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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Gräfin von Völdern und Du, meine Tochter!“ Er hob die Lider – ein sehr ausdrucksvoller, wenn auch unheimlich lauernder Blick fuhr über das Mädchengesicht, wobei eine leisen fahle Röthe in seine Wangen stieg. „Was überhaupt für Hindernisse Deiner Vorstellung bei Hofe entgegenstehen, kannst Du selbst ja gar nicht ahnen!“ fügte er mit großem Nachdruck hinzu. „Die Aufklärung kann und wird für Dich nicht ausbleiben, allein –“

Ein Diener trat ein und meldete, daß die Anwesenheit Seiner Excellenz im Fremdenflügel dringend nöthig[WS 1] sei.

„Nun, da behüte Dich Gott, Kindchen!“ wandte sich der Minister eilfertig, aber mit völlig verändertem, zärtlich väterlichem Ton an Gisela. „Lasse Dir die Zeit in Greinsfeld nicht zu lang werden.“

Er hob den Hutrand der jungen Dame und wollte sie auf die Stirn küssen – sie wich heftig zurück, und die braunen Augen maßen ihn finster und sprühend.

„Närrchen Du!“ lächelte er und strich nichtsdestoweniger mit dem Zeigefinger liebkosend über ihre Wange – die spitzen, weißen Zähne blitzten raubthierartig zwischen den bleichen, einwärts gekrümmten Lippen, und unter den Lidern hervor zuckte es wie ein Wetterleuchten.

Er entfernte sich, und Gisela ging mit Frau von Herbeck, um sich bei der schönen Stiefmutter zu verabschieden.

Die Baronin bewohnte gegenwärtig die Appartements, welche die junge Gräfin als Kind inne gehabt hatte – sie boten die schönste Aussicht im ganzen Schloß.

Ihre Excellenz empfing die Besuchenden in ihrem Ankleidezimmer. Sie blieben einen Augenblick unschlüssig an der Thür stehen; denn es war in der That ein Problem, wie sie zu der Dame gelangen sollten. Mademoiselle Cecile, die sehr vergilbte französische Kammerfrau, hatte die Pariser Kiste ausgepackt, und endlos, wie die Uebel aus der Pandorabüchse, waren Gazewogen und glitzernde Seidenstoffe hervor gequollen. Selbst das Parquet war bedeckt mit Cartons voll Blumen und mit Kästen, aus denen buntfarbige Stiefelchen ihre kleinen Absätze streckten.

Die Baronin stand vor dem Ankleidespiegel und hielt Anprobe – jedenfalls ein blutsaures Geschäft, denn der Kammerfrau, die mit flinken Händen ordnete und arrangirte, standen die Hellen Schweißtropfen auf der Stirn. … Der Pariser Schneider war offenbar mit hoher Intelligenz auf die Ideen der schönen Frau eingegangen – die Toilette repräsentirte den Wald, den frischen, grünen Wald in dem kleinen Kranz von Maiblumen, Erdbeerblüthen und jungen Tannenspitzen, der auf der Stirn der Dame lag, in dem schweren, mit eingewebten Eicheln bedeckten, grünen Stoff, welcher in seinem Knistern an das ferne Rauschen der heiligen Eichen erinnerte. Weniger heilig und dem keuschen Hauch des deutschen Waldes entsprechend war die Form des Gewandes, das ohne Aermel, nur mittels einer schmalen, grünen Spange auf den Schultern zusammengehalten wurde. Wohl traten die alabasterweißen, wundervollen Formen der Arme und des Nackens plastisch hervor – die Frau erschien hinreißend schön; aber es war doch gut, daß sie – keinen deutschen Namen mehr trug.

Die Damen konnten beim Eintreten das Gesicht der Baronin im Spiegel sehen – es strahlte im Triumph; gleichwohl zog sie wehklagend die Augenbrauen zusammen, und um den reizenden Mund glitt ein schmollender Zug, fast im Genre des verzogenen, eigensinnigen Kindes.

„Liebste Gisela, danke Gott, daß Du nicht in meiner Lage bist!“ rief sie, sich umwendend, dem jungen Mädchen entgegen. „Da sieh nur, wie ich mich plagen muß – stundenlang martert diese Mademoiselle Cecile mich arme Creatur! Ich kann kaum noch auf den Füßen stehen!“

Die kleinen Füße waren jedenfalls nicht so treulos, wie ihre reizende Besitzerin verleumderischer Weise behauptete; denn sie stand plötzlich leicht und sicher nur auf dem rechten, hob die Robe ein wenig empor und streckte den linken, mit einem eleganten Schuh bekleideten Fuß graciös hervor.

