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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zu sein scheint, denn in diesen engen, dumpfigen Treppengassen regt sich nichts als der lungernde Bettel. Keine Spur hier von Lebensfähigkeit und Nützlichkeitstrieb, und während unten in der Stadt die rührigen Griechen rüstig auf der Bahn des Wohlstandes fortschreiten, brütet und schmollt hier oben ein siechendes Geschlecht auf modernden Pergamentstößen. –

Ein halbnackter Junge zeigte mir das Haus des Marquis. Das Wappen der Sommariva, der über drei Balken springende Löwe, zierte den Thorbogen.

Ich ließ den Klopfhammer niederfallen und war nicht wenig erstaunt, in dem Portier einen der Nubier des Prinzen zu erkennen. Der Leibhusar führte mich sodann in den Salon, dessen gothische Spitzbogenfenster eine prächtige Aussicht auf’s Meer gewährten. Ein Divan ringsum an den Wänden und ein reichverzweigter Stammbaum unter Glas und Rahmen waren die einzigen Möbel. Während ich den Stammbaum studirte, erschien der Hausherr. Es war dieselbe Caricatur von gestern in demselben wunderlichen Aufzuge, nur hatte die gestrige überschwengliche Freundlichkeit heute einer frostigen, steifen Gelegenheitsmiene Platz gemacht, die meine Lachmuskeln in eine gefährliche Versuchung führte. Nachdem der Marquis mich auf französisch um mein Begehren gefragt, buchstabirte ich meinen Namen und überreichte Bicchi’s Empfehlungsschreiben. Während der Inselbaron den Brief las, zog sich sein Gesicht immer mehr in die Länge; einen Moment ließ ich den Armen in der Angst, mich beherbergen zu müssen, zappeln, dann bemerkte ich lächelnd, daß ich bereits bei dem Dimarchen eine gastfreie Unterkunft gefunden habe. Urplötzlich dehnten sich jetzt die langen Falten im Antlitz Sommariva’s in die Breite, so daß ich einen Moment befürchtete, die ganze Gesichtsmaske des Alten gehe aus den Fugen. – Natürlich sprach er jetzt sein Bedauern aus, daß ich nicht zuvor seine Gastfreundschaft in Anspruch genommen habe, und lud mich zu einem Glas Zuckerwasser ein. Nach einer kurzen Visite verließ ich das Palais Sommariva, ohne die reizende Marchesina gesehen zu haben, in deren Anblick wahrscheinlich gerade Prinz Kaiman schwelgte. Wie ganz anders war’s hier, als bei Markopoliti! In der Vergleichung dieser beiden Häuser lag ein gutes Stück social-politische Geschichte der griechischen Inseln.

In dem paradiesischen Thale von Drymalia besaß der Dimarch ein Landhaus. Zwei Tage verbrachte ich in diesem Eden, nach allen Seiten hin Streifereien unternehmend, zu welchen mir mein Wirth eines seiner Maulthiere zur Verfügung stellte. Am zweiten Tage Nachmittags hatte ich mich jenseits des Zeosberges beim Aufsuchen der Grotte, wo nach der Sage die Bacchusmysterien gefeiert wurden, verirrt. Die Gegend schien durchaus unbewohnt. Ich ritt zwei Stunden in Kreuz und Quer, bis ich ein ganz mit Weinlaub überwachsenes Häuschen in einer jäh abfallenden Thalschlucht entdeckte. Dort konnte ich vielleicht einen Führer finden! Da es jedoch unmöglich war, zu Maulthier dahin zu gelangen, band ich mein Thier an einen Oelbaum und kletterte das Felsgeklüft hinab. – In der Tiefe der Schlucht dunkelte es bereits, und dem Hause näher kommend, bemerkte ich Licht darin. Schon wollte ich eintreten, als eine Stimme mir entgegenklang, die ich allsogleich als die des Prinzen Kaiman erkannte. Ich warf mich rasch zurück; aus dem Fenster brach heller Lichtschein, ich bog vorsichtig die Weinlaubgewinde zurück und erblickte bei einer Lampe in der That den Prinzen Kaiman mit der Türkin vom „Panhellenion“. Beide saßen sich gegenüber. Der Prinz hatte sein Costüm geändert, er trug jetzt eine feine Sommerkleidung im Pariser Schnitt und einen Panamahut. Die Türkin hatte den Schleier abgenommen und zeigte bleiche, regelmäßige, etwas harte Züge. Jetzt begannen sie wieder zu sprechen. Anfangs hatte ich Mühe, mich in ihrem Wortkram zurecht zu finden, bis ich erkannte, daß sie sich arabisch unterhielten. Ich horchte athemlos. Kaiman schien der Dame Vorwürfe zu machen, worauf diese in gereizten Tone antwortete:

„Ich wiederhole Dir, die Kupferplatte ist noch nicht fertig, meine Augen sind seit der verwünschten Augenentzündung, die ich mir in Cairo zugezogen, immerfort leidend. Ich konnte in der letzten Zeit nicht graviren.“

„Aber, Unglücksmensch,“ rief der Prinz ärgerlich, „ich brauche Geld, ungeheuer viel Geld, wie soll ich die Hochzeitskosten bestreiten?“ …

„Du bist noch nicht verheirathet!“ sprach die Türkin düster.

