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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Krokodilenjäger, an den Prinzen jedoch nur mit einigem Widerstreben, indem es nirgends mehr als im Oriente von problematischen Proteusnaturen wimmelt, deren erstaunliche Vielgestaltigkeit nur im Lande der Sonne zur höchsten Vollentwickelung gedeiht. Vielleicht hätte sich, dachte ich damals boshaft genug, das angebliche Königskind als ein ungarischer Flüchtling mit Namen „Kalman“ entpuppt, der in der Fremde zum Prinzen avancirt war, oder wäre zu „Haiman Prinz“, einem speculativen Israeliten, zusammengeschrumpft, der für europäische Sonntagsjäger am Nil mit Krokodilenmumien Handel getrieben … Dies war ja Alles möglich, denn in Aegypten kannte ich den Prinzen Kaiman nicht persönlich und selbst jetzt, nachdem ich ihn gesehen, mit ihm gespeist und aus seinem Munde vernommen, daß er sich nach Naxos begebe, um dort seine Hochzeit mit einer schönen Naxiotin aus altvenetianischem Blute zu feiern, hatte sich meine unrespectirliche Meinung über Seine Herrlichkeit noch nicht wesentlich geändert. Es giebt gar wunderliche Käuze in der bunten Welt des Orients!

Unter den Verdeckpassagieren befand sich ein halb Dutzend griechischer Gensd’armen, welche, nach Aussage des Capitäns, der königliche Nomarch (Prafect) von Syra auf das freundliche Ansuchen des Pascha’s von Rhodus, des Statthalters des türkischen Archipels, nach den Cykladen sendete, um nach einer Falschmünzerbande zu fahnden, die, wie man vermuthete, von hier aus den Geldmarkt von Stambul mit falschen Tresorscheinen förmlich überschwemmte. Der Führer des „Panhellenion“ hoffte mit Hülfe der Panagia, d. h. der heiligen Jungfrau, und der Gensd’armen bei seiner Ruckreise die gefangenen Spitzbuben an Bord zu haben. Spitzbuben an Bord zu haben, ist in den griechischen Gewässern durchaus nicht schwierig, und wer weiß, dachte ich, ob … und Prinz Kaiman fiel mir unwillkürlich ein. Wir hatten indeß in Mykoni eine türkische Dame und ihren Diener, wie es schien, an Bord genommen. Die Dame trug den weißmusselinenen „Jaschmak“ (Kopftuch) der Frauen Stambuls und einen schwarzen Roßhaarschleier nach Cairenser Mode. Während wir gen Naxos dampften, bemerkte ich auf dem Verdeck in einem nach Art der Hühnerkäfige gefertigten vergitterten Kasten ein in Stroh eingebundenes, prächtig ausgestopftes Krokodil, welches der Negergroom des Prinzen zu hüten schien. Ich fragte den Berberjungen aus und erfuhr, daß der mächtige Saurier die Ehre habe, dem Privatmuseum des Prinzen Kaiman anzugehören. Seit meinem Gespräche mit dem Jungen schien es mir, als verfolge mich die türkische Dame mit ihren Blicken, ich trat deshalb einmal hart an sie heran und sah ihr fest durch die Maskenlückem Obwohl sie sich rasch abwandte, bemerkte ich doch in ihren glänzenden Augen einen so unheimlichen Ausdruck, daß ich von diesem Augenblicke an ein geheimes Grauen vor diesem Weibe verspürte.

Wir hatten uns indessen der Nordseite von Naxia rasch genähert. Da die Stadt keinen Hafen hat, so hatten wir auf offener Rhede Anker geworfen, als unser Schiff von einer bunten Menge im Sturm erklettert ward. Einer der Kletterer, ein schmächtiges Männlein im Galafrack mit verblaßter Goldstickerei und mächtigem Federhute, hatte mich kaum in’s Auge gefaßt, als er mich voll Entzücken in die Arme schloß. Zwei andere Herren von etwas vernachlässigter fränkischer Toilette, die nichts destoweniger in engen Beziehungen mit dem „Goldgestickten“ zu stehen schienen, ahmten dessen Beispiel trotz meiner verblüfften Miene in nicht minder stürmischer Weise nach. Von dem Bruderkusse sämmtlicher Naxioten bedroht, erinnerte ich mich in meiner Herzensangst meiner unseligen Aehnlichkeit mit dem Prinzen Kaiman und, einen Schritt zurücktretend, sprach ich auf italienisch: „Meine Herren, Sie irren sich zweifelsohne in der Person, ich habe nicht die Ehre, Seine Herrlichkeit der Prinz Kaiman zu sein.“

Die Wirkung war eine augenblickliche, radicale. Die Herren schauten sich mit so kläglichen Mienen an, als wollten sie in Thränen ausbrechen, was sie vielleicht auch gethan hätten, wäre ich nicht meinerseits in Lachen ausgebrochen. In diesem kritischen Momente erschien Seine Herrlichkeit, gefolgt von ihrem buntgeflickten Dienstpersonale. Die Umhalsungsscene wiederholte sich nun in derselben Weise, nur mit dem Unterschiede, daß der Prinz die Loyalitätsbezeigungen der zärtlichen Naxioten in der herzlichsten Weise erwiderte.