„Sagen Sie, Frau von Herbeck,“ meinte sie lächelnd, „ist die Toilette nicht süperb?“

Die Askese der Gouvernante hatte mit ihrem „vortrefflichen Geschmack“ nichts zu schaffen, und deshalb pries sie mit überfließenden Lippen und entzückt schwimmenden Augen das Meisterwerk des Pariser Schneiders.

Währenddem hatten die Damen einen Weg ausfindig gemacht und standen jetzt vor der schönen Frau.

„Herzliebste Gisela, was sagst Du nur dazu, daß wir so rücksichtslos sein müssen, Dich nach Greinsfeld zu schicken?“ fragte sie lebhaft.

Gisela antwortete nicht. Sie blickte durch das Fenster hinunter in den Garten; über ihr ganzes Gesicht floß jener zartrosige Hauch, der auch die weiße Rose verschämt aussehen macht – das junge Mädchen sah zum ersten Mal einen jener modernen Damenanzüge, die den Zweck als Hülle völlig verlieren und fast nur noch den Eindruck eines eleganten Rahmens machen, der ein reizvolles, aber schamloses Bild umschließt.

Die schöne Stiefmutter mißverstand das Schweigen und die Verlegenheit der jungen Gräfin vollständig.

„Du bist beleidigt, liebes Herz,“ sagte sie in bedauerlichem Ton – eine Beimischung von Aerger klang aber auch mit; „allein können wir denn anders? … Wir werden ohnehin wie die Häringe zusammengepackt sein in diesem verwünschten Nest, das so weitläufig und großartig aussieht und doch so wenig Platz und Comfort bietet!“

Inzwischen hatte die Kammerfrau verschiedene Etuis geöffnet und begann den Kranz im Haar ihrer Gebieterin und die Bouquets auf dem Kleid mit Diamanten buchstäblich zu bestreuen.

Welch’ eine Pracht funkelte auf dem blauen Sammetpolster der geöffneten kleinen Kästen! Es war eine wahrhaft kolossale Menge der auserlesensten Brillanten, zu deren Anhäufung jedenfalls mehrere Generationen einer Familie und fabelhafte Geldsummen gehört hatten.

„Ah, Großmama’s Brillanten!“ rief Gisela überrascht, aber doch unbefangen, als ihr die Steine entgegenblitzten.

Unmittelbar nach diesem Ausruf stieß die Baronin einen leisen, halbunterdrückten Schrei aus, zog die Schultern in die Höhe und schauerte in sich zusammen wie die berührte Mimose. Sie stampfte leicht mit dem Fuße auf.

„Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, Mademoiselle Cecile, daß Sie mir nicht mit den Fingern an die Schultern kommen sollen?“ fuhr sie die Kammerfrau an. „Ihre Hände sind geradezu froschartig – ich verabscheue sie! … Eine perfecte Kammerfrau muß ihre Dame anziehen können, ohne daß sie es merkt – begreifen Sie das noch immer nicht?“

Wie um der unglücklichen gescholtenen Zofe zu Hülfe zu kommen und die erzürnte Frau auf ein anderes Thema zu lenken, griff Gisela nach einem Armband und legte es um das Handgelenk – sie erreichte ihren Zweck vollkommen – die Dame hatte auch während ihres Zornausbruches jedenfalls nicht einen Moment die Stieftochter und die großmütterlichen Brillanten aus den Augen verloren, denn jetzt verfolgte sie mit einem wahrhaft verzehrenden, tigerartigen Blick die Handbewegung des jungen Mädchens.

„Liebes Kind, das macht mir Herzklopfen!“ sagte sie mit nervös bebender Stimme und griff ohne Weiteres nach dem Bracelet. „Du magst nun streiten wie Du willst, Deine Hände haben leider einmal eine krampfhafte Unsicherheit – Du bist im Stande, das Armband fallen zu lassen, und verdirbst mir den Schmuck!“

Gisela heftete die ruhigen braunen Augen erstaunt auf ihre Stiefmutter.

„Ei, liebe Mama,“ sagte sie lächelnd und legte die Linke wie vertheidigend auf das Armband, „wenn Papa Dir die Diamanten zur Anprobe anvertraut hat, so habe ich wohl auch ein wenig das Recht, sie einmal in die Hand zu nehmen. … Uebrigens begreife ich nicht recht, was die Steine hier sollen. Wie oft habe ich Papa um das Medaillon gebeten, das Großmama an einem Sammetband trug – es enthielt das Bild meiner seligen Mama. Er hat es mir stets streng verweigert, weil nach Großmama’s Testament der gesammte Schmuck unter Verschluß bleiben solle, bis ich mündig sei.“

„Ganz recht, mein Schatz,“ entgegnete die Dame langsam, mit schwerer, hohnvoller Betonung – ein wahrhaft dämonischer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nöhig
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_243.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2021)