„In vierzehn Tagen ist Hochzeit,“ antwortete Kaiman bestimmt.

„Nein, sag’ ich, und nochmals nein,“ rief die Dame wild, „Du wirst nie die Tochter des Marquis von Sommariva heirathen!“

„Und warum nicht?“ fragte der Andere höhnisch.

„Weil ich es nicht zugebe.“

Der Prinz brach in ein Gelächter aus. Ich meinestheils fand den Widerstand der Dame durchaus gegründet.

Die Türkin war aufgesprungen.

„Hörst Du,“ rief sie, „ich will es nicht, eher ...“

Sie hielt inne …

„Was, eher?“ fragte der Prinz nachlässig.

„Eher verrathe ich Alles,“ lautete die bestimmte Antwort.

„Teufel, Du gehst scharf in’s Zeug, mein Junge,“ höhnte Kaiman „Du vergißt, was Du riskirst.“

„Mein Junge,“ hatte mein Doppelgänger gesagt … Täuschten mich meine Ohren nicht?

„Was ich riskire?“ wiederholte die Andere –

„Den Galgen,“ vervollständigte der Prinz, „und ich nur die Galeeren, Du siehst also, Pietro, unsere Rechnung ist ungleich.“

Die Dame hieß Pietro; war dies ein Frauenname?

„Aber ich will nicht, daß meine Schwester in Deine Hände fällt. Welches Loos für das schönste und edelste Mädchen im ganzen Archipel, die Frau eines Falschmünzers zu sein!“ ...

„Du solltest mich vielmehr fragen,“ bemerkte Kaiman mit eiskaltem Hohn, „ob ich einen Renegaten und Fälscher des großherrlichen Siegels zum Schwager haben will? Du weißt, auf dem letzteren Verbrechen steht der Tod, und die Beweise sind in meiner Hand.“ ...

„Herzloser Bösewicht,“ zähneknirschte der Spießgeselle des Prinzen, ein Messer aus der Brust reißend und einen blitzschnellen Stoß nach seinem Mitschuldigen führend. Ein kurzes Ringen fand statt, welches mit der Niederlage der verkleideten Türkin endete.

„Du bist ein fauler Zweig am edlen Stamme Sommariva,“ sprach der Sieger, das erbeutete Messer gelassen zu sich steckend. „Wärst Du mir nicht untentbehrlich, bei meinem Seelenheil, ich drehte Dir in diesem Augenblick den Hals um. Doch komme zu Dir und laß uns ruhig reden. Ich heirathe Deine Schwester, denn ich liebe sie mit der ganzen Gluth meiner Seele; wir drucken für ein paar Millionen Piaster Kaimehs (türkisches Papiergeld) und ziehen uns dann in’s Privatleben zurück. Wer kennt unsere Antecedentien? Ist’s nicht immer Zeit genug, ein ehrlicher Mann zu werden? Also frisch an’s Werk, die neue Platte muß in höchstens acht Tagen fertig sein; sieh genau zu, denn die neuen Tresorscheine vom März dieses Jahres sind bedeutend schwieriger nachzudrucken.“ –

Prinz Kaiman erhob sich; es war hohe Zeit für mich an den Rückzug zu denken. Mir sauste und brauste es im Kopfe ... welch’ schändliches Gewebe! Die Türkin war der verkleidete Bruder der jungen Marchesina, ein Renegat und Taugenichts, der zum gemeinsten Verbrecher herabgesunken war! Dieser Gedanke verursachte mir wirklichen Kummer. Ich hatte indeß mein Thier wieder erreicht und ritt auf’s Gerathewohl davon. Wenige Augenblicke darauf begegnete ich einer kleinen Maulthiercavalcade. Es waren die syrotischen Gensd’armen vom „Panhellenion“, welche die Insel durchstöberten. Einen Augenblick dachte ich daran, die beiden Fälscher den Häschern zu überliefern. Ein Wort von mir, und Prinz Kaiman war gefangen und die schöne, unschuldige Marchesina von diesem Schurken befreit! Aber – konnte ich meinen Doppelgänger, mein körperliches Ebenbild bei meiner Rückreise nach Stambul vielleicht auf dem Fischmarkt am Pranger stehen sehen, das Wort „Fälscher“ in Fracturschrift auf der Brust? Zu einer solchen Selbstverleugnung fehlte mir die Seelengröße, und ich ließ die arglosen Gensd’armen ihre Wege ziehen.

Am folgenden Tag erhielt ich eine Einladung des Marquis von Sommariva, ihn auf seinem „Pyrgos“ – so nennt der naxiotische Schloßadel seine Landhäuser – zu Sangri zu besuchen. Der Weg nach Sangri führt durch die fruchtbare Ebene Langadia, zwischen Weinbergen und Gruppen von Mastixbäumen nach einer felsigen Gegend, wo spärliche Baumwollpflanzungen liegen. Der

„Pyrgos“ der Sommariva besteht aus einem alten, massiv viereckigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_250.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)