jetzt in die Wangen Francesco’s.

„Ihr denkt sehr gering von mir, aber eben um Euch besser von mir denken zu lehren, gehe ich. Lebt wohl, es soll doch noch etwas Ordentliches aus mir werden, – oder gar nichts. Fragt nicht, wohin ich gehe – ich habe Tage und Nächte nachgedacht, ehe ich zum Entschluß gekommen, Ihr werdet Gutes von mir hören oder – nichts mehr. Ihr hattet Recht: so konnte es nicht fortgehen und ändern ließ sich hier nichts! Auf Wiedersehen! Ich danke Euch für jedes Scheltwort und werde Euch ewig lieben! Sagt Niemandem, daß ich Abschied von Euch genommen, ich sagte Niemandem ein Lebewohl: Francesco de Minde soll für Alle verschwinden.“

Und ehe er’s verhindern konnte, hatte der Jüngling die Hände Caspar Förster’s ergriffen, an Brust und Lippen gedrückt und das Zimmer verlassen. Der schöne Page war entflohen aus Kopenhagen, und Keiner wußte, wohin er gegangen.

Vielleicht drei Monate nach dieser kleinen Scene näherte sich in den Abendstunden eines heißen Schlachttages ein kleiner Trupp schwedischer Soldaten dem Zelte ihres Feldherrn, des tapferen General Wrangel. Sie führten einen Gefangenen in ihrer Mitte, der mit verbundener Stirn so leicht und fröhlich einherschritt, als gälte es einem heiteren Feste entgegenzueilen. Vor dem Zelte machten sie Halt – der wunderliche Gefangene hatte durchaus verlangt zum Feldherrn gebracht zu werde. Der Posten vor dem Zelte machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand – wie gebannt blieben die Soldaten stehen. Die Töne einer Geige wurden laut, – der berühmte General überließ sich nach den Mühen und Gefahren des Tages seiner höchsten Leidenschaft: dem Geigenspiel. Sie kannten sie alle an ihm und wußten, daß nur die Ueberbringer wichtiger Botschaften ihn in einer Passage oder einem Adagio stören durften. Es war ein seltsamer Contrast diese weichen süßen Klänge, die über ein Soldatenlager zogen und denen sie Alle so gerne lauschten.

Heut spielte der Tapfere mit besonderer Lust, wie es schien, ein Läufer reihte sich an den anderen, ein Triller folgte dem anderen, aus einem kecken Allegro ging er über, ohne anzuhalten, in ein schmelzendes Adagio – die Geige wurde nicht müde zu singen. Und immer größer wurde der Kreis der leise herbeischleichenden Hörer, man lagerte sich auf den Boden in zwanglosen Gruppen, und die Töne zogen über die Häupter hinweg wie leichtbeschwingte Friedensengel. Mit strahlendem Angesicht lauschte aber der junge Gefangene.

„Man hat mir nicht zu viel erzählt von meinem Herrn Collegen,“ sagte er lächelnd, „aber ich hoffe, meine Geige soll ihm auch gefallen!“

Und als eben jetzt der Spieler in jene bekannte Melodie überging, deren Text die Thaten des Königs Gustav von Schweden feierte, da fiel der Gefangene plötzlich mit heller Silberstimme ein und sang das Lied. Niemand wagte, ihm Schweigen zu gebieten, wie ein Zauber umfing es Alle. Der Klang war so süß und rein, die Stimme von einer Frische und Weichheit ohne Gleichen. Die Geige Wrangel’s begleitete leise und leiser, sie verstummte endlich ganz. Der Sänger schien es nicht zu bemerken, denn er hielt eben nach dem Beispiel Caspar Förster’s, seines Lehrmeisters, eine Fermate aus, die endlos schien und den Zuhörern den Athem zu nehmen drohte. Da hob sich dann der Vorhang des Zeltes und die Heldengestalt des Feldherrn wurde sichtbar. Die Geige hielt er noch in der Hand, und die Feueraugen hefteten sich mit einem Ausdruck des Staunens und der Bewunderung auf den jungen Sänger. Furchtlos begegnete Francesco diesem Blick, und als die Fermate schloß, legte Wrangel sanft seine Rechte auf die Schulter des Jünglings und sagte:

„Dankt Gott für Eure Stimme, mein Sohn, Ihr werdet die Welt von Euch reden machen. Woher kommt Ihr und was sucht Ihr im Kriege?“

„Eine Narbe für mein Gesicht und – den guten Rath meines berühmten Collegen, des General Wrangel,“ lautete die Antwort.

„So kommt mit mir in mein Zelt und erzählt mir Alles!“ lächelte der Feldherr, und die Vorhänge des Zeltes schlossen sich hinter den Gestalten der beiden Collegen. –

Was die Beide nun miteinander so vertraulich verhandelt haben, zum maßlosen Staunen der Soldaten, ist nie bekannt geworden, historisch ist aber, daß Francesco de Minde den General nicht mehr verließ, ihn später nach Schweden begleitete, wo der Feldherr den Sänger als die „beste Kriegsbeute“ dem Könige gleichsam zum Geschenk machte. Hier in den Prunkgemächern des königlichen Schlosses zu Gothenburg wiederholte sich die Geschichte

Saul’s und David’s: der kranke Herrscher konnte die süße Stimme

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_235.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)