Ehe diese hochkomische Gruppe das Schiff verließ, überraschte ich zufällig zwischen der Türkin und dem Prinzen Kaiman einen Blick des Einverständnisses, der gewisse geheime Beziehungen zwischen Beiden außer allem Zweifel setzte. – Am Ufer trafen wir die halbe Stadt versammelt. Etwas abseits, streng von der großen Menge abgesondert, schienen mehrere Personen des Prinzen und seiner Freunde zu harren. Unter ihnen bemerkte ich eine schlanke junge Dame von vornehmer Haltung und schön, wie ein Dogenkind auf einem altvenetianischen Bilde. Sie trug ein dunkles Reitkleid, die goldgestickte Jacke der Levantinerinnen und einen winzigen Fez auf dem Ohre. Die reizende Amazone reichte dem Prinzen lächelnd die Hand, welche dieser begierig küßte. Kein Zweifel, es war seine Braut! Doch in welchen Beziehungen mochte der Abenteurer zur Türkin stehen?

Ich hatte für Naxos zwei Empfehlungsbriefe in der Tasche. Der eine, vom Secretär der britischen Gesandtschaft in Athen, war für einen Herrn Markopoliti, Dimarchen oder Bürgermeister der Stadt Naxia, und der andere, den mir Bicchi, der italienische Consul auf Rhodus, bei meinem letzten Besuch der Insel auf der Rückreise aus Syrien gegeben hatte, lautete auf den Marquis von Sommariva, gewesenen spanischen Consul auf Naxos.

Hier bemerke ich, daß Empfehlungsbriefe für die Cykladen eine um so unentbehrlichere Vorsichtsmaßregel sind, als man auf dem ganzen Archipel, den „englischen Hof“ in Syra ausgenommen, kein einziges Hôtel vorfindet.

Um also eine Unterkunft zu gewinnen, ließ ich mich nach dem Hause des griechischen Dimarchen führen. Ich fand einen stattlichen Inselgriechen im besten Mannesalter, dem die malerische Nationaltracht ganz vortrefflich stand. Markopoliti, wie ich später erfuhr, der Chef der vornehmsten naxiotischen Griechenfamilie, stellte mir sein Haus, wo Alles großen Wohlstand und eine musterhafte Ordnung athmete, mit seltener Gastfreundlichkeit zur Verfügung. Eine Stunde nach meiner comfortablen Installirung saß ich auf der Terrasse neben dem Hausherrn, dessen Gemahlin uns, der griechischen Sitte gemäß, eigenhändig den Kaffee mit dem obligaten Tschibuk und der Glyko- oder Confitürenschale darreichte.

Nachdem sich Frau Markopoliti voll Discretion zurückgezogen, wurde unser Gespräch vertraulicher. Ich theilte dem Dimarchen mit, daß ich noch einen Empfehlungsbrief und zwar an den Marquis Sommariva in der Tasche habe. Der Grieche lächelte geringschätzig und rief spöttisch:

„Die lächerlichsten Leute von der Welt, diese ‚Schloßbewohner‘, die da oben in den alten Spinnennestern der Citadelle hausen. Das will großthun und hat nicht einmal die Mittel ein paar Stiefeln zu bezahlen. Sie heißen Covonello, Sommariva, La Roca, Francopulo und Morosini, stammen von den Sanudo und Crispo ab und vererben seit vielen Jahren von Vater auf Sohn nichts, als ihre Schulden, Stammbäume und Wappenschilder. Rechte Hungerleider, dieser lateinische Schloßadel!“

„Aber der Marquis Sommariva …“ fiel ich dem Dimarchen in’s Wort.

„Ein Bettelmarquis,“ fuhr dieser heraus.

„Gewesener spanischer Consul,“ begann ich wieder.

„Vor der Befreiung vom Türkenjoche,“ eiferte der Grieche, „allerdings, doch das ist lange her und von der Herrlichkeit bleibt dem Alten nichts mehr, als der Rock … Zwar,“ fuhr Markopoliti nach einer Pause fort, „hat die alte Schloßspinne jetzt für die junge Marchesina eine Goldfliege gefangen, und ich denke, Seine Herrlichkeit der Prinz Kaiman wird den abgeblaßten Wappenschild der Sommariva wieder frisch vergolden.“

Die schöne Braut meines Doppelgängers war also die Tochter des Marquis von Sommariva, an den ich empfohlen war. Wenigstens keine Mesaillance für den Krokodilenprinzen!

Tags darauf machte ich mich trotz der Spöttereien meines Wirthes oder vielleicht gerade aus diesem Grunde und auch ein Bischen, um die schöne Marchesina wiederzusehen, nach dem hochgelegenen Schloßviertel auf den Weg. Hier innerhalb der früheren Ringmauern der herzoglichen Burg, von wo ehemals die Sanudos ihr Zwölfinselreich beherrschten, wohnt heute eine darbende, klägliche Bevölkerung von einem halben Tausend fränkischer Edelleute venetianischen Geblüts in einem uralten, winkelhaften, schmutzigen Häusercomplex, der kaum würdig erscheint, ein arbeitsscheues, verkommenes Proletariat zu beherbergen. Ein Proletariat haust hier

in der That, aber ein adeliges, bei welchem der Müßiggang erblich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_249.